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„Niemand kann sich selber ewig glücklich machen”

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Als ich unlängst während einer U-Bahnfahrt eine Rose auf dem Sitzplatz mir gegenüber deponieren wollte, versuchte ein junger Mann sich jenen Sitzplatz zu ergattern. Im Augenblick, als unsere Absichten sich kreuzten, meinte er, er könne sich doch woanders hinsetzen, wohin die Schwerkraft ihn eben triebe. Und die, so fuhr er fort, sei ja bekanntlich am weitesten von Gott entfernt. Ich fragte ihn, ob er „Schwerkraft und Gnade” von Simone Weil gelesen habe, und er erwiderte, er habe wenig gelesen und vieles intuitiv verstanden. Ich fuhr fort mit der Lektüre, „Herzstücke unseres Glaubens, Kapitel 7”: „Glauben - die Antw-ort des Menschen”:

„Glauben ist mehr als Erfahrung”. Oft gibt es Zeiten, in denen wir wenig spüren und erleben, in denen das Gefühl trocken bleibt. Das muß den Glauben nicht hindern, es kann ihn läutern. Ich glaube nicht, weil ich Gefühle habe, sondern weil ich Gott selber Glauben schenke, der über alle Maßen glaubwürdig ist.” An dieser Stelle tat sich für mich eine merkwürdige Kluft auf zwischen dem geschriebenen Wort und dem soeben vernommenen einer flüchtigen Begegnung. Zwei scheinbar widersprüchliche Welten verfingen sich ineinander, und in beiden war doch von Gott die Rede. Ich dachte an den Gottesglauben meiner Kindheit, den nicht die Vernunft, sondern die Gefühle mir eingegeben hatten.

Wie, um eine Übereinstimmung zu finden zwischen einem Glaubenspostulat und meinem Glaubensverständnis als dem einer sinnlichen Erfahrung, las ich an anderer Stelle: „Welch großes Wunder ist die Vernunft! Ist es nicht etwas Staunenswertes, wenn uns etwas einleuchtet? ... Einstein soll einmal gesagt haben: ,Das Erstaunliche ist nicht, daß wir die Dinge erkennen, sondern daß sie erkennbar sind'.” Die Vorstellung eines an und für sich erkennbaren Gottes ist faszinierend, gerade,.weil es unserem Ethos überlassen bleibt, sich einen Begriff von diesem Gott zu machen. Doch, was wird aus dem, dessen Intellekt nicht auf Erkenntnissuche ausgerichtet ist, der bloß Augen, Ohren und Hände hat, Gott zu erfassen? Warum wird die Vernunft vom Dogma als stark und die Sinnlichkeit als oberflächlich stigmatisiert? Warum müssen Dekrete erlassen werden, um die Gefühlswelt des Glaubens abzusichern, der seine Ursprünglichkeit doch in der Unbefangenheit der Kinder hat, denen Jesus das Himmelreich versprach?

Als Kind empfand ich den Katechismus stets als einschüchterndes Pendant zum Erlösungsgedanken des Neuen Testaments. Mit dem Wissen um Auschwitz wich der „liebe Gott” der Gewißheit des Maßlos-Bösen im Menschen, einer Gewißheit, die nicht aufhörte, mich zu beschäftigen. In seinen Überlegungen zur Hölle zitiert Christoph Schönborn den englischen Schriftsteller Clive Stable Lewis: „Die Pforten der Hölle sind von innen verriegelt. Im Himmel sagt der Mensch zu Gott ,Dein Wille geschehe', in der Hölle sagt es Gott zum Menschen. „Niemand”, so Schönborn, „kann sich selber ewig glücklich machen. Ich kann mich aber ewig unglücklich machen. Ich kann die Gnade der Bekehrung ausschlagen. Die Hölle ist eine wirkliche Möglichkeit für jeden von uns.” Es bleibt zu hoffen, daß es im Sinne Eugen Drewermanns keinen Menschen geben möge, der sich der Liebe verweigert, oder, der, wie Christoph Schönborn es in seinen Kommentaren zum Glaubensbekenntnis formuliert, endgültig Nein sagt zu Gott.

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