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Reden wir doch wie Christen

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Es ist durchaus in Ordnung, wenn unter Katholiken über die Neugestaltung der römischen Liturgie gesprochen wird. Unsere Kirche ist — was immer ihre Feinde meinen mögen — wohl eine „acies ordinata“, eine geordnete Schlachtreihe, nicht aber ein Kasernenhof; es steht Katholiken frei, innerhalb der geoffenbarten Wahrheiten und der ober-hirtlichen Weisungen ihre Meinungsverschiedenheiten zu äußern. Hier rechtfertigt zudem die Wichtigkeit des Gegenstands die gründlichste Aussprache. Nichts auf der Welt rechtfertigt aber die Tonart, in die man bei Freunden und Kritikern der Neuerungen mancherorts geraten ist; es sei gestattet, an beide ein Wort inständiger Bitte zu richten.

Zunächst möchte es scheinen, daß es da nicht vieler Worte bedarf. Aus höchstberufenem Munde haben wir ja konkrete, detaillierte Anweisungen darüber, wie sich Katholiken bei solchen Meinungsverschiedenheiten zu benehmen haben. Vor neunzehnhundert Jahren gab es ja ähnliche Probleme, als Judenchristen und Heidenchristen, mitten unter Juden und Heiden, als einträchtige Gemeinschaft leben sollten. Wie weit ist angestammte fromme jüdische Sitte zu bewahren? Wie weit ist, im Gegenteil, angestammtes heidnisches völkisches Brauchtum zu verwerfen? Darüber ereiferten sich die Frommen; und der Völkerapostel geht auf manche Einzelfragen ein. Doch alle seine Anweisungen lassen sich in wenigen Worten zusammenfassen: Nehmt aufeinander Rücksicht! Oberste Richtschnur ist die Absicht, dem Glaubensbruder nicht Ärgernis zu geben, sondern ihn zu erbauen: beide Ausdrücke in ihrem ursprünglichen wörtlichen Sinn verstanden. Ich darf meinem Bruder nicht Ärgernis geben — das heißt, ich darf ihn nicht ärger machen, bei ihm nicht Unlust, Antipathie, Verdacht, Gegnerschaft wecken. Ich soll ihn erbauen: seinen seelischen Aufbau fördern, nicht niederreißen, ihm das christliche Gemeinschaftsleben leichter, nicht schwerer machen...

Was haben demnach Geistliche und Gläubige zu tun, wenn die Seelenhirten nach ihrer Zuständigkeit, Einzelheiten nach Gutdünken zu regeln, die Gemeindeglieder aber bei der tatsächlichen Gestaltung des Gottesdienstes mitzuwirken haben? Es will scheinen, daß jeder zunächst an jene Glaubensbrüder denken soll, die entgegengesetzter Ansicht sind. Ist einer von den Neuerungen begeistert, wünscht er gar noch weitere? Dann hilf uns doch, im neuen Gottesdienst noch immer denselben Trost zu finden, den wir im alten fanden! Laß uns fühlen, daß auch du mit dem Priester das Psalmwort sprechen kannst: „Herr, mir ist die Zier Deines Hauses liebgeworden!“ Sieh zu, wieviel von den alten Gebräuchen, den alten Liedern sich mit dem Wortlaut und dem Sinn der neuen Anweisungen vereinen lassen! Schaffe nichts ab, was christlichen Seelen wohl tut; sieh zu, daß erhaltene alte Bräuche so verständlich werden wie neue, daß neue Bräuche so liebenswert werden wie alte!

Und ist einer über manche Neuerung betrübt, fällt es ihm zunächst schwer, aus dem neuen Gottesdienst geistlichen Nutzen zu ernten? Dann wollen wir dennoch nicht abseits stehen; dann wollen wir doch helfen, den heutigen Gottesdienst so schön zu machen, als wir ihn nur wünschen können. Uns liegt ob, nachzuweisen, daß wir nicht unbrüderliche Gefühle gegen unsere neuerungsfreudigen Glaubensgenossen hegen; daß die alten Bräuche uns zu christicher Lebenshaltung erbaut haben; daß wir zum willigen Gehorsam gegenüber der oberhirt-lichen Leitung erzogen sind.

Und zur Debatte? Da ist doch flehentlich zu sagen: Um Gottes, ja, buchstäblich um Gottes willen! Reden wir doch miteinander wie Christen, wie Brüder, wie Mitglieder des geheimnisvollen Leibes des Herrn! Ist es erträglich, wenn wir nahe daran sind, im Hause des Herrn die übelsten Sitten des politisierenden Marktplatzes nachzumachen und den Außenstehenden zum Spott zu werden? Noch ist es, Gott sei Dank, nicht so weit in Österreich; aber es gibt Länder, wo es schon zu Randalier- und Skandalszenen an geweihter Stätte gekommen ist. Da ist keine Sorgfalt zuviel, und an die Vertreter der verschiedenen Ansichten haben wir daher unsere Bitten zu richten.

Den Neuerungsfreund bitten wir also zunächst, auf der Hut zu sein vor jener Fernstenliebe, die zuweilen der Nächstenliebe im Wege steht. „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie wird er Gott lieben, den er nicht sieht?“ Und — wie wird er den atheistischen Proletarier lieben, den er — in der Kirche jedenfalls — nicht sieht, wenn er über den Kirchengänger, den er sieht, nur in mehr oder weniger lieblosen Scherzen redet? Was uns Altertumsfreunde betrifft, bitten wir unsere mit den Neuheiten zufriedene Brüder, in einem anderen Ton mit uns zu reden als mit einem hämischen „Der Bien will nicht, aber er muß“. Wir müssen gar nicht; das bürgerliche Gesetz gestattet uns, sowohl dem neugestalteten als jedem anderen Gottesdienst fern zu bleiben, ja es belohnt den Kirchenaustritt mit Wegfall der Kirchensteuer. Wenn wir also dableiben, so haben wir dafür unsere Gründe, die uns denn doch einen Anspruch auf einen etwas kordialeren Tonfall zu geben scheinen. Wir sind alle Brüder!

Und auch wir Altertumsfreunde haben Anlaß, uns an diese Wahrheit etwas energisch zu erinnern. Wie vor der Hölle — und wieder ist dieser Ausdruck buchstäblich gemeint —, haben wir uns vor der Versuchung zu hüten, uns als Elite, als „ecclesiola in ecclesia“, als Reine, Katharoi, als Altkatholiken abzusondern. Wir malen keinen fiktiven Teufel an die Wand! In gewissen Ländern ist die Gefahr durchaus aktuell, daß man geschichtliche Ereignisse wiederholen könnte. Nur viel Liebe bei den Oberhirten, nur rechtzeitige Besinnung bei den Verbitterten, nur brüderliches Bemühen bei den andersgesinnten Katholiken kann es verhindern, daß jene Geschichtsbilder nachvollzogen werden: die „Märtyrerkirche“ der Donatisten, die sich von den „Traditores“ schieden (welche die Kirchengeräte Nordafrikas ausgeliefert hatten); die Alt-glauber, welche die gottesdienstlichen Neuheiten des Moskauer Patriarchen verwarfen und die einzig echten Orthodoxen sein wollen; die Jansenisten, die sich Katholiken nannten und in der Kirche leben wollten, wenngleich sie päpstliche Entscheidungen verwarfen und dem Bann unterlagen; die „Kleine Kirche“ Frankreichs, welche die neuen Konkordatsbischöfe unter Napoleon I. verwarf... Wir müssen zu unserer alten Uberzeugung stehen, daß die jeweilige katholische Gottesdienstordnung vom in der Kirche „herrschenden und belebenden“ Heiligen Geist bestimmt ist; zu unserer alten Uberzeugung, daß die sichtbare Kirche, sich selbst gleich, vom Irrtum unüberwunden, besteht bis an das Ende der Tage. Ohne den triftigsten, sichersten Beweis des Gegenteils müssen wir im andersdenkenden Katholiken den Bruder sehen, der über den Weg anders, über das Ziel gleich denkt.

Von beiden Seiten darf man verlangen, daß sie bei dieser kirchlichen Angelegenheit die Politik aus dem Spiel lassen. Die politische Einstellung hat sachlich mit dieser Frage nichts zu tun: es kann ohne weiteres ein Monarchist an der Betsingmesse und ein Sozialdemokrat an dem Gregorianischen Gesang Gefallen finden. Doch weil es manche von uns gibt, die verschiedene neue Riten beklagen und sich in der Politik zur Tradition bekennen, wollen wir zum Abschluß die Worte eines traditionalistischen Fürsten anführen, der es mit allzu ausschließlichen Inte-gralisten zu tun bekam, nachdem er gegen die Fortschrittler gefochten hatte. Da erklärte Karl VII. von Spanien feierlich: „Keinen Schritt, weder vorwärts noch rückwärts, weiche ich von der katholischen Kirche ab.“ Dabei haben wir alle zu bleiben.

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