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Niederländische Meister der Erzählung

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„Ich sehe mich gern bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit, und jeder muß dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen."

Das Zeitalter der Weltliteratur, das Goethe vor 150 Jahren bereits herannahen sah, ist nun endgültig gekommen. Jede Sprache besitzt ihre „Bibliothek der Weltliteratur" und das Deutsche ist heute wie ehedem die klassische Sprache der Uebersetz ungen.

Es ist besonders erfreulich, daß auch das Schrifttum der kleineren Nationen die ihm gebührende Beachtung findet. -Sogar die Schätze aus dem Mittelalter werden mit Fleiß gehoben. So brachte z. B. der Eugen-Diederichs-Verlag in Düsseldorf neuerdings die mittelniederländischen Mysterienspiele „Jedermann" und „Mariechen von Nym- wegen" in Eindeutschungen von Wolfgang Cordan.

Für den niederländischen Schriftsteller, der in seinem kleinen Sprachgebiet kaum eine Existenzmöglichkeit hat, bekommt diese Angelegenheit noch einen bedeutenderen Aspekt: Er weiß genau, daß schon mancher Epiker durch deutsche Ueber- tragungen den Weg in die Weltliteratur fand. Man denke an Hamsun, Lagerlöf und Undset, an Streuvels, Timmermans und Coolen.

Auch aus diesem Grunde legen wir großen Wert auf die Anthologie „Niederländische Meister der Erzählung", die der Walter-Dorn-Verlag Hamburg-Horn herausgab, in gewissem Sinne das Gegenstück zu der in Holland erschienenen Sammlung deutscher Nachkriegsliteratur „Ruinen und Visionen".

Das Buch macht uns bekannt mit 17 Erzählern aus etwa vier Generationen. Es hebt mit Louis C o u p e r u s an, Hollands wohl bedeutendstem, französisch orientierten Romancier jener Epoche, der 1923 im Alter von 60 Jahren starb, und schließt mit dem stark unter amerikanischem Einfluß stehenden jungen Adriaan van der Veen.

Dr. Donkersloot, Universitätsprofessor und Mitglied des Oberhauses, widmete der Anthologie einen instruktiven, von der Auswahl unberührten Essay über das neuzeitliche niederländische Schrifttum. Der Herausgeber. Rolf Italia- ander, ein niederländisch-deutscher Schriftsteller, schrieb in versöhnlichem Tone über die be-e zwischen den Nationen treffenden kulturellen Beziehungen und über die „Lebensläufe und Werke" der siebzehn, wobei die Zahl der bereits in Deutschland verlegten niederländischen Bücher Aufsehen erregt.

Etwas zu überschwenglich vielleicht lobt er die niederländische Epik, deren Reichtum er vergleicht mit dem der Meisterwerke niederländischer Malerei; es fallen gar die Namen Rembrandt und Breughel.

Wir wollen bescheiden sein und dem Leser das Urteil überlassen. Um so mehr, weil die deutschsprachigen Dichter in der Kunstform der Novelle und der Kurzgeschichte um solche handelt es sich außer einigen Romanfragmenten in diesem Buch seit je Großes geleistet haben. An Bergen- gruen, Hesse und Wilhelm Schäfer, an Max Mell oder Julius Zerzer, dies sei vorweggenommen, reichen die Prosaisten dieser Sammlung nicht heran. Mit der einen glücklichen Ausnahme von Anton Coolen, der auch diesmal wieder aufs trefflichste sich auszeichnet und mit der gefühlvollen Erzählung „Das Haus des Glücks" die Wirklichkeit besser erfaßt hat als jene Surrealisten und Neo-Naturalisten.

Ueber die Gültigkeit der Auswahl läßt sich streiten, Arthur van S c h e n d e 1 und Aard van der L e e u w aber hätten nicht fehlen dürfen, und Anna B 1 a m a n gäben wir gerne z. B. für God- fried Bomans, zumal weil die Humoristen mit lediglich Simon Carmiggelt zu karg und einseitig vertreten sind.

Auch die Flamen kommen mit nur vier Vertretern zu kurz. Wir verweisen darum in diesem Zusammenhang nach dem vorzüglichen Sammelband flämischer Dichtung „Flandern erzählt", ausgewählt und übertragen von dem einfühlsamen Uebersetzer Karl Jacobs. Der verdiente Karl- Alber-Verlag brachte nach dem Kriege eine Neuauflage dieses schönen Buches, das einzig schon wegen der wunderbaren Novelle „Der Bauer stirbt" von Karel van de W o e s t i j n e unser ungeschwächtes Interesse verdient.

Hoffen wir schließlich mit Professor Donkers- loot, daß diese Anthologie zur besseren Kenntnis der Kunst der niederländischen Erzählung beitrage und zur Vertiefung der kulturellen Beziehungen unserer Länder.

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