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Osterlieder der Barockzeit

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Schlägt man heute eine der eben jetzt recht zahlreichen Anthologien österreichischer Lyrik auf, so wird man nach kurzer Prüfung schon erstaunt feststellen, welche Gebiete für die Herausgeber solcher Blütenlesen überhaupt nicht zu existieren scheinen. Die Lyrik, sollte man meinen, hätte in österreidi immer nur ein Zentrum besessen: das

Lied. Gedankenlyrik oder reine Formdichtung waren bei uns nie in dem Ausmaß zu Hause, wie anderwärts; das Lied dagegen ist in den verschiedentsen Formen hier immer wieder entstanden. Die Anthologien wollen das zumindest für die nachmittelalterliche Zeit nicht recht wahrhaben. Besonders alle Arten des volkstümlichen Liedes liegen ihnen meilenfern, Anonymes ist so gut wie ganz ausgeschieden, ähnlich wie die Mundartdichtung.

Nun mag die Überlieferung des „Volksliedes“ im engeren Sinn gewiß für die Auswahl Schwierigkeiten bereiten. Indes, es gibt soviel zeitlich und örtlich gesichertes, geistesgeschichtlich aufschlußreiches Gut, in dem sich zumindest ein gewaltiges Stück der jeweiligen Lyrik enthalten zeigt, daß man davor nicht zurückscheuen müßte. Zur Probe sei hier darauf hingewiesen, wie das Barockzeitalter in Österreich das Leiden Christi im Liede besungen hat. Im allgemeinen denkt man bei der Erwähnung des barocken geistlichen Liedes ja nicht an Osterlieder, sondern an die Hirten- und Dreikönigslieder der Weihnachtszeit, die vor allem musikalisch lebendig geblieben sind. Die Lyrik der Osterzeit wird für uns vielfach durch die machtvollen Ghoräle der protestantischen Passionsoratorien vertreten. Nun hat aber die Barockzeit schon als Epoche der Gegenreformation nicht etwa einseitig nur die Feier eines christlichen Hochfestes bevorzugt, sondern Ostern ebenso wie Weihnachten mit Wiederbelebungen und Neuschöpfungen auf allen Gebieten bedacht: die Passionsspiele sind das bekannteste Glied dieser österlichen Volkskunst. Die Ölbergdarstellungen, Kalvarienberge und Fastenkrippen vertreten die Gestaltung des Ostergeschehens in der volkstümlichen bildenden Kunst, oft in engem Zusammenhang mit den Motiven der Passionsspiele, wie auch der barocken Volksandachten. Die lyrische und musikalische Belebung dieser dramatischen und plastischen Passionsdarstellungen blieb dem Lied überlassen. Es gilt daher, dieses barocke Osterliedgut wiederzufinden.

Dafür kommt aber nur eine einzige Quelle in Betracht, und zwar die Flugblätter, jene stärkste Vermittlung des Liedgutes vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Die Gegenreformation brachte eine Neubelebung des Flugblattlieddruckes in allen österreichischen Ländern. Die noch erhaltenen Blätter sind heute nur schwierig in den einzelnen Bibliotheken, Museen und Privatsammlungen zu finden, zum Teil noch nicht einmal landschaftlich oder thematisch katalogisiert. Verfassernamen tragen sie nicht, höchstens Angaben der „Töne“, das heißt, der Singweisen, nach denen ein neuer Text geschaffen wurde. Jene Lieder, welche diese Tonangaben bieten, sind ihrerseits wieder anonym, so daß alles im gleichen Zirkel bleibt. Die Aufschließung dieser fast unbekannten Liederwelt wird daher auch nicht nach Verfassernamen oder Liedstilen vollzogen, sondern nach den Druckern. An ihren Namen, an den Namen ihrer Wohnorte als Druckerstädten, hängt die Bestimmung der Blätter, die zudem noch häufig undatiert erschienen.

Im barocken Österreich scheint Georg Widmannstetter in Graz zu Anfang des 17. Jahrhunderts der erste Flugblattlieddrucker gewesen zu sein. Ihm folgen sehr bald die Innsbrucker Johann Gädien seit 1631, Daniel Paur seit 1635 und Michael

Wagner seit 1940. Sie scheinen stark von den Druckern in Augsburg abhängig gewesen zu sein. 1638 ist unter den Flugblattdrucken Gächens bereits einer mit Passionsliedern: „Fünff schöne andächtige Fasten Gsänger. Das bitter Leyden und Sterben Jesu Christi zu betrachten, so wol zu Hauß als in der

Kirchen zu singen. Dz erst im Thon: Ohm dich mueß ich mich aller Freuden massen. Das ander, das Geistlich Uhrwerck. Das dritte, O Hochheiliges Creutze, das vierdte Da Jesus in den Garten gieng. Das fünfft zu der Verwundten Seiten Christi. Zu Ynnsprugg bey Johann Gächen.“ Der Druck mit dem charakteristischen Obertitel, der sich ähnlich zwei Jahrhunderte lang immer wieder findet, schlägt mit seinen fünf Liedern schon die meisten und bekanntesten Motive der barocken Osterlyrik an. Es ist eine Lyrik der Betrachtung des Leidens Christi, der mitunter geradezu mystischen Versenkung, des Mit-Leidens. Nicht etwa um eine Osterlyrik mit dem Jubel der Auferstehung, wie sie das Hochmittelailter geschaffen hatte, sondern eine mit schweren, dunklen Farbtönen, einprägsamen Bildern und einer oft geradezu grell und gewaltsam anmutenden Art der Wirkungsgewißheit. Das erste Lied „Ohn dich wil ich mich aller Frewden massen“ ist freilich die fast wörtliche Kontrafaktur eines weltlichen Liedes, ein besonders im Anfang des 17. Jahrhunderts beliebtes Mittel der Anziehung zugleich und der Ermahnung. Das zweite dagegen ,.0 Mensch mit fleiß gedenk all stund“ erweist sich als Behandlung eines zentralen Motives ’der barocken Passionsdichtung: es ist wirklich ein „Uhrwerk“, da für jede Stunde eine betrachtende Strophe gilt, welche einen Zug des Leidens Christi vergegenwärtigen soll. Bei allen späteren Flugblattdruckern finden sich Blätter mit derartigen Liedern, zum Beispiel ia Steyr bei Joseph Grünenwald

„Christi Passion-Uhr. In 12 Nacht- und Tag-Stunden abgetheilet“, die beginnt:

Die Passion-Uhr, wann ich hör / gedencke ich zu meiner lehr / vom Abend angefangen / wies Gott dem Sohn in Passion /

von Stund zu Stund ist gangen.

Diese einprägsame Lieddichtung ist denn auch in den Volksbrauch übergegangen und wird noch heute zur Osterzeit vielfach gesungen. Eigene „Passionssänger“ fanden sich alljährlich zum Vortrag dieser Lieder zusammen, so in Groß-Arl, wo man die Lieder sinngemäß auf Gründonnerstag und Karfreitag aufteilte und die gleichen Texte verwendete, die sich auf einem Flugblattdruck der Offizin Franz Zachäus Auinger in Linz, um 1720, finden. Von Auinger ist übrigens auch ein 1718 datierter Druck erhalten, der unter dem Titel „Zwey schöne Geystliche Lieder: Das Erste: Von dem bitteren Leiden und Sterben JESU CHRISTI.

Allen andächtigen Seelen zu Trost vor Augen gestellt“, eines der bekanntesten barocken Passionslieder enthält:

Im Thon: Wann wird doch mein JEsus kommen / etc.

Komm, o Seel, mit mir spatziren /

vor die Stadt Jerusalem /

ich will dich an öiberg führen /

wirst sehen dein Jesum schön /

sdiau, wie Er vor Angst Blut gesdiwitzet i

O mein Sünder diß betracht /

die Angst Christi nihm im acht.

Für die Tradition dieser Flugblattlieder ist es charakteristisch, daß das gleiche sedi- zehnstrophige Lied mit seiner sehr intensiven Verlebendigung des Passionsgeschehens noch 1812 auf einem Wiener-Neustädter Flugblatt gedruckt wurde. Das zweite Lied des Auinger-Blattes von 1718 ist nicht minder traditionsreidi, gehört aber einer anderen Gestaltungsgruppe an. Es handelt sich um das geistliche Farbenlied:

In Schwartz will ich mich kleyden Į HErr JEsu dir zu Ehr / dein bitter Marter und Leyden / mein Hertz betrübet sehr / von wegen unserer Sünden / leydst du sehr großen Sdimertz / wer das nit thut empfinden /, der hat ein steiners Hertz.

Das Lied gehört wohl schon der frühen Gegenreformation an; anscheinend ist es zuerst auf einem Flugblattdruck von Cornelius Leysser, München 1637, bezeugt. In Österreich hat es sich bisher zum ersteimal auf einem schönen Blatt des Jahres 1687 nadi- weisen lassen, das leider keine Angabe über Ort und Offizin bringt, aller Wahrscheinlichkeit nach aber von Christian Walter in Krems stammen dürfte. (Siehe Abbildung.)

Das dritte der im Flugblattdruck Johann Gächens von 1638 enthaltenen Lieder, „O Hochheiliges Creutze“, findet sich schon 1604 in einer Sammlung, die bei Nicolaus Henricus in München erschien. Das vierte aber, „Da Jesus in den Garten ging“, ist vielleicht zeitweilig das bekannteste aller katholischen Passionslieder gewesen. Es hat ja auch nodi ganz den schönen, innigen Volksliedton des 16. Jahrhunderts, mit seiner herzenstiefen Naturverbundenheit:

Da Jesus in den garten ging und er sein bittres leiden anfing, da trauert alles, was da was, da trauert laub und grünes gras.

Das barocke Lied ist bekanntlich den Weg dieses sicherlich noch aus der Haltung des Spätmittelalters hevorgegangenen Liedes, das 1590 zuerst gedruckt erscheint, nicht weitergegangen. Die Elugblätter haben es aber bis ins 19. Jahrhundert lebendig erhalten, in fast allen österreichischen Offizinen wurde es gedruckt, was seine lang nachhaltende Wirkung am besten bezeugt.

Die Stimmung der religiösen Motivik, die das Jahrhundert der Gegenreformation selbst prägte, ist dagegen in dem letzten Lied des Gädien-Druckes. „Ich dich O Hertzwund Christi grüß“, nodi einmal stark ausgeprägt. Die Vertiefung in die Einzelzüge der Passion, besonders, die Verehrung der Seitenwunde, war wohl in der spätmittelalterlichen Mystik schon Vorhanden. Die eigentliche Vo'ksbekanntheit dieser Motive dagegen durch Bildwerke aller Art, besonders kleine Andachtsbilder, und durch Gebete und eben auch durch Lieder setzte erst jetzt ein. Bezeichnenderweise trägt ja auch der älteste bekannte Kremser Flugblattdruck von Christian Walter, 1687, „Ein Andächtiges Gesang Von dem Leyden Christi, Welches In der Fasten vor der Predig kan gesungen werden“, die mystische Abbreviatur der Passion, die „Waffen Christi“, in deren Mitte groß das durch die Seitenwunde geöffnete Herz steht.

Zu diesen vielfältigen, aber immer charakteristischen Hauptzügen des barocken Osterliedes kommen noch andere, die anzuführen hier der Raum fehlt. Es galt fürs erste einmal die umfassenden Beziehungen aufzuzeigen, welche dieses Osterliedgut der Barockzeit in den großen Rahmen der europäischen Volksfrömmigkeit eiruügen.

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