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Privatgespräche

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Endlich bekamen wir dann vom „Institut für kulturelle Beziehungen“ wegen Dery, Häy und Lukäcs Bescheid,. und zwar einen sehr merkwürdigen: die offizielle Vermittlung wolle man nicht übernehmen, doch möge ich doch selbst im Telephonbuch nach- sehen und mich anmelden. Nun, der Mann, der sich unter der Nummer Tibor Derys sprechen ließ, meinte, er heiße wohl so, doch sei er nicht der Schriftsteller, und hängte ab. Häy stand nicht im Telephonbuch, seine Adresse war nirgends zu erfragen. Schließlich erfuhr ich seine Telephon- ‘ nummer doch, telephonierte mit ihm, und nachdem er sich vergewissert hatte, daß ich mit dem „Institut“ in Verbindung sei, und ich ihm erklärte, daß man mir gesagt habe, ich solle ruhig anrufen, vereinbarte ich einen Besuch.

An diesem Punkt muß ich allerdings die sicherlich gerade hier gewünschte Ausführlichkeit schuldig bleiben. Ich kann das Haus beschreiben, in dem Gyula Häy wohnt, und die Wohnung, in der ich ihm und seiner Frau gegenübersaß, und ihn selbst. Ein schönes,

1 stilles Haus am jenseitigen Ufer von Ofen, große, helle Räume, Stilmöbel,

‘ altes Prozellan, eine riesige Sitzgarnitur in mittelbraunem Samt. Ich ‘ habe Gyula Häy entgegen verbreiteten : Meldungen vollkommen gesund angetroffen, einen grauhaarigen älteren Herrn, lebhaft, voller geistiger Aktivi- , tät und keineswegs etwa so geschwächt, daß er nicht imstande wäre, Besuche ä zu empfangen. Er ist gesund, hat in s der Lade ein fertiges Theaterstück, e arbeitet an einem neuen und übersetzt für einen Staatsverlag eine Novellensammlung von C. F. Meyer. Aber man n kann, wie ich an mir selbst erfuhr, nur d durch ein sehr konsequentes Ausspre- o chen seines Wunsches gegenüber offi- h ziellen Stellen mit deren Wissen und abgenötigter Billigung — und nur die ist heute ein dem Besuchten gegen’ über verantwortbarer Weg — zu ihn Vordringen. Ich wurde von Gyula Hä) auch sofort gebeten, diese Begegnung nicht als Interview aufzufassen.

Mehr schreibe ich auch nicht übei Georg Lukäcs, den ich tags darau! ausführlich sprach. Er wohnt an Donaukai, in einem Haus im fünfter Stock, durch das große Fenster hinte: dem Schreibtisch sieht man den Stron und darüber den Geliertberg. Mar merkt dem schmalen, kleinen Mani mit dem markanten Gesicht die fünf undsiebzig Jahre, die er nun zählt nicht an. Wenn er, ohne jede Gesti und doch mit größter Lebhaftigkei redet, so wird die deutsche Sprache in der er seit fünfzig Jahren alle sein Bücher geschrieben hat, zu einen Wunderwerk an Präzision. Die Klar heit und Kraft seiner Worte zeigei uns, einen Geist von äußerster Schärf und einer nun ein halbes Jahrhundert umspannenden, stets sehr unmittelbar gewesenen und bis zum heutigen Tag herauf lebendig verarbeiteten Erfahrung. Lukäcs, so erkennt man sofort, weiß unendlich viel über den Westen und den Osten. Er ist heute mehr denn je eine der bedeutendsten Schlüsselfiguren zum Verständnis geistiger Situation beider Hemisphären. In seiner Lade liegt das umfangreiche Manuskript des ersten Bandes seiner „Ästhetik“, an der er sechs Jahre lang arbeitete. Er beginnt nun den zweiten Band. Und mehr sei auch hier nicht gesagt.

Wir wurden von orientierter Seite im Interesse der politisch im Schlagschatten stehenden Autoren dringend gebeten, nicht auch noch Tibor Dery aufzustöbern Wir haben es unterlassen und wollen nur berichten: Es geht auch ihm, dem heute Sechs undsechzigjährigen, gesundheitlich gut, er hat einen kurzen Roman utopisti- schen Charakters abgeschlossen, der in seiner Lade liegt, und Dery arbeitet weiter.

Im eigenen Käfig gefangen

An ein Loslösen der künstlerischen Probleme von den politischen Verknüpfungen ist in den Oststaaten nicht zu denken, da es ja auch in allen Stil- und Themenfragen politische Wünsche und Tabus gibt, so daß ein Gespräch über rein literarische und ästhetische Bereiche sofort politische Aspekte ausweist und den Befragten in größte Schwierigkeiten bringen kann. In Ungarn kommt zu dieser prinzipiellen Lage noch hinzu, daß ein Teil der Politik der letzten fünfzehn Jahre sehr aktiv von Schriftstellern betrieben wurde, denn man mag sich darüber keiner Täuschung hingeben: sowohl Gyula Häy als auch Tibor Dery und mit einigem Abstand Georg Lukäcs waren sehr intensiv mit Politik beschäftigt — und zwar vorerst damit, den Kommunismus in Ungarn überhaupt einmal einzuführen. Wenn Dery, Häy und Lukäcs heute zum Schweigen und harten Unannehmlichkeiten verurteilt sind, dann darf man nicht vergessen, daß sie jetzt die Methoden eines Regimes am eigenen Leib spüren, das sie selbst vor etwas mehr als zehn Jahren mit aller Energie zu errichten mitgeholfen haben. Freilich ergab dann die verwirklichte Volksdemokratie, aber auch sie erst nach recht geraumer Zeit, einige arge Differenzen zu ihrer Vorstellung, und nun schlossen sie sich der Gegenströmung an. Kein Zweifel, das Wort muß frei sein, von wem immer es kommt. Aber die Dinge liegen nicht ganz so einfach, wie man bei einem flüchtigen Blick aus westlichen Lehnsesseln oft glaubt, und weder Dery noch Häy, und auch nicht Georg Lukäcs, sind pure Märtyrer westlicher Geistigkeit. Der Haß, den die heutige Regierung ihnen gegenüber an den Tag legt, ist ein Haß gegen den abtrünnigen Bruder.

So also ist die Lage. Und doch muß man feststellen, daß die unübersehbare Tendenz zu einer gewissen Liberalisierung besteht: eine ganze Reihe von Schriftstellern reist ins westliche Ausland, sie publiziert in durchaus unorthodoxem Stil, man findet eine verblüffende Zahl von Werken westlicher Autoren in den Auslagen, und die Todfeinde Tibor Dery und Gyula Häy sind nach mehr als drei Jahren Gefängnis wieder frei. Das alles sind Lockerungen, die, am Westen gemessen, natürlich überaus bescheiden sind, vom Osten aus gesehen, aber sehr gewichtige Bedeutung haben.

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