6727582-1965_38_06.jpg
Digital In Arbeit

Politische und kosmetische Operationen

Werbung
Werbung
Werbung

Der deutsche Wahlkampf 1965 ist neuerlich durch das Bemühen der Parteien gekennzeichnet, sich nicht über ihre Programme, sondern in erster Linie durch Persönlichkeiten darzustellen und die Wähler zu bewegen, aus dem gütigen Lächeln, aus Schlagfertigkeit und Gesten eines Bewerbers auf die politische Qualität einer Partei zu schließen. Da es auch in der Bundesrepublik weithin an Persönlichkeiten fehlt, die naturwüchsig wirksam sind, werden Experten und Honorationen im Rahmen schwieriger politisch-kosmetischer Operationen zu Persönlichkeiten gemacht. Wenn man von Konrad Adenauer absieht, steht neben den auf die mobilen Schaubühnen der Wahlkämpfe gezerrten und gemachten Persönlichkeiten 1965 offenkundig ein einziger Politiker, dessen Vitalität und positive wie negative Attraktivität derart ist, daß er einfach nicht mehr machbar, sondern bestenfalls korrigierbar ist: Franz-Josef Strauß.

Verfolgt man die deutsche Presse, so ist es möglich, heute von einem Phänomen Strauß zu sprechen, bei dem es sich um einen Politiker zu handeln scheint, an dessen Person sich eine perfekt reinliche Scheidung des Pro und Kontra vollzieht. Wo immer sich Strauß zeigt, sieht er sich mit Begeisterung und mit Haß konfrontiert. Sein Dasein auf dem Rednerpult allein ist schon Argument und Provokation.

Strauß ist also eine politische Persönlichkeit und mußte nicht erst zu einer solchen gemacht werden, wenn auch manche Retouchen nützlich wären, vor allem, wenn er nicht vor „Eingeborenen“ spricht. Zumindest liest Strauß seine Reden nicht „aus dem Zylinder“ ab, keinesfalls aber kann ihm jemand die schlagfertigen Antworten auf Zurufe präparieren, denen er nicht ausweicht und ausweichen will.

Das allein würde jedoch nicht die positive und negative Anziehungskraft des Politikers Strauß erklären. Es kommt nämlich noch hinzu, daß der linke Flügel der FDP und eine diesem Flügel nahestehende Presse (vor allem der „Spiegel“, weniger der „Stern“) seit Jahr und Tag nichts unversucht lassen, um die Öffentlichkeit ständig in der Sache Strauß in Atem zu halten. Dabei scheut man nicht davor, sich der Dienste eines SD-Mannes zu bedienen (Fibag-Prozeß). Daß Strauß seinen Gegnern bereitwillig Anlaß zu Angriffen bietet und den „Feind“

geradezu aufstöbert, fördert noch die Kontroverse. Überdies scheint der bundesdeutsche Wahlinteressierte endlich von Hinweisen auf Leistungskurven, in deren Schnittpunkt die Größe seiner Wohlfahrt ausgewiesen ist, übergenug zu haben und, von Sachlichkeit übersättigt, wieder einmal den sogenannten Vollblutpolitiker zu begehren oder zumindest als Gegner haben zu wollen. Der bei Redebeginn den Zwik-ker aufsetzende und dem Zuhörer nichtssagende Zahlen vorlesende Mußredner wird, weil unvermeidbar, akzeptiert. Aber nicht mehr. Dann will man einen Mann wie Strauß hören und sich von ihm provozieren lassen.

Trotz seines unleugbaren Naturtalents, seiner geistigen und rhetorischen Potenz wäre Strauß jedoch heute kaum noch bühnenwirksam, hätten sich die ehrenrührigen Anschuldigungen, die man seit Jahren gegen ihn erhoben hat, endgültig als richtig erwiesen. Die Rückkehr von Strauß auf die politische Bühne verläuft nun konform mit einer erstaunlich und gerichtlich beurkundeten persönlichen Rehabilitierung. Sicher wird nicht jedes Wort und jede Verhaltensgeste des ehemaligen Ministers einer strengen Prüfung standhalten. Seit Ignaz Seipel und (dem noch lebenden) Heinrich Brüning — um nur einige Namen aus der hohen Zeit des Parlamentarismus zu erwähnen — hat es jedoch kaum mehr Politiker gegeben, die politisch-rhetorische Aggressivität in gemessene Wortbildungen zu übersetzen vermochten. Warum soll Strauß eine Ausnahme sein? Wer übrigens die Zeitung des deutschen Bundestages „Das Parlament“ und die dort abgedruckten Reden der Abgeordneten aller Fraktionen liest, kann feststellen, daß vieles, was dem Hohen Haus an Meinungen vorgetragen wird, besser ungesagt geblieben wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung