6558429-1948_35_05.jpg
Digital In Arbeit

REVUE IM AUSLAND

Werbung
Werbung
Werbung

Die meisten französischen Zeitschriften gedenken in ihrer Augustnummer der hundertjährigen Wiederkehr dės Todes von Chateaubriand. Die zwischen den beiden großen Lagern seiner Zeit, den antiklerikalen Revolutionären und den legiti- mistischen Ultras stehende und daher von beiden Seiten zugleich bewunderte und geschmähte Gestalt des Verfassers von „Le Genie du Christianisme“ und der „Me- nioires d’outre-tombe“ erscheint bei diesem Rückblick über ein Jahrhundert in einem überaus aktuellen Licht. In der „Revue de Paris“ unterstreicht der bekannte rationalistische, den Kommunisten nahestehende Philosoph Julien Benda („La trahison des clercs“, „La France Byzantine“) unter dem Titel „Chateaubriand, kein waschechter Romantiker“ die klassizistisdien Züge im Bilde dieses Vaters der französischen Romantik. Als ein Erbe des 18. Jahrhunderts und seiner humanistischen Erziehung habe Chateaubriand stets an den von den klassischen französischen Denkern und Dichtern entwickelten ethischen und ästhetischen Normen festgehalten.

„Wenn man Romantik die Darstellung des Lebens nennt und Klassik die Stilisierung des Lebens, so gehört Chateaubriand eindeutig zur zweiten. Schließlich gehört er zu ihr auch durch die Forderung, daß das geschriebene Wort immer irgend etwas aussagen müsse, und dadurch, daß ihm das J’art-pour-l’art’-Dogma völlig unbekannt ist. Niemals hätte er, wie manche unserer gegenwärtigen Koryphäen, die Heiligkeit der Form an sich gepredigt."Trotz seiner starken Verbindung mit der klassischen, französischen Tradition aber stelle Chateaubriand in dreifacher Hinsicht einen Wendepunkt in der französischen Literatur dar: durch seine Haltung gegenüber der Geschichte, seine Ich-Bczogenheit und schließlich durch sein ständiges Eingreifen in den Gang der politischen Ereignisse.

Als Monarchist, als Katholik, vor allem aber als Künstler sei Chateaubriand den Entwicklungen seines Jahrhunderts durchaus feindlich gegenübergestanden und habe sie doch zugleich mit seltener Klarheit erkannt.

„Für diese, oberflädilichen Betrachtungen unsichtbaren, tiefen Wandlungen zeigt Chateaubriand eine klare Einsicht, da er eine Gabe besitzt, die so selten ist bei allen Menschen, besonders aber bei denen, die, mit bildhafter Vorstellung begabt, meist nur für den Schein empfänglich sind: den Sinn für die entscheidenden Fragen."

Trotz seiner Feindschaft gegenüber den Erscheinungen der modernen Welt würde er daher auch heute wohl eine große Zahl der Neuerungen hinnehmen.

„Denn er würde erkennen, daß sie aus der Gegebenheit erfließen, für die er offenbar ein so tiefes Verständnis besaß: die historische Notwendigkeit, wenn er schreibt: ,Die politische Unbeweglichkeit ist unmöglich … Respektieren wir die Majestät der Zeit; betrachten wir mit Verehrung die vergangenen Jahrhunderte .., Versuchen wir nicht, zu ihnen zurückzukehren. Schließlich würde er diese Neuerungen annehmen, weil er in höchstem Ausmaß jene Fähigkeit besaß, die, wie meine Leser gewiß zugeben werden, das Zeichen wahrer Intelligenz ist, während sie zugleich feststellen werden, daß. sie heute bei allen Parteien so selten geworden ist: die Fähigkeit, auch das zu verstehen, was man nicht liebt.“ Aus dem Zwiespalt zwischen der unwandelbaren Treue des bretonischen Edelmanns zur Dynastie und seiner Einsicht in die Unabwendbarkeit der geschichtlichen Entwicklung erklärt auch F. Beau de L o m e n i e in einem Artikel der „Revue Hommes et Mondes": „Ein Jahrhundert Chateaubriand“ sowohl die Bitterkeit seiner letzten Jahrzehnte, wie das zwiespältige Urteil der Mit- und Nachwelt. Seine eigenen, im Jahre 1827 geschriebenen Worte: „Ich werde weiterhin, unter dem Banner der Religion, in der einen Hand die Oriflamme der Monarchie, in der anderen die Fahne der öffentlichen Freiheiten halten“, kennzeichne seine Position als „liberaler“ katholischer Legitimist, der von den Ultras wie von den Radikalen gleicherweise bekämpft wurde.

Einen interessanten Beitrag zu dieser Problematik bietet die seit Jahresbeginn als Nachfolgerin der „Revue des Deux Mondes“ erscheinende Halbmonatsschrift „L a Revue, Litterature, Histoire, Arts et Sciences des deux mondes“, die in ihren Nummern vom 1. Juli und 1. August von Maurice

Levaillant veröffentlichte, bisher unbekannte Dokumente über „C h a teufe r i a n d und die Herzogin von B e r r y“ bringt. Die Herzogin, die einzige tatkräftige Persönlichkeit im royalistischen Lager nach 1830, hatte Chateaubriand zu ihrem Ratgeber gewählt und dieser, das Ideal einer fortschrittlichen Monarchie nach englischem Muster vor Augen, versuchte vergeblich, eine Versöhnung zwischen der „herzoglichen Sünderin“ und dem in Prag grollenden Karl X. zustande zu bringen. Auch die Zusammenkunft in Leoben im Oktober 1833 konnte kein wirkliches Einverständnis bringen, und bitter schrieb Chateaubriand, daß er wohl gerne einer verlorenen Sache anhängen wolle, „aber nidit einer vertrottelten und dekadenten Koterie, die nach Frankreich mit Gebeten und fremden Armeen, zwischen Kirchengesängen und Kosaken zurückkehren möchte“.

Die Nummer vom 1. August von „La Revue" enthält ferner unter anderen einen Artikel von Jean de Saint-Chamant „Die Enzykliken und der Marxismus“, der die eindeutige Ablehnung des Kommunismus durch Rom den französischen Katholiken eindringlich in Erinnerung ruft, sowie einen großen Artikel von Edouard Lavergne „Tunesien oder das Wunschbild der Unabhängigkeit“, der den gegenwärtigen Stand der tunesischen Unabhängigkeitsbewegung untersucht. Zu den| bisherigen Unabhängigkeitsbestrebungen, dem 1920 gegründeten „Destour“ („Verfassung“) und dem 1934 davon abgespaltenen Neo-Destour, die beide heute durch Habib Bourguiba von Kairo aus gelenkt werden, sei nach dem zweiten Weltkrieg der „Moncefismus" getreten, dis heißt die Verstimmung mancher Tunesier über die Absetzung des früheren Bey, Sidi Mohammed Moncef Bey, am 14. Mai 1943. Dennoch dürfe man diese Bewegungen auch nicht überschätzen, da einmal „ein Tunesier (oder ein Algerier oder Marokkaner) im Jahre 1948 unendlich freier ist als ein Finne, Balte, Pole, Bulgare, Ungar, Rumäne oder Tscheche", andererseits, die Tunesier, die nicht berufsmäßige Politiker sind, wenn man von ihren „Führern“ spridit, „nicht umhin können zu lächeln oder sogar zu lachen“.

Die Zukunft hänge daher vor allem von der Einsicht und der Autorität der Männer ab, die Frankreich in Nordafrika vertreten.

„The New Statesman and Nation" zieht in der Nummer vom 14. August die Bilanz übet „D as erste Jahr der Unabhängigkeit" des indischen Subkontinents. Trotz allen Unruhen und

Kämpfen und der bisher ungelösten Probleme, die sich aus dem Kaschmir- und Haiderabad-Konflikt ergeben und ergeben werden, steht die sozialistische Wochenschrift auf dem Standpunkt, daß der Entschluß der englischen Regierung durch die Entwicklung dieses ersten Jahres, der indischen Unabhängigkeit voll gerechtfertigt worden sei. Von den hunderten „souveräner“ Fürstenstaaten hätten sich nur zwei, eben Kaschmir und Haiderabad, nicht an eines der beiden Dominions angeschlossen, so daß die befürchtete „Balkanisierung“ Indiens nicht eingetreten sei. Wohl habe der ständige Bürgerkrieg das Elend und die soziale Spannung und damit die Gefahr einer kommunistischen Revolution in Indien erhöht, so daß manche ausländischen Beobachter die gegenwärtige Situation in Indien mit der des zaristischen Rußland am Vorabend der Revolution vergleichen.

..Aber ein Gegengewicht gegen einen derartigen Aufstand bildet nicht allein die wachsende Macht der Rechten, die mit allen Mitteln eine friedliche und erst recht eine gewaltsame Revolution, verhindern will, sondern auch die unwägbare Schwerfälligkeit und Unbeweglichkeit von 300 Millionen halbprimi- tiver indischer Bauern. Viel Wasser und vielleicht viel Blut wird noch die großen Ströme Indiens hinabfließen, bevor dieser soziale Konflikt, der so viel tiefer liegt als der gegenwärtige Kampf zwischen Hindus und Moslims, eine Lösung finden wird.“

Die von Neville Bray brocke herausgegebene katholische englische Vierteljahrschrift „The Wind and the Rain“ widmet ihre eben erschienene Sommernummer ganz der indischen Frage. Neben einem Artikel von Morwenna Donnelly über den zeitgenössischen indischen Mystiker Sri Auribondo (den Verfasser von „The Life Divine") und einem Artikel de» kürzlich verstorbenen Ananda K. C oo maras wamy „Wer ist ,Satan' und wo ist die .Hölle “, der die Vertrautheit des indischen Denkers mit der abendländischen Mystik, mit Meister Eckhart, Jakob Böhme und Angelus Silesius offenbart, enthält das Heft vor allem einen interessanten, im August 1942 geschriebenen, aber von der englischen und amerikanischen Presse aus kriegstaktischen Gründen übergangenen offenen BriefGandhisan Tschang- kaischek. Gandhi, der an die Zusammenkunft mit dem chinesischen Marschall und seiner Frau in Kalkutta erinnert, versichert in diesem Brief seine tiefe Sympathie für das chinesische Volk in seinem Kampf gegen die japanischen Angreifer, die damals ja auch vor den Toren Indiens standen.

„Wegen dieser meiner Freundschaftsgefühle gegenüber China und meinem ernsthaften Wunsch, daß unsere beiden Länder enger aneinanderrücken und zu ihrem gegenseitigen Vorteil Zusammenarbeiten, bin ich begierig, Ihnen zu erklären, daß mein Appell an Großbritannien, sich aus Indien zurückzuziehen, in keiner Weise oder Form beabsichtigt, die Verteidigung Indiens gegenüber den Japanern z.u schwächen oder China in seinem Kampf zu behindern. Indien darf sich keinem Angreifer oder Eindringling unterwerfen und muß ihm Widerstand leisten. Ich möchte nicht die Schuld auf mich laden, die Freiheit meines Landes auf Kosten der Freiheit Ihres Landes zu erkaufen. Dieses Problem gibt es für mich überhaupt nicht, da ich überzeugt bin, daß Indien auf diese Weise seine Freiheit nicht gewinnen kann und daß eine japanische Herrschaft über Indien oder China in gleicher Weise eine Schädigung der anderen Nation und des Weltfriedens darstellen würde. Diese Herrschaft muß deshalb verhindert werden, und ich möchte, daß Indien daran seinen natürlichen und rechtmäßigen Anteil hat."Aber nur ein freies Indien könnte diese Aufgabe erfüllen und — wie Gandhi selbst möchte — durch passiven oder — wozu sich wahrscheinlich eine indische Regierung entschließen würde — durch aktiven Widerstand den Japanern entgegentreten. Wie weit Gandhi dabei gehen wollte, zeigt folgende Stelle:

„Um völlig klarzustellen, daß wir auf alle Fälle einen japanischen Einfall verhindern wollen, würde ich persönlich damit einverstanden sein — und ich bin sicher, daß auch die Regierung des freien Indien damit einverstanden wäre —, daß die alliierten Mächte durch einen Vertrag mit uns ihre Streitkräfte in Indien lassen und unser Land als eine Basis für Operationen gegen einen drohenden japanischen Angriff verwenden.“

Adam

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung