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Der österreichische Hörfunk wies am 1. Jänner 1969 2.050.829 Abo-nenten gegenüber 2.090.361 am 1. Jänner 1968 auf. Man kann annehmen, daß die Abnahme von rund 40.000 Hörern zugunsten des Fernsehens zustande gekommen ist. Im Ausland ist's noch viel ärger, und man erwägt allerorten heftige Einschränkungen bei der Budgetierung der Hörfunkprogramme und dafür Erhöhungen fürs Fernsehen, die sich sowieso durch durchgängige Umstellungen auf Farben als nötig erweisen. So tobt derzeit in Großbritannien ein Proteststurm gegen eine beabsichtigte Verringerung der Musiksendungen im Hörfunk. Dies mit Recht, und man täte gut daran, sich derlei bei uns wohl zu überlegen, ehe man ähnliches in Betracht zieht. Für die Musik ist der Hörfunk gegenüber dem Fernsehen das eigentliche; wesenhaftere' Medium. Fernsehübertragungen von Konzerten mögen '.zwar hin und wieder einigen Reiz durch das Auftreten besonders interessanter Dirigenten und Solisten haben und dadurch der Propagierung der Musik dienen. Das echte Musikpublikum braucht jedoch nicht für die Musik geworben zu werden. Es will so viel und so gute Musik als nur möglich. Das bringt der Hörfunk billiger zustande, weil dort eine Musiksendung weit weniger kostet als im Fernsehen. Nicht davon zu reden, daß Musik zum Hören da ist und nicht zum Anschauen.

Ebenso ist bereits so gut wie erwiesen, daß der Hörfunk in der Übermittlung von Nachrichten nicht nur die Presse endgültig geschlagen hat (Sie hat sich allerdings noch nicht imstande gezeigt, irgendwelche Konsequenzen daraus zu ziehen, und so wird noch manches Blatt ins Gras beißen, ehe die Presse aufwachen und sich umstellen wird). Auch das Fernsehen ist tatsächlich außerstande, mit dem Hörfunk in der Bewältigung und Übermittlung der ständig einfließenden Masse von Nachrichten aus dem In-und Ausland zu konkurrieren. (Was nicht besagt, daß der Hörfunk bei uns nicht noch mehr leisten könnte, um neue, zusätzliche Nachrichtenquellen zu erschließen.) Wir können bemerken, daß das Fernsehen darin exzel-liert, wenige einzelne besonders interessierende Ereignisse auszuschlachten (so etwa zuletzt die französischen Präsidentschaftswahlen und dergleichen. Gerade hier fehlt es jedoch meist an Hintergrunddarstellungen solcher Ereignisse.) Wovon wir jedoch beim Aufkommen des Fernsehens geträumt hatten, daß uns das Geschehen hinter jeder Nachricht bildhaft vermittelt werden würde, ist vorläufig immer noch ein Traum, der wahrscheinlich noch lange nicht verwirklicht werden wird. Nicht einmal die ganz großen Nachrichtenagenturen wie A. P., U. P. I. und ADN sind bis heute imstande gewesen, eine der Berichterstattung durch das Wort vergleichswerte durch Film und Bild zustande zu bringen. So ist die Verlesung von Nachrichten im Fernsehen selbst durch noch so telegene Sprecher im Grund genommen unnötig und auch nicht imstande, mit den viel häufigeren und reichhaltigeren Nachrichtensendungen des Hörfunks zu konkurrieren. Was nur gesagt werden kann, ist des Hörfunks. Was gezeigt werden kann, ist des Fernsehens.

Fast alle Literatur hat jedoch weder im Hörfunk noch im Fernsehen etwas verloren. Die Herkunft des Wortes deutet es schon an, litt er a: der g e-schriebene somit zu lesende Buchstabe. So sind Romanvor-lesungen in Fortsetzungen fragwürdig, Romane sind zum Selbstlesen da. Was anderes ist's mit der Lyrik; dort gilt der Rhythmus und der Reim, und deren Deklamation hat es in der Tat schon gegeben, ehe noch geschrieben und gedruckt worden ist. Mit dem Spiel, das eine Handlung beinhaltet, ist es wieder etwas anderes. Ich hörte unlängst im Radio ein Kriminalhörspiel und fühlte mich die ganze Zeit über gezwungen, mir auszumalen, wie es im Fernsehen aussehen würde. Das Hörspielen verdankt seine Existenz einer Zeit, in der es das Fernsehen noch nicht gegeben hat. Mit diesem hat es, fürchte ich, seine Berechtigung eingebüßt. So Interessantes in diesem Genre hervorgebracht worden ist, so ist doch bezeichnenderweise in den über fünfundvierzig Jahren des Hörspiels keine große spezielle Literatur entstanden. Bei aller Leistung und allem Appell an Phantasie ist es wahrscheinlich doch immer nur ein Notbehelf gewesen. Allerdings wird das Fernsehen erst zu beweisen haben, daß es Besseres hervorzubringen imstande ist.

Wenn ich mir die Geistigkeit mimenden Gesichter mancher Teilnehmer an gelehrten Diskussionen, ja noch diejenigen einzelner Vortragender und die klägliche „Lockerheit“ vortäuschenden mancher Politiker vor der Fernsehkamera ansehe, neige ich dazu, auch solche Veranstaltungen an den Hörfunk zu verweisen. Wer allerdings das Fernsehen als großen Entlarver menschlicher und charakterlicher Unzulänglichkeit von Scheingrößen ansieht, wird mir nicht rechtgeben. So bedeutet das Fernsehen keineswegs das Ende des Hörfunks. Es wird im Gegenteil zu dessen Gunsten auf alles verzichten müssen, das nicht wirklich sichtbar gemacht werden kann. JOSEF TOCH

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