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PASTERNAK - IMMER AKTUELL

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“^“aehdem nun bereits zwei Jahre verflossen sind, seit Rußlands - l^ großer Lyriker Pasternak starb und die Weltöffentlichkeit längst neue Helden gefunden hat, denen sie zujubeln kann, wollen wir uns nochmals eingehend mit diesem Dichter befassen. Pasternak wurde im Westen eigentlich erst durch seinen Roman „Dr. Schivago“ und die damit verbundene Nobelpreisverleihung im Jaljre 1958 bekannt. Dies ist auch leicht verständlich, da sich die Besonderheit und Größe seines Talentes ja gerade in der • Musikalität seiner Sprache äußerte, die jedoch kaum in einer Übersetzung einzufangen ist. Auch lagen bis dahin nur wenige Prosawerke vor, wobei noch betont werden muß, daß Pasternak nicht für die Masse schrieb. Seine Sprache ist nicht leicht zu verstehen, braucht er doch eine Unmenge von Bildern und oft überraschend unlogische Vergleiche. Seimen komplizierten Assoziationen ist manchmal schwer zu folgen, wenn auch das, was er aussagt, zutiefst von Symbolkraft durchdrungen ist und den Nagel auf den Kopf trifft.

Boris L. Pasternak wurde 1890 als Sohn eines berühmten Porträtmalers und einer bekannten Musikerin geboren. Seine Eltern hatten enge Beziehungen zu Lev N. Tolstoj sowie auch zu Rilke. Von frühester Jugend auf lebte Boris in einer geistig äußerst aufgeschlossenen Welt. Es ist kein Zufall, daß er sich in Moskau zuerst dem Musikstudium zuwandte, um dann später Philosophie zu studieren, u. a. längere Zeit an der Universität Marburg. Als 1922 sein Buch „Meine Schwester — das Leben“ erschien, war sein Ruf als bedeutender Dichter gesichert und sein Können verhalf ihm zur Freundschaft eines V. Majakowski und M. Gorki, trug ihm aber zugleich den bitteren Tadel der Sowietkritiker ein, welche in ihm — wohl nicht ganz zu Unrecht

— einen gefährlichen Gegner des Systems witterten. Dies hatte zur Folge, daß er sich immer mehr der Übersetzertätigkeit zuwandte und eigene schöpferische Werke kaum mehr erschienen. Allerdings darf diese Arbeit als Übersetzer nicht unterschätzt werden, denn er leistete auch auf diesem Gebiete Großartiges, so zum Beispiel mit seiner Übertragung von Goethes „Faust“, die nicht mehr und nicht weniger als eine herrliche russische Nachdichtung darstellt.

Man kann sich unter den gegebenen Umständen leicht vorstellen, welche Sensation es darstellte, als plötzlich ein Roman Pasternaks erschien — und außerdem noch im Ausland. Als schließlich noch bekannt wurde, mit welchen Intrigen von sowjetischer Seite versucht worden war, die Herausgabe des Werkes zu verhindern, da war der Verkaufseifolg dieses Buches gesichert. Doch wie viele von denen, die diesen Roman kauften, haben ihn wohl in extenso durchgelesen? Bei aller dichterischen Schönheit der Sprache — durch dfie Übersetzung allerdings bereits herabgemindert — hat diese breite Schilderung den offen-entliehen Mangel, daß sie uferlos ist. Zwar hat man hie und da ♦mphatische Vergleiche mit L. N. Tolstois „Krieg und Frieden“ ^ gezogen, aber es bleibt wohl ugbestBittgunj da^LPasternaks-. Schivago“, zumindest was..die innere Geschlossenheit der Handlung anbelangt, sefe 'durch Jkichail, Scholochovs „Stillen Don“ weiijjl'ibertroffen wird. Wenn 1958 trotzdem Pasternak und nicht Scholochov der Nobelpreis verliehen wurde, so lagen diesem Entscheid wohl nicht allein künstlerische Motive zugrunde. Daß die entsprechende Kommission ihren Schritt damit begründete, Scholochov hätte seit Jahren kein größeres Werk mehr herausgebracht, machte die Sache nicht besser, zeigte sich doch in der Folge, daß diese Begründung falsch gewesen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte der große Epiker und Sänger des Kosakentums bereits den zweiten Band seines „Neuland unterm Pflug“ fertiggestellt gehabt, aber dieses Buch war, wie übrigens einst der berühmte letzte Band des „Stillen Don“, in die Maschinerie der Parteibürokraten gelangt und dort längere Zeit hängengeblieben. Man kann es M. Scholochov nicht verargen, wenn er grollte. Immerhin war er vornehm genug, sich von der Kampagne gegen Pasternak zu distanzieren.

Rückblickend muß man ehrlicherweise auch eingestehen, daß die Verleihung des Nobelpreises an B. L. Pasternak — selbst unter der Annahme, daß sie voll und ganz in der Sache gründete

— keinen klugen Schritt darstellte, schadete dies doch nicht nur dem Autor, sondern gab auch seinem Werk einen Akzent, den es im Grunde nie besessen hatte. Der Verfasser des „Doktor Schivago“ hatte alles andere als ein antikommunistisches Pamphlet schaffen wollen, und wer es nur als Tendenzwerk interpretiert, der hat es nicht verstanden. Pasternaks Sünde — von bolschewistischer Seite aus gesehen — bestand darin, daß er es wagte, nachdem er volle 40 Jahre im „sozialistischen Paradies der Werktätigen“ gelebt hatte, ein antikommunistisches Buch herauszugeben. Die wenigem prononciert antikommunistischen Aussagen des Romans fallen kaum ins Gewicht, auch wenn gerade diese im Westen die größte Beachtung gefunden haben. Schließlich finden sich in Scholochovs „Stillen Don“ nicht weniger scharfe Ausfälle. Man lese nur einmal die Kapitel über den großen Kosakenaufstand. Dabei sei nicht vergessen, daß der Held des „Stillen Don“, Grigori, mehrmals die Fronten wechselt und am Ende keineswegs als Kommunist in sein Dorf zurückkehrt, im Gegenteil, wer die Geschichte konsequent weiterdenkt, kommt unfehlbar zum Schluß, daß Grigori von den Kommunisten als Verräter aufgehängt werden wird.

Der gewaltige Unterschied zwischen dem Werk Scholochovs und dem Pasternaks liegt darin, daß — bildlich gesprochen — Scholochov im seiner Darstellung rückwärts blickt, Pasternak dagegen vorwärts. Während der große Epiker das, was er Deschreibt, ins Zentrum rückt und gewissermaßen dabei stehen bleibt — allerdings nicht ohne hervorragende algemeinmensch-. liehe Aussagen von einer bestechenden Unmittelbarkeit zu machen —, liegt beim Lyriker Pasternak das Zentrum außerhalb, und was er schildert, sind nur Begebnisse, sind Bruchstücke, die in den Zusammenhang der gesamten Weltordnung hineingehören. Man hat es in der Regel unterlassen, die Tatsache herauszustreichen, daß B. L. Pasternak die kommunistische Revolution in seinem Roman „Dr. Schivago“ bejahte. Man wurde mit dem Widerspruch nicht fertig, wie sich dieses Faktum mit den antikommunistischen Äußerungen (die auch besser ins Konzept westlicher Rezensenten paßten) vereinen ließ. Und doch hat sich der Dichter keiner Inkonsequenz schuldig gemacht, denn für ihn ist die Oktoberrevolution ein kosmisches Ereignis. Deshalb auch das Bild von der Revolution als einem elementaren Gewitter, einem Bild, das an Deutlichkeit gar nichts zu wünschen übrigläßt. Sicher sind Gewitter naturnotwendig, aber wie flüchtig ist ihre Erscheinung im gesamten Ablauf der Natur! Vielleicht liegt gerade hier die Größe Pasternaks begründet. Er erschöpft sich nicht in einer Feindseligkeit gegenüber historischen Fakten! Indem er die geschichtlichen Begebenheiten annimmt und zugleich die sich daraus ergebende Eigenverantwortlichkeit zu erkennen bestrebt ist, wird er keineswegs zum militanten Antikommunisten, sondern überwindet im Bewußtsein der eigenen Weltanschauung den Kommunismus in der einzig möglichen Weise, nämlich von innen her. Der Kommunismus in seiner geschichtsmächtig gewordenen Form bildet eine Aufgabe, die von den Menschen gelöst sein will — wohlverstanden: auf einer geistigen Ebene.

Deshalb läßt er auch den Helden seines Romans „Doktor Schivago“ zu einem kommunistischen Partisanenführer sprechen: .ntfclt sage* Apabefitfik ^afc mkr^kOär-wenn ihr mich auf de Kopf stellt. Ich gebe zu, daß ihr die Leuchten und die Befreier Rußlands seid, 'ohne'die es in Schmutz und Unwissenheit zugrunde gegangen wäre, aber trotzdem geht ihj mich nichts an. Ihr seid mir völlig egal. Ich liebe euch nicht. Schert euch doch alle zum Teufel. Eure Lehrmeister treiben Schindluder mit Sprichwörtern, aber den wichtigsten Spruch haben sie vergessen: Mit Gewalt erreicht man keine Liebe!' Und so haben sie sich daran gewöhnt, jene zu befreien und zu beglücken, die darum nicht bitten.“

In diesem Abschnitt ist bereits die Unterscheidung gemacht zwischen den politischen und den historischen Ergebnissen des Kommunismus einerseits und der kommunistischen Doktrin als Weltanschauung auf der anderen Seite. Was Pasternak ablehnt, ist die soziale Idolatrie des Marxismus-Leninismus, die sich erkühnt, ein Teilziel, nämlich die soziale Befreiung einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse, der Menschheit als letzten Sinn ihres Daseins anzupreisen. Diese Verneinung des kommunistischen Erlösungsanspruches gründet bei Pasternak — und das mag uns bei einem Juden vielleicht seltsam erscheinen — in der Bejahung der christlichen Wahrheit. Wie absurd mußte dem großen Dichter wohl der Vorschlag einiger, sicherlich sehr wohlwollender, sowjetischer Kollegen erschienen sein, die ihm vor Erscheinen des Romans geraten hatten, die wenigen antikommu-iwstischem Äußerungen fallenzulassen. Seine Weigerung wird diesen Schriftstellern wohl bis zum heutigen Tag ein Rätsel geblieben sein. Und doch hatte Pasternak recht, denn das Problem lag ja gar nicht in diesen wenigen spitzen Bemerkungen.sondern in der Tatsache, daß das Buch von einer dem Kommunismus völlig entgegengesetzten weltanschaulichen Basis ausging. Daran hätte auch die Streichung anstößiger Passagen nichts zu ändern vermocht. Ihn interessierte ja gar nicht der Kommuniismus als solcher; er wollte den Menschen beschreiben, und was ihn faszinierte, war das menschliche Dasein, das Leben. Notgedrungen streifte er in diesem Zusammenhang eben auch den Kommunismus, aber nur als ein Phänomen am Rande, als Episode. Bei dieser Schau der Dinge vermochten ihn die „Klassiker des Marxismus-Leninismus“ wenig zu beeindrucken. Er sah in Christus — wie er in der christlichen Frohbotschaft erscheint — sein Vorbild:

„Sic können keine, Utftfakujß machen, ohne das. geistige : Rüstzeug,“ das ms.in den Evangelien gegeben ist. Da. ist als erstes die Nächstenliebe, diese hochentwickelte Form der lebendigen Energie, die das Herz des Nächsten bis zum Überfluß erfüllt und nach Hingabe und Verschwendung verlangt. Da sind die zwei wesentlichen Elemente, die für die Existenz des modernen Menschen unerläßlich sind: die Idee der Freiheit der Persönlichkeit und die Vorstellung vom Leben als Opfer. Bitte beachten Sie, daß dies alles bis zum heutigen Tage aufregend neu ist! Eine Geschichte in diesem Sinne hat die Antike nicht gekannt. Da gab es die animalische Wildheit und Grausamkeit pockennarbiger Caligulas, die nicht einmal im Traume ahnten, wie zweitrangig jeder Tyrann, der seine Mitmenschen versklavt, notwendigerweise sein muß.“ Halten wir diesen Worten zwei Aussprüche kommunistischer Philosophen entgegen. L. Kolakowski erklärte 1956 auf der Berliner Freiheitskonferenz:

„Einen grundsätzlichen Unterschied, der die marxistische Philosophie von dieser Überlieferung (eben der christlichen) abgrenzt, bilden der Bruch mit der Freiheitsauffassung, die in Freiheit nur auf die einzelnn Individuen bezog, und die Annahme einer neuen Auffassung vom Menschen, der nun als ein gesellschaftliches Subjekt betrachtet wird.“ Roger Garaudy gab dieser Auffassung noch prononoierter Ausdruck, indem er sagte: „Die individuelle Freiheit kann nicht individuell erworben werden. Die Befreiung ist nur kollektiv möglich.“ — Wie unannehmbar bei dieser Gegensätzlichkeit der Ideen den Kommunisten Pasternaks „Dr. Sohivago“ erscheinen mußte, bedarf keiner weiteren Erklärung. Der sowjetische Schriftsteller L. Sobolew hatte zweifellos begriffen, worin die eigentliche Gefahr für den Marxismus-Leninismus im Werke Fasternaks besteht, als er in einer wütenden Polemik in der „Pravda“ äußerte, daß „dieser Mensch“ mit seinem Geschreibsel „zu einer extremen Pathologie des Individualismus“ gelange.

Dadurch, daß B. L. Pasternak die Persönlichkeit des einzelnen in seiner Eigenverantwortlichkeit dem Schöpfergott gegenüber auf den Schild erhebt, reiht er sich würdig ein in die große Tradition der russischen Dichter in ihrer Suche nach Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit. Und insofern wendet er sich gegen jede Form einer Vermassung, sei sie nun östlicher oder westlicher Provenienz, i

„Der Herdentrieb ist immer die letzte Zuflucht für Unbegabte, ob es sich nun um Anhänger von Solovjov, Kant oder Marx handelt. Wer die Wahrheit sucht, muß allein bleiben und mit all denen brechen, die sie nicht genügend lieben. Wie viele Dinge in dieser .Welt verdienen wirklich Treue? Es sind wenige genug, wie mir scheint. Man sollte der Unsterblichkeit die Treue halten, denn sie ist nur ein anderes Wort für das, was wir sonst Leben nennen. Man muß der Unsterblichkeit treu sein, wie man Christus treu sein muß.“ An diesem Punkt tritt auch eine klare Scheidung zwischen Pasternak und Scholochov ein. Michail Scholochov hat seinen Glauben an Gott verloren. Es ist eine der kleinen, kaum beachteten Passagen des „Stillen Don“, wo man sieht, wie Grigori plötzlich feststellt, daß er ja seinen Glauben verloren habe, und man vermeint beinahe die tragischen Worte eines S. Jessenin zu ver* nehmen:

„Daß an Gott ich geglaubt', ist zum Schämen,daß ich jetzt nicht mehr glaub' schmerzt mich sehr.“

So bleibt denn im „Stillen Don“ die letzte, die entscheidende Frage offen, worin der Sinn des Heldenlebens eines Grigori bestanden habe. Es macht den Anschein, als ob der Deputierte des Obersten Sowjet der Sowjetunion Scholochov die Unsterblichkeit menschlicher Sendung in der Verwirklichung des irdischen Paradieses sieht, mit anderen Worten: im Kampf für einen utopischen Kommunismus. Inwieweit sich jedoch der Epiker Scholochov mit dem heutigen Regime indenitifiziert, ist kaum zu beantworten, er, der in seinem Landhaus am Don im Grunde genommen das Leben eines alten Grandseigneurs führt, dem Trünke ergeben, und der nur selten, dafür aber mit zornigen Worten ans Licht der Öffentlichkeit tritt.

Was uns heute an Pasternak immer noch uneingeschränkte Bewunderung abnötigt, ist nicht primär sein dichterisches Werk; sondern der Glaube und das Zeugnis für eine christliche Wahrheit inmitten der sie umgebenden kommunistisch-atheistischen Umwelt, die uns aus diesem Werke entgegentreten. Darin hat er uns — richtig verstanden — auch den entscheidenden Weg in der Überwindung der kommunistischen Doktrin aufgezeigt, der nicht in einer bloßen Verneinung des Marxismus-Leninismus — einem bloßen Antikommunismus — liegen darf, sondern in einer bewußten Bejahung der christlichen Werte und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen. Der Satz des russischen Philosophen N. Berdjajev hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, daß die tiefste Gefahr des Kommunismus in der Vermengung der Wahrheit mit der Lüge bestehe.

„Die Christen“, so schrieb dieser bedeutende Denker, „befinden sich vor dem Antlitz des Kommunismus nicht nur in der Lage eines Trägers der ewigen und absoluten Wahrheit; sie sind zugleich auch in der traurigen Situation eines Verräters, der die ihm anvertraute Wahrheit verschmäht und verdrängt hat. Die Kommunisten realisieren ihre Wahrheit und können diese Tatsache den Christen jederzeit entgegenhalten. Zwar ist die Verwirklichung der christlichen Wahrheit viel schwieriger als die der kommunistischen Idee; von den Christen wird nicht weniger als von. den Kommunisten, sondern viel mehr verlangt.“

Pasternak hat offensichtlich versucht, seiner Wahrheit zu leben, ohne Rücksicht auf die sich ergebenden Konsequenzen. Es gehört zur Tragik dieses Dichters, daß ihn die äußeren Umstände gewissermaßen zu einer inneren Emigration zwangen. Er teilte damit nur das Schicksal andere großer russischer Schriftsteller, wie Sostschenko, Achmatova, Erdman und Olescha, um nur einige zu nennen. Der Dichter wußte sehr wohl um das Opfer,das er zu bringen hatte. Er lebte, wie er es in einem seiner Gedichte ausgesprochen hatte, das in seiner Aussage auch als Motto über dem Leben seiner Hauptperson im Roman „Dr. Schivago“ stehen könnte:

„Ich stehe abseits, und ich fühle tief und stark: Beneidenswert das Los, das mir beschieden, Ich hab' gelebt und meine Seele hingegeben Für meine Freunde. Höh'res gibt es nicht. Ich bin am Ziel!“

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