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Romanbüd eines Bildromans

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Schon aus dem leicht variierenden Titel des kleinen Romans „Der Tod des Grafen Ortiz” von Hans Heinz Hahnl geht hervor, daß hier keine bloße Beschreibung des berühmten Gemäldes „Der Tod des Grafen Orgaz” von El Greco vorliegt, sondern eine eigenwillige, originelle Deutung. Teilnehmer von Spanienrundfahrten bewundern das Werk pflichtgemäß in Toledo.

Der Buchumschlag zeigt jenen Ausschnitt, der den kritischen Romanschreiber Hahnl inspirierte.Vorne der Tote (oder gerade Sterbende) in den Armen des Kardinals und im Hintergrund die hintergründige Reihe von anderthalb Dutzend beobachtender Honoratioren mit verdächtig teilnahmslosen Gesichtern. Es ist das beeindruckend unbeeindruckte Mienenspiel der hohen Herren, das (für den Autor) tief blicken läßt. Lebhaft drückt es aus, daß sie mehr vom Toten wissen, als sie offen zugeben würden, oder daß sie wenigstens mehr zu wissen glauben — jeder von seinem persönlichen Standpunkt aus.

Der Charakter des Grafen muß widersprüchlich gewesen sein, so wie die recht widersprüchlichen Meinungen, die kapitelweise zu Wort kommen. War er ein Lump oder ein Idealist, wurde er zurecht oder unschuldig umgebracht, dem nun der Hohepriester posthum seinen Segen verleiht?

War es gar kein Mord, sondern Selbstmord oder der Tod eines Menschen, unvorhergesehen eingetreten für seine Umgebung? War der Graf ein gewissenhaft Liebender, ein Betrüger und vielleicht überhaupt kein Graf, aber ein gewissenloser Verführer? War er Philanthrop oder Ausbeuter?

Alles ist möglich, und alles Mögliche kann vermutet werden, wie man sieht, wenn man dieses Kunstwerk nachdenklich ansieht. Es stellt uns kirchliche neben weltlicher Macht vor Augen und den durch einen anscheinend jähen Tod entmachteten Grafen, also einen von denen, die den Hintergrund ausmachen, aber wohlweislich die - eventuellen -Hintergründe nicht verraten, ja den Beschauer raten lassen, ob und wie weit der eine oder der andere Bescheid weiß über die Ursachen des Ablebens dieses Renaissance-Prominenten.

Die Vielfalt der (eher als Selbstgespräch, quasi als innerer Monolog) formulierten Vermutungen gibt auch zu bedenken, wie schwierig bis unmöglich es ist, Leben und Tod eines Nebenmenschen eindeutig zu erfassen. Jede allzu strikte Erzählung kann sich verzählen; so die Grundansicht des Siebzigers und bekannt skeptischen Wiener Kulturkritikers Hans Heinz Hahnl.

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