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Problematische Festspiele

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In der Geschichte der Salzburger Festspiele wird dem Sommer 1947 vermutlich in zweifacher Hinsicht eine besondere Bedeutung zuerkannt werden: einmal, weil in ihm wieder künstlerische Leistungen erreicht wurden, die den Stempel des Außerordentlichen trugen und wirklich festspielmäßig genannt werden dürfen, dann aber auch, weil in ihnen der ernste Wille sichtbar wurde, neue Wege zu beschreiten und die bereits .deutlich sichtbare Gefahr der Erstarrung des Festspielgedankens in alten Formen zu bannen. Damit wurde auch die Möglichkeit einer Diskussion darüber, was hier an Altem und Bewährten beibehalten, was und wie umgestaltet werden soll, geschaffen. Wenn im folgenden auf eine zusammenfassende Würdigung des in diesem Jahre Gebotenen verzichtet und aussdiließ-lich das Problematische der eben abgeschlossenen Festspiele erörtert wird, so bedeutet dies keine mangelnde Anerkennung all des Schönen, das man heuer genießen konnte. Gerade jetzt aber, nachdem es sich gezeigt hat, daß wieder Kräfte zur Verfügung stehen, mit denen Höchstes gewagt werden kann, wächst natürlich auch das Verlangen, sie für jene großen Aufgaben verwendet zu sehen, die noch d*r Lösung harren. Der Bereich des Spielerischen und Artistischen, in dem man weitgehend verblieben war, muß endgültig durchbrochen und der Mensch von der Kunst wieder ganz erfaßt, erschüttert und erhoben werden.

Von diesem Gesichtspunkt aus vermochte schon die Gestaltung des Spielplans der klassischen Opern nicht ganz zu befriedigen. Warum beschränkte man sich auf die Opera buffa und verzichtete ganz auf Tdie Opera seria! Alles Entzücken über „Figaro“ und „Cosi fan tutte“ und auch die Freude über das Wiedersehen mit „Arabella“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Festspiele durch die Aufführung des „Fidelio“ oder einer Gluck-Oper, auch des „Idomeneo“ oder „Titus“, wenn man will sogar von Händel oder Rameau („Castor und Pollux“), eine ganz andere Weite und Tiefe hätten gewinnen können. Vom „Orpheus“ des Monteverdi bis zur „Elektra“ von Strauß ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, der Oper wieder ihre überragende Stellung im künstlerischen Leben zurückgewinnen, und Salzburg ist zweifellos der Ort, hier Bahnbrechendes zu leisten.

Als ausgesprochen problematisch wurde dieses Jahr der „Jedermann“ empfunden, und zwar gerade deshalb, weil seine Aufführung in vielen Einzelheiten gegenüber dem Vorjahr einheitlicher und lebendiger wirkte. Alle Bewunderung über die genialen legieeinfälle Max Reinhardts und die gleichbleibende Wirkung von Helene Thimigs \uftreten als „Glaube“ kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß man sich hier vom Geist der alten Mysterienspiele weit entfernt hat. Doch sollten Versuche unternommen werden, den unvergleichlichen Hahmen des Domplatzes in den Dienst der Wiederbelebung des Barockdramas, das ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen Kultur ist, zu stellen. Auch für Calderon könnte hier viel getan, Hofmannsthals „Das große Salzburger Welttheater“ sollte nicht ganz vergessen werden, und schließlich könnte man sich auch Max Mells wieder erinnern. An Möglichkeiten fehlt es also nicht.

Schwieriger steht es um die Verwirklichung des Wunsches, -das zeitgenössische österreichische Schaffen in die Festspiele einzubeziehen und es fcron diesem internationalen Forum aus in der ganzen Welt bekanntzumachen. Aller guter Wille kann die bedauerliche Tatsache nicht vertuschen, daß wir heute nicht annähernd mehr die Fülle an schöpferischen Begabungen besitzen, die uns nach dem ersten Weltkrieg zur Verfügung stand. Es gibt genug Mittel, den Nachwuchs zu fördern, und der, Vorwurf der Verkalkung brauchte noch nicht erhoben zu werden, wenn man für die Salzburger Festspiele ein für allemal den Grundsatz aufstellte, daß nur Kunstwerke von hohem Rang und in die Zukunft weisender Bedeutung in das Programm aufgenommen werden sollten. Mit einer Verflachung und Senkung des Niveaus ist niemand gedient.

Die Ausgrabung von Alexander Lernet-Holenias „Frau des Potiphar“ kann nur als ein peinliches Mißverständnis bezeichnet werden. Selbst wenn die Behauptung des Festspielführers zuträfe, daß es sich hier um eine „unterhaltende, dramatische Episode im Kostüm und mit dem Esprit der Renaissance oder des Barocks“ handle, wie sie vor Zeiten die Erzbischöfe bei ihren Hofdiditern in Auftrag gaben, so könnte sie doch nicht als ausreichende Begründung für die Wahl dieses Stückes zu einem so wichtigen Zweck angesehen werden. Denn erstens sollte nicht ein barocker Erzbischof mit seinem Hofstaat zwischen einem üppigen Mahl und einem Ball, sondern ein literarisch anspruchsvolles, internationales Publikum einen Abend lang unterhalten werden, und zweitens gelten heute diese komödienhaften Bearbeitungen mythologischer Stoffe wohl mit Recht als Machwerke, zu denen man „Die Frau des Potiphar“ um so eher zu rechnen geneigt sein wird, als die vor kurzem erfolgte Veröffentlidiung von Lernet-Holenias großartigem Gedicht „Germanien“ diesen als einen wirklidien Dichter erwies. Wer freilich daraufhin glaubte, ihn für so repräsentativ halten zu können, daß sein Name bereits für Qualität bürge, befand sidi in einem Irrtum. Lernet-Holenia hat schon früher nicht das Verantwortungsgefühl besessen, in seiner Produktion und vor allem bei deren Veröffentlichung ein gewisses Niveau zu halten. Daß er dies auch heute noch nicht gelernt hat, bedeutet eine bittere und entmutigende Erfahrung.

Die Welturaufführung der Oper „Dantons Tod“ von Gottfried von Einem im Rahmen der Salzburger Festspiele wird auch von denen problematisdi empfunden werden, die , sich von ihrer Ehrlichkeit und Stärke angenehm berührt fanden. Man kann von einer Schöpfung, die in einer so chaotischen uftd innerlich zerrissenen Zeit entstanden und darüber hinaus auch noch das in dieser liegende Grauen zur Darstellung bringen will, nicht erwarten, daß sie bereits ein reines und reifes Kunstwerk bedeute. Es erscheint sehr fraglich, ob ihr mehr als eine zeitlich eng begrenzte Wirkung beschieden sein wird. Können wir aber in der nächsten Zukunft überhaupt auf Werke hoffen, die gerade nach Salzburg passen? Die Wahrscheinlichkeit ist gering, und deshalb wird man die Aussichten auf eine Erneuerung der Festspiele aus dem zeitgenössischen Schaffen pessimistisch beurteilen.

Man wird nicht darum herumkommen, die Frage danach, was letzten Endes mit den Festspielen bezweckt werden soll, noch viel gründlicher und tiefer durchzudenken, als dies bisher geschehen ist. Freilich werden die scharfsinnigsten Kalküle für sich allein nidits nützen. Entscheidend ist, daß die richtigen Persönlidikeiten die Sache in die Hand nehmen*. Wer Gelegenheit hatte, dieses Jahr wieder die geretteten Fresken Anton Faistauers für das Festspielhaus zu betrachten, der konnte etwas von dem Geist verspüren, aus dem heraus allein die unserer Zeit entsprechende Überwindung der bestehenden Problematik der Festspiele zu erwarten ist.

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