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ORTSBESTIMMUNG JUNGER PROSA

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Der vielgeschmähte — und nicht selten sogar existenziell verleugnete — junge Autor muß sich notwendigerweise sehr intensiv mit dem beschäftigen, was man unter „neuen und neuesten Tendenzen zeitgenössischer Literatur“ versteht. Die Frage nach einer grundlegenden Sendung „junger Prosa“ ist fast noch aktueller als das eigentliche Kardinalproblem, wie es denn in Zukunft weitergehen wird. Basis und Ausgangssituation dieser Betrachtung ist es allerdings, daß man das „Anliegen der jungen Generation“ ernst nimmt. Das ist das wenigste, was man verlangen kann. Denn echte Chancen werden besagter „junger Prosa“ meist ohnehin kurzerhand verwehrt. Beharrliche Ignoranz und selbstgefälliges Abtun sind die hervorstechendsten Merkmale jener arrivierten Kreise, denen vorgenanntes Anliegen der Jungen im Grunde genommen Herzenssache sein sollte. Die Förderung des Würdigen erfolgt im allgemeinen erst dann, wenn diesem „der erste Erfolg“ geglückt ist. Davor aber verweigert man dem jungen Autor jedwede Publizität, tut ihn als überflüssig ab und bringt in der Feuilletonbeilage lieber noch einen Auszug aus einer Anthologie namhafter „Weltliteraten“ mehr als ein paar Texte des aufstrebenden Jungen.

Es ist schwer, aggressive Polemik zu vermeiden, will man eine Definition und Ortung junger Literatur vornehmen. Aber lassen wir die akuten Tagesprobleme weg, prinzipielle Fragen bieten genügend Stoff zum Thema.

Wie vieles umfaßt der Begriff „junge Prosa“. Da gibt es zunächst solche ihrer „Apostel“ und andere, die sich der konventionellen Tradition verschrieben haben, und wieder andere, die eine mehr oder minder gefestigte Avantgarde-Dichtung vertreten. Welchem „Trend“ mehr Erfolg beschieden sein wird, kann man kaum mit Sicherheit bestimmen. Die „Konventionellen“ verfechten eine prägnante Ausweitung jener Aspekte ihrer Richtung, die Charakteristikum der „großen Expressionisten“ und — in späterer Folge — der zu raschem Ruhm gelangten „Neorealisten“ waren. Die Avantgarde wiederum strebt einer verfeinerten „Schule der BeatGeneration“ entgegen. Ob allerdings das Idealmaß in der glücklichen Synthese beider Strömungen läge, ist zweifelhaft. Beide Richtungen legen den Autor fest, binden ihn an elementare Belange und fordern von ihm fast immer eine klare und engagierte Stellungnahme. Eine Verschmelzung von „Konvention“ und „Avantgarde“ könnte immerhin permanente Mittelmäßigkeit zur Folge haben, und gerade diese ist es ja, die von vielen jungen Schriftstellern scharf angegriffen wird.

Natürlich gibt es neben den erwähnten beiden Grundtendenzen zahlreiche Abwandlungen und Nuancen, die aber meist Einzelerscheinungen sind. Deshalb kann man sie auch schwer klassifizieren und stilistisch einreihen. Konkret ist jedoch anzunehmen, daß sich die junge Generation eher der stürmenden „Beat-Literatur“ anschließen wird, weil diese es int, die mannigfache Stil- und Aussageelemente (wie zum Beispiel opportunes Aufbegehren gegen Verhaltensschemata, Resignation und Hang zu mieanthroptscher Philosophie) der Jungen in sich vereint. Die künstlerische Berechtigung dieser Gattung ist jedoch noch nicht erwiesen und wird sich auch nur schwer erweisen lassen. Denn extreme Rebellion — mag eis in den Augen derer, die sie vertreten, noch so am Platze sein — muß nicht in jedem Falle Kunst sein und ist es auch meist nicht.

Daß hier jedoch ausschöpfbare Möglichkeiten vorhanden sind, ist Tatsache. Bemerkenswert an junger Prosa ist das gelegentliche Auftauchen von Arbeiten, die der wenig populären Ausdruckskraft des „action cinema“ verwandt ist. In solchen Prosastücken herrscht ein absoluter und fast tödlicher Objektivismus vor, der Autor zieht sich vollends zurück und überläßt es dem Leser, der Phantasie Genüge zu tun. So ehrlich dieses Ansinnen gemeint sein mag, es erfordert willige und „mitgehende“ Leser. Wo aber findet man die heute?

Ganz im Gegensatz zu dieser nüchternen Form steht die mit Handlung durchsetzte Streitschrift, die es darauf anlegt, das Publikum aus wohlgenährter Lethargie zu reißen und am feisten Wams der Wohlstandsgesellschaft zu rütteln. Man bewegt sich hier auf einer abseits von „metaphysischer Betriebsamkeit“ und „transzendentaler Ohnmacht“ angelegter Ebene, auf der jedes Wort für sich zu stehen und dem Zwecke zu dienen hat. Was aber wird anders dadurch? Wer ändert sein Verhalten? Die eindeutige und konsequentprovokante Auseinandersetzung mit den Schwächen und Nöten der Masse zeugt von dem tiefen Glauben des Autors an „höhere Maßstäbe, die ethischen Prinzipien verpflichtet sind“. Die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen hindert ihn nicht daran, seine ganze Persönlichkeit in den Dienst dieser notwendigen Sache zu stellen.

Auch der junge Autor schreibt für den Leser und nicht nur für sich allein. Ob er nun will oder nicht, er muß darauf Bedacht nehmen. Das, was viele die Avantgarde skeptisch zu sehen veranlaßt, ist ihre oft totale Unverständlichkeit gegenüber dem Durchschnittsleser. „Literarischer Snobismus“ könnte man ebensogut dazu sagen. Ein uneinheitlicher, teils verstümmelter und chiffrenhafter Stil und thematische Verstiegenheit sind es, die „den Leser“ vor avantgardistischen Werken jäh zurückschrecken lassen. Nun könnte man einwenden, daß diese Art Literatur eben nicht für den „Durchschnittsleser“ gedacht sei. Aber ist es nicht eine vornehmliche Aufgabe jedweder schöpferischen Kommunikation, „Herz und Seele des Aufnehmenden“ zu ergreifen, ohne Rücksicht auf geistige Abgrenzungen und soziale Schranken? Man sollte die junge Literatur aufmuntern, dem anonymen Leser näherzukommen, und zwar insoweit, daß sie auch für ihn (eben den Durchschnittsleser) verständlich und fühlbar wird. Die geistige Substanz einer Kunst ist nicht immer nach ihrer Abgeschiedenheit und privilegierten Stellung zu beurteilen. Man kann blitzgescheit und weit über dem Niveau seiner Mitmenschen stehen, ohne es diesen bewußt werden zu lassen in so krasser Form, wie es sich manche Kreise junger Autoren heutzutags anmaßen.

Die Sendung des jungen Autors und seiner differenzierten Prosa ist somit noch lange nicht erschöpfend umrissen. Aber etwas von dieser Sendung sollte festgestellt werden: nämlich die Verpflichtung des jungen Künstlers, der Literatur zu dienen und alle ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten, sich so auszudrücken, wie es seinem literarischen Range und seiner kulturellen Provenienz zukommt, zu nützen. Nicht nur zu seinem Besten, sondern auch zum Besten des Lesers, der ja letzten Endes von den Früchten des Autors zu profitieren wünscht. Und auch die Verantwortung, die aus einer großen deutschen Sprachtradition erwächst, sollte nicht ganz vergessen werden. Mag sich der junge Autor einer noch so avantgardistischen Strömung verschreiben, stets müßte ihm die hohe geistige Macht seiner Vorgänger davon abhalten, einer sprachlich wie thematisch vordringenden Dekadenz Vorschub zu leisten.

Der „Standpunkt“ junger Prosa liegt in einer einsamen Sphäre. Will diese Literatur heute lebensfähig bleiben (oder überhaupt erst werden), muß sie ein Ubermaß an Surrealität und abstrakter Entstelltheit aufgeben und sich dem Publi-

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