6534905-1946_10_15.jpg
Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

Werbung
Werbung
Werbung

13. Fortsetzung

Auch der Schwager schwieg ein gutes Jahr lang über seine Pläne. Der Flachshandel hatte sich indes als ein gefährliches Geschäft erwiesen. In jedem Ort saß nun ein Händler. Die Bauern aber hatten, durch die guten Preise verlockt, mehr Haar gebaut, als die Weber übernehmen konnten, und selbst spinnen und weben, dazu langte nicht ihre Zeit. So kam es, daß das Kramersche Haus in Zirl noch immer ohne Verputz dastand und daß der junge Mann auch mit Vieh und Wein Handel trieb. Zu Peter freilich redete er immer noch groß und seiner selbst sicher. Wie der alte Hueber kam er dem manchmal vor. Doch jener war ein alter Bauer, der wohl allerlei, doch zumeist nur das Nächste wußte. Vor den Worten des Schwagers aber schrumpfte Peter der Verstand wie Schnee im Märzwind. Es gab auch kein Ding, das jener nicht benennen, keine Frage, die er nicht lösen konnte, ja Peter war nun öfters daran, ihn um Kreis und Kugel zu befragen oder um die Bahnen der Planeten. Er tat es jedoch nicht, auch wenn ihm in mancher sternenklaren Nacht so schwer ums Herz war, wie nie in seinem Leben zuvor.

An einem Sonntag kam der Schwager allein nach Oberperfuß und bat, als er j abends wieder heimging, daß Peter ihn ein Stück Weges begleite. Als sie dann an einem Flachsfelde vorübergingen, kam er auf die schlechten Preise zu sprechen, tat aber so, als ergehe es bei diesem allgemeinen Niedergang den Bauern immer noch schlimmer als den Händlern. Peter verwies ihm diese Rede. Der andere schwenkte nun rasch und meinte, er selbst sei bisher auf einem schlechten Wege geschritten, nun erst begreife er die Zeit. Die Kaiserin bekümmere sich ja weniger, als es ihm geschienen habe, um Bauern und Händler, sondern um viel wichtigere Dinge. Sie verordne allenthalben neue Schulen und lasse sich die Bildung aller Untertanen angelegen sein, auch jener, die bisher an den Erkenntnissen und Schätzen des aufgeklärten Zeitalters keinen Anteil gehabt hätten. Dieses edle Bestreben werde aber in wenigen Jahren dazu führen, daß allenthalben Leute umliefen, die lesen, schreiben und rechnen könnten und auch etwas von den allgemeinen Wissenschaften verstünden. All diese Leute würden dann jedoch nicht mehr Flachs und Türken bauen, sondern sich über ihren herkömmlichen Stand ein leichteres und einträglicheres Dasein sichern. Ob das nun von allgemeinem Nutzen sein werde, wisse er nicht, aber es werde wohl nicht anders kommen, denn die Kaiserin Maria Theres sei eine durdiaus kluge und fürsichtige Frau, und sie werde wohl auch wissen, woher sie dann Flachs und Brot bekämen. Auf jeden Fall aber werde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten der Bedarf ' nach gelehrten Büchern und Instrumenten ins Ungeheuerliche wachsen, und auf dieses Wachstum baue er seinen neuen Plan. Nicht mit Flachs, wie jeder Dummkopf, sondern mit solchen' neuen Lehr- und Schulinstrumenten müsse man künftig Handel treiben, und wer bei diesem Geschäft der Erste auf dem Platze sei, werde auch die göttgesdtenkte Milch abrahmen, das sei dodi klar.

„Weshalb sagst du das mir?“ fragte Peter.

Nun, er wisse doch längst, wenn auch nicht von ihm, daß Peter mit dem seligen Anichvater solche Instrumente entworfen und auch gebaut habe. Diese alten Sachen müsse man nun schleunig aus der Kammer holen und neue dazu entwerfen. Zur Zeit müsse man ja, wenn man solche Instrumente kaufen wolle, das wisse er aus Innsbruck, -sie aus Nürnberg einführen, auch aus Augsburg und Magdeburg oder aus noch ferneren Ländern. Er selbst verstehe sich wohl auf den Handel, nicht aber auf das Erfinden und Entwerfen solcher Gegenstände. Dazu jedoch - sei nun sein Schwager Peter der geeignete Mann, ja der beste weit und breit. Er selbst werde dann die einmal erprobten Stücke herstellen, das sei doch keine Hexerei, und in Innsbruck, aber auch in anderen Schulstädten auf den Markt bringen. Eine bessere Kompagnie als zwei Schwäher, die der Herrgott selber zusammengeführt habe, könne er sich in diesem Fall nicht ausdenken. Für Peter selbst aber sei es wohl die schönste Genugtuung, daß seine einst verlachte und bekrittelte Liebhaberei nun sich als ein einzig dastehendes Glück, als ein Segen für das Anichhaus, die ganze Freundschaft und das Land Tirol erweise.

Peter hörte den Schwager schweigend an. Erst als sie in Unterperfuß angelangt waren, sagte er: „Es ist seltsam, daß du einmal zugibst, ein anderer verstehe mehr von einer Sache als du selbst. Nur bist du leider auch dies eine Mal im Irrtum. Was du von mir forderst und mir so freimütig zutraust, ich kann es nicht leisten. Ich verstehe mich nicht auf solche Instrumente, noch habe ich je daran gedacht, daß man sie auch verwerten kann. Wenn ich sie aber verstünde, dann dürfte ich sie erst recht nicht wieder anrühren nodi auch nur an sie denken. Das habe ich mir nach des Vaters jähem Sterben gelobt. Ich höre dich aber, während du mir das alles vorschlägst, ganz andere Worte gebrauchen, ich höre dich das Flachsgeschäft als das einzig mögliche uad einträgliche lobpreisen, den Anichhof verkaufen und mich selbst in Telfs ansiedeln. Das' alles höre ich mit. Du kannst daher nicht erwarten, daß ich jetzt juchze und gleich einen Vertrag unterschreibe. Und wenn idi mich noch auf solche Instrumente verstünde, dann wären sie doch nur für mich allein wichtig, ja sie wären mir heilig, ich wollte auch etwas ganz anderes damit anfangen als mit ihnen Handel treiben. Ich tat mich fürchten davor. Aber ich bring ja keines mehr zuwege, und es ist auch viel besser so.“

Auf einen Versuch käme es an, meinte der Schwager schon stiller. Just wenn man eine Sache jahrelang ruhen lasse, kämen einem die besten Gedanken dann dahergepurzelt.

„Man muß sie dann auch auffangen wollen“, sagte Peter darauf Er wunderte sich aber, daß der Schwager nun wohl schwieg, aber keineswegs böse war, und es war ihm leichter deshalb, denn er stritt nicht gern über Dinge, die ihm doch fern und unwichtig schienen, auch wenn sie ihn selbst so hart bestrafen wie dieser Ratschlag.

An jenem Abend bei der Suppe redete er aber kaum ein rechtschaffenes Wort und ging zeitig in die* Stube hinüber. Als es schon dämmerte, kam die Mutter mit dem öl-lämpchen nach. „Wenn du deine Sachen suchst“, sagte sie, „sie liegen oben in der Kammer, in der blauen Truhe. Ich habe sie seither nicht angerührt.“

„Weshalb meint die Mutter, daß ich jetzt auf einmal meine Sachen suche?“ fragte er. Er blickte sie dabei nicht an.

„Weil du wieder an sie denkst.“ Das Weib schwieg eine Weile, dann setzte es hinzu: „Es ist auch gut, daß du wieder an sie denkst.“

„Gut ist es nicht.“ Er stützte den Kopf und sann lange vor sich hin. „Ohne den Vater könnte ich ja mit den Sachen nichts mehr anfangen.“

„Rede dir das doch nicht ein!“ Sie stellte die Lampe auf den Tisch und griff nach seiner Hand. „Was du damals gewußt und getan hast, du hast es aus dir selber gelernt und nach deinem Willen getan, gegen den des Vaters. Knapp zwei Wochen hat er dir dann geholfen. Es hat ihn bitter gereut, daß er dir nicht früher deinen Willen gelassen hat. Jetzt weißt du es, wo ich es dir sage.“

„Wenn ich nach des Vaters Tod nicht alles verlassen und vergraben hätt, ich war davongelaufen.“ Er blickte auf, „Wer aber soll einen so alten Kerl noch unterrichten, und was kann, dabei auch Gescheites herauskommen, Mutter? Ist es schon besser, ich lasse alles wie es liegt, auch friedsamer ist es so.“

„Bist du feidit ein zufriedener Mensch, Peter?“

Er sagte nichts darauf und ging aus der Kammer.

Der Schwager redete aber nicht mehr über die Instrumente, denn in jenem Herbst ging es mit dem Flachshandel wieder bergan, und sein Haus erhielt den feinsten Verputz.

Dafür kam um Neujahr eine ansteckende Krankheit über die Gegend. Bis in die verschneite Einschicht hinauf lagen die Leute krank, und manch ein kaum Genesener oder Leichtkranker mußte In zwei und mehr Höfen Vieh und Kranke versorgen. Wen solche Pflicht nicht rief, der verließ seinen Flof nicht, und die sich ängstlich in ihrer Stube einschlössen, die hatten es meist mit dem Krankwerden noch eiliger, etliche auch mit dem Sterben, wie der alte Hueber. Im Anichhause lagen sie vier Tage hindurch alle drei darnieder. Peter kam als erster wieder auf, auch Leni überwand das Fieber rasch, nur die Mutter lag noch im Bett, als die Nordkettenberge schon bis an die Kare hinauf sdineefrei waren. Sie klagte über arge Schmerzen in den Beinen und konnte sich nur schwer aufrichten. Zuweilen lag sie völlig unbeweglich.

Sie selbst trug ihren Zustand mit Geduld und bekümmerte sich mit Fleiß um alle Arbeit in Haus und Feld. Ihre Hand fehlte deshalb nicht weniger, und wenn Leni auch wacker Zugriff, Peter merkte doch, wie die Schwester still und müde ward. Wenn er dann an die nahe Sommerarbeit dachte, an die Heumahd und Korn- und Türkenernte, verschlug es auch ihm den Atem. Für Tage bat er die Bötin ins Haus. Doch die Alte war wohl für die Kranke eine rechte Trösterin, sie übernahm auch kleine Gänge, eine rechtschaffene Hilfe hatten sie an ihr nicht. Ein Knedit aber war nach Lichtmeß schwer aufzutreiben, und als sie endlich eine Dirn fanden, ein junges Ding aus Flauerling, lief sie ihnen nach acht Tagen aus dem Haus. Sie ertrug die schweigsame Art der jungen Leute nicht.

Am Abend jenes Tages sagte die Leni; „Wir tun, als hätt sich in unserem Hof nichts verändert, als könnten wir beide allein die Wirtschaft leisten, Peter. Entweder bringt der Bruder eine Bäuerin ins Flaus oder ich nehm einen Bauern. Ein Drittes gibt es für uns nicht mehr.“

„Es ist gut, daß du damit anhebst“, sagte Peter darauf. „Mir war es schwerer gefallen. So einfach ist das ja nicht, wie es sich aus deinem Mund anhört.“

„Du meinst vielleicht, es gab doch noch ein Drittes: Wir verkaufen den Hof, wq jetzt der Flachshandel wieder gutes Geld einbringt.“

„Der Schwager hat mancherlei vorgeschlagen“, sagte Peter rasch, „ich meine auch nicht irgendein Drittes, ich meine bloß, daß du es leichter hast als ich Leni.“

„Ein Frauenzimmer findet man leichter als ein Mannsbild.“

„Du verstehst mich schlecht“, sagte er nach einer Weile und seine Stimme klang wieder freier. „Nicht, daß du es leicht hast, Leni, meine ich, aber ich habe es schwer, das weiß die Leni doch. Oder hat sie es ganz vergessen?“

„Das andere ist nicht tot?“ Ihre Augen leuchteten.

„Tot ist es nicht. Aber es will jetzt wohl endlich entschieden sein.“ Er sprang auf und eilte in seine Kammer. Er war noch nicht so weit, daß er mit einem Menschen darüber sprechen konnte, auch mit seiner Schwester nicht.

Am nächsten Morgen gingen sie nach der Stallarbeit nach Kematen. Es war die Zeit, da der Türken unter die Erde kam. Sie aßen aber längst nicht mehr auf dem Felde zu Mittag, sondern gingen zu den Mahlzeiten heim, auch wenn sie viele Stunden damit versäumten, anders ging es der Mutter wegen nicht. Und da sie durch den Wald heimzu schritten, stand ein mächtiger Vogel /hoch im Blauen. ' „Ein Adler“, sagte Leni.

Peter nickte: „Ein großmächtiger Adler.“

Sie schrak zusammen, dann stiegen sie schweigend den Berg hinan.

„Damals, du weißt es schon noch, hast du mir immer gesagt, was du denkst und willst und tust“, begann sie nach einer Weile. „Ich hab dir auch geholfen, so gut ich es als kleine Dirn verstand.“

„Ja, das hast du immer so gehalten, Leni.“

„Ich weiß auch nicht, weshalb du seither meine Hilfe nicht mehr brauchst. Wir täten vielleicht mitsammen alles leichter ertragen.“

„Es kann einer nicht ewig jung bleiben.“ Sie lachte: „Als ob wir so schreckhaft alte Leut wären.“

Er blieb ernst: „Damals Kab ich jeden Tag auf einen nächsten gewartet, der mir meine heimlichen Wünsche erfüllen wird: den Weg nach Innsbruck, die Bücher aus Stams, eine feine Meßlatte, mit der ich jede Höhe messen kann, jeden Baum, jeden Turm, jeden Gipfel und ganz Oberperfuß und das ganze Inntal, auch eine Kugel hab ich mir erhofft, so riesig, daß einer darin hocken kann und sieht über sich alle Sterne aufgemalt und die Planeten an feinen Drähten, die herumgehn, wie die Uhr es bestimmt und wie sie oben am Himmel umgehn. Das alles hab ich mir vom nächsten Tag erhofft und immer wieder vom nächsten. Solang einer ein Kind ist, darf er das. Auch als ein junger Mann noch, als ein Sohn. In meinen Jahren aber darf einer nicht mehr so närrisch sein. Wo kam einer dann hin?“

„Eine närrische Angst ist das“, rief die Schwester und hing an seinem Hals. „Und wann hast du dir jene Kugel ausgedacht, und warum sagst du mir erst heut von dieser seltsamen Kugel? Die mußt du bauen, und du kannst es auch, schon im nächsten Winter mußt du sie schnitzen, und die Farben für die Sterne hol ich dir selber aus Innsbruck, wenn du nicht in die Stadt willst, wenn du dich fürchtest vor der Stadt.“

Sie rief das auf dem schon dämmernden Waldweg, abe'r Peter blieb auch jetzt ernst, ja er ward noch ernsthafter. „Wenn du die Angst närrisch nennst, sie peinigt mich deshalb nicht weniger. Wenn der Herrgott mich einmal vor sein Gericht stellt und mich befragt: Wie hast du mit deinem Pfunde gewirtschaftet, Peter? Ich weiß nicht, ob es dann genügt, wenn ich sage: ich bin ein guter Bauer gewesen, oder: ich habe die Arbeit für zwei getan, oder: ich hab dem Anichhofe die Treue gehalten. Ich weiß nicht, ob der Herrgott mit soldier Antwort zufrieden sein wird. Noch ärger aber ist es, wenn einer sidi diese Frage selber stellt. Das Gericht ist ja schon zu Lebzeiten in unserem Herzen, jede Stunde ist es da. Es ist noch ärger, weil einer die letzten Fragen, die wichtigsten nicht so genau kennt und vielleicht auch manche stellt, die es vor Gott gär nicht gibt oder die der Allmächtige gar nicht so meint. Auch kann einer mit sich selbst nicht so barmherzig sein, wie Gott es mit uns ist.“

Bei der Suppe daheim rückte Leni diesmal ganz nah an den Bruder heran, und sie spradi leiser, als es ihre Art war, obgleidi sie doch niemand außer ihm hören konnte. „Ich verstehe das vom Gericht, das schon zu unseren Lebzeiten gehalten wird, Peter, aber eines verstehe ich deshalb dodi nicht: Wenn es dich so sehr nach jenen Dingen treibt, die dir Gott selber ins Herz gelegt hat, weshalb hast du dann die Drehbank fortgeräumt und das Brett vom Birnbaum getan, selber die Kalender in der Truhe vergraben?

Fortsetzung folgt

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung