6659692-1959_50_14.jpg
Digital In Arbeit

Schiller und die hohen Tugenden

Werbung
Werbung
Werbung

Im germanistischen Seminar der Wiener Universität bekam ich in den ersten dreißiger Jahren unter Josef Nadler Schillers „Fiesco“ als Arbeitsthema. Ich kann nicht sagen, daß ich darüber sehr glücklich gewesen wäre. Wenn es aber nun schon einmal sein mußte, dann wollte ich wenigstens bei dieser Gelegenheit auch möglichst vieL von dem anbringen, was ich damals gegen Schiller ins Treffen zu führen hatte. Und „Die Verschwörung des Don Fiesco zu Genua“ schien mir dafür keine schlechte Gelegenheit. Wo konnte man besser Schillers Schwarzweißmalerei an reinen Seelen und Schurken, seine ganze psychologische Maschinerie, die Ahnungslosigkeit seiner Frauengestalten, vor allem jedoch sein Pathos treffen? Und wenn wir damals von Pathos sprachen, dann mußte das immer hohl oder falsch oder verlogen oder verstiegen, mindestens aber lächerlich sein.

Meinem akademischen Lehrer wird diese Arbeit wohl als eine traurige Frucht des schönen Kollegs über die Weimarer Klassik erschienen sein, das er damals hielt. Sei es jedoch, daß meine Thesen mehr oder minder leidlich entwickelt schienen, sei es, daß er seine Toleranz gegen Intolerante damals schon zeigte — jedenfalls ließ er sie gelten. Ich schien mir damals mit meinen 20, Jahren ja wohl auch selber viel origineller und ketzerischer, als ich in Wirklichkeit war. Ich überblickte nöch keineswegs,’daß ich damit nur ein junger Landsknecht im großen Aufstand war, der von links und von rechts gegen den „nationalen Dichter” im Gang war. Allerdings kam ich schon aus der Schule des Anführers in diesem Aufstand und hatte ungefähr jede Zeile präsent, die Nietzsche gegen Schiller geschrieben hatte. Und ihm ging es ia nicht allein um das Pathos. Für ihn ging es um den „Idealismus". Wenn es währ ist, daß Platonismus der klassische Idealismus und daß das Christentum nichts als „Platonismus fürs Volk“ ist, dann mußte neben Kant, dem „großen Chinesen von Königsberg“, Schillers „gehobener Busen“ sein ganz natürliches Angriffsziel Sein. Selbst gegen Beethoven hatte er ja nichts Schlimmeres einzuwenden, als daß „soviel Schiller, genauer gesagt, soviel Thekla“ in ihm sei. Das Aeußerste aber, was er gegen die Deutschen des neuen Reichs überhaupt wußte, lief darauf hinaus, daß sie von Schiller und Goethe sprächen, die beiden also in einem Atem nennten und auf die gleiche Ebene stellten. Wie mußten den Lehrer der zarathustrischen Härte („Den Daumen auf die Jahrtausende härter als Diamant"), wie mußten ihn Schillers „weiche Seelen“ und „rührende Situationen“, seine „schmelzende Schönheit“ herausfordern. Seine größte Frage aber mußte der Gipfel von Schillers Aesthetik sein: „der schöne Schein". Das war für ihn das Einbekenntnis idealistischer Schönrederei, Falschmünzerei: „die Dichter lügen zuviel!". Nietzsches „Geist“ war „das Leben, das in sein eigenes Fleisch schneidet“ - gerade die Auflösung allen Scheins, aller Illusionen vom „ewigen Sein" in den „ewigen Kampf“ des „Willens zur Macht“.

Auf diese Alternative muß man vielleicht die Frage zurücktreiben, wenn man heute — zweihundert Jahre nach Schillers Geburt - unser Verhältnis zu ihm definieren will. Es gibt nämlich einige Anzeichen für eine Revision seines Bildes, die nicht bloß auf erneuerte Jugenderinnerungen hinauslaufen. Die Konfrontation mit Nietzsche ist ja nicht zufällig. Es geht nicht nur darum, ob Nietzsches „Wille zur Macht" die letzte Realität ist. Es erhebt sich die noch viel dringendere und näherliegende Frage: „Ist dieser Wille zur Macht denn überhaupt - Macht?" Wäre er nämlich Macht, wieso müßte er diese Macht dann erst wollen? Wo es Willen zur Macht aber gibt — und niemand wird ihn zu leugnen versuchen —, dort kommt er offenbar aus einem spirituellen Mangel an Macht, der durch diesen Willen erst aufgefüllt werden soll. Was Nietzsche an Schiller als Pathos und Idealismus, genauer gesagt, als Lüge, erschien, das wäre Schiller an Nietzsche als Heroisierung dessen erschienen, was — nach Goethe — „ hinter ihm in wesenlosem Scheine, uns alle bändigt, das Gemeine.“

Es gibt nämlich nicht allein diesen Willen zur Macht, der ein Mangel an Macht ist und daher Macht an sich reißen will. Es gibt auch sein Gegenteil: den Besitz, ja die Fülle und Ueber- fiille von Macht, die auszuteilen und abzugeben — zu spenden vermag. (Nietzsche wußte das selber mit seiner „spendenden Tugend“ genau. Es paßte nur in seinen darwinistischen Grundentwurf nicht.) Das ist kein Wille zur Macht, sondern ein Wille aus der Macht. Sprechen wir nicht nur von Liebe! Auch Ritterlichkeit und Großmut sind hohe Tugenden, Opfersinn, Mitleid, Barmherzigkeit. Sie setzen alle voraus, daß man abzugeben und auszuspenden hat. ‘Schiller war zwar nicht das größte, aber das letzte große Beispiel dichterischen Rühmens dieses Willens aus der Macht. Und zwar jener Tugenden, zu denen wir auch noch Zugang besitzen, deren Verständnis und Strahlungskraft uns über Väter und Großväter noch erreichen. Es ist uns noch möglich, darüber zu staunen, daß die hohe Begeisterung, Freude, Freundschaft und Rührung, der Seelen- adel, die uns aus Schiller mit einem beinahe unwiderstehlichen Pathos ansprechen, in unserer Welt so selten geworden sind. Mindestens in ihren Beziehungen.

Die hohe Begeisterung: Der Achtundzwanzig- jährige schreibt an seinen Freund Ferdinand Huber, er finde es unbegreiflich und lächerlich,

aus einer feigen Furcht vor dem Ungewöhnlichen auf den höchsten Genuß eines denkenden Geistes zu . verzichten. Es gibt für ihn keinen Zweifel darüber, was dieser höchste Genuß denn sei: Größe und Unsterblichkeit. „In welcher armseligen Proportion stehen die Befriedigungen irgendeiner kleinen Begierde oder Leidenschaft gegen dieses richtig eingesehene und erreichbare Ziel.“ Er sei jetzt, gesteht er, in dieser Idee auch durch seinen Verstand so gefestigt, daß er mit Gelassenheit Leben und alles an sie setzen würde. Seit Jahren habe er das schon gefühlt, jetzt aber wisse er’s auch.

Es würde nicht schwer halten, zu belegen, daß er diesen Gedanken bis an sein Ende festhielt: Er setzt Größe und Unsterblichkeit als einzig erstrebenswerte irdische Ziele aber nicht nur beim Freund als selbstverständlich voraus. Er setzt sie im Grunde bei jedem Leser und Zuschauer schon voraus. Ebenso selbstverständlich wie wir diesen „Sinn für das Höhere" durch den Erfolg ersetzt haben, der immer wieder erneuert werden muß, wenn er nicht von dem ständig andrängenden Wiedervergessenwerden getilgt werden soll — von Unsterblichkeit ganz zu schweigen. Dagegen schreibt Schiller 1795 an Fichte: „Ich müßte eine ganz andere Meinung von dem deutschen Publikum bekommen, als ich gegenwärtig habe, wenn ich in einer Sache, worüber meine Natur nach einer mühsamen und hartnäckigen Krise endlich mit sich einig geworden ist, sein Ansehen respektieren sollte. Es gibt nichts Roheres als den Geschmack des jetzigen deutschen Publikums, und an der Veränderung dieses Geschmacks zu arbeiten, nicht meine Modelle von ihm zu nehmen, ist der ernstliche Plan meines Lebens.“ Und das in den Jahren, die wir als den Gipfelpunkt unserer Kultur- und Geistesgeschichte betrachten!

Die metaphysische Dichte des deutschen Idealismus und der deutschen Klassik ist offenbar immer noch groß genug, um das eigentlich sinngebende und wertsetzende Verhältnis (das „letzte Du“) ins Unendliche, die „Unsterblichkeit“, zu verlegen, der man nicht anders als in der „hohen Begeisterung“ ansichtig wird.

Dabei kann man Thomas Mann gar nicht genug dafür danken, daß er mit jenem berühmten Diskurs, den er vor vier Jahren zu Schillers 150. Todestag hielt und so genau in den Zeitgeist traf, um einen neuen Ausblick auf Schiller zu eröffnen — daß er in diesem Diskurs also seine ganze liebreiche Ironie aufwandte’, um die Verbindung von praktischem Sinn und Begeisterung an Schiller deutlich zu machen, wieviel Berechnung und Klugheit auf der Karriere vom Fehlstart des durch gebrannten Karlsschülers bis zum nobilitierten Weimarer Hofrat und Jenaer Professor führte; wie planvoll er wohl auch die klassisch-berühmte Begegnung mit Goethe angelegt hatte und wie er die Freundschaft dann zu entwickeln verstand; wie glücklich er dieses Verhältnis in seiner Aesthetik als naiv und sentimentalisch zu fassen wußte, so daß es für Goethe schmeichelhaft, doch für ihn selber nicht minder vorteilhaft, nämlich selbstverständlich-ebenbürtig war. Er verstand sich nicht nur auf der Bühne auf Wirkung! Genau das alles will Mann einen Deutschen an Schiller zeigen, um sie in einem humanen Realismus zu bestärken; auch der klassische Idealist ist kein „tumber Tor“. Kein Schwärmer, kein Narr, dessen ¿ejaeite p in Deutschland sonst — zwischen Romantik und Nihilismus — ebensoviel bewundert wie ironisiert wird.

In enger Verbindung mit jener Begeisterung steht bei Schiller, der zeit seines Lebens so schwer — erst gegen die Misere, dann gegen die chronische Krankheit — zu kämpfen hatte, ein Lebensgefühl, das die höchste Replik des Menschen auf Glück ist — die Freude. Auch wenn der berühmte Hymnus, dem Beethoven in seiner „Neunten" Sprache verlieh, nicht geschrieben worden wäre, würde dieser „schöne Götterfunken“ durch Schillers ganzes Leben leuchten. Mag sein, daß an diesem Pathos” noch viel Barock ist — Günther und Geliert; diese Erneuerung aber erneuert ja nur das Grundverhalten, das darin liegt, daß man nicht nur Vergnügen an sich reißt und konsumiert — dergleichen nannte man damals Begierden und Lüste —, sondern dem nahen Sein, dem Glück, zu antworten, etwas zurückzugeben verstand — eben Freude. Das setzt den hohen Sinn schon voraus.

In der Freude steht nicht nur „der Cherub vor Gott“, wie’s im Hymnus heißt, sondern auch der Mensch. Diese Freude ist der Urakt des Abgebens und Ausspendens, mit dem der Mensch durchlässig wird, um das, was ihm (nicht durch Willen, sondern durch Gnade) zukommt, weiterzugeben, zurückzustrahlen. Dieser „Wille aus der Fülle“ bezeugt das Absolute im „Sein“ genau so notwendig, wie es der bloße „Wille zur Macht“ in dem, was ihm fehlt und was er gerade deswegen will — der Macht nämlich —, immer vergeblich sucht und damit nur unsere unvollkommene menschliche Lage anzeigt. Er wird im selben Augenblick nihilistisch, da er den Mangel, das Vakuum, eben das „nihil“, zum Absolutum erhebt.

Die spendende „hohe Tugend“ lebt an Schiller wohl nirgends herrlicher als in der „Freundschaft“. Von den stürmischen Jugendfreundschaften mit Andreas Streicher und Ferdinand Huber über das beständige Verhältnis zu Gottfried Körner bis zu dem glückhaften letzten Jahrzehnt mit Goethe ist ihm immer wieder „der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein“. „Große Tonkünstler kennen sich oft an den ersten Akkorden, große Maler an dem nachlässigsten Pinselstrich — edle Menschen sehr oft an einer einzigen Aufwallung." — „Verbrüderung der Geister ist der unfehlbarste Schlüssel zur Weisheit. Einzeln können wir nichts.“ — „Freuen Sie sich, daß unsere Freundschaft das Glück hatte, da anzufangen, wo die gewöhnlichen Bande unter den Menschen zerreißen“, so schreibt er an Körner.

Nun ist es gewiß, daß Schiller in seinem Leben seinen Freunden auch viel verdankte. Es wäre naiv, etwa anzunehmen, daß er das selbst nicht wußte. Die Zweideutigkeit von Hingabe und Interesse scheint beinahe unausweichlichmenschlich. Aber das „Nicht nur", der Anstoß, das Uebergewicht des einen über das andere ist es gerade, worauf sich das Schillersche Pathos richtet und was in der Probe der „Bürgschaft“ ausgemacht wird. Daß man im Rudel besser jagt als allein, weiß jeder Wolf. Geschäftsfreunde, Klubfreunde, Parteifreunde sucht auch der „Wille zur Macht“. Aber das bißchen lieber-

schuß, spendender Ueberfluß, der uns oft — aber nicht immer! — hinterdrein wieder als Treue hereinkommt, kurz, jene „wahre Freundschaft“, die dem, der sie gar nicht kennt, stets als schwärmerisch, also als unwahr erscheint — sie ist die Sache Schillers. Sie ist die Sache, an der die Einheit von „Treu und Glauben“, die Doppelbedeutuhg1 MfäHisielien „ffSgsT0fi&’Jäi( spürbar ist. Schiller, den wir von Jugendtagen her wenigstens noch verstehen, wirkt wie ein Gewährsmann dafür, in einer Gesellschaft, die dergleichen sonst kaum noch annimmt. Er zeigt vor allem am deutlichsten das Verhältnis, die enge Beziehung von Freundschaft und Humanität. Man kann nicht die Menschen lieben und die Menschen hassen. Unsere Menschlichkeit trocknet ein, wenn ihr kein Entwurf und Aufschwung mehr gelingt, um den Menschen auch in concreto — als Freund — mit ihrer Liebe zu treffen. Das ist für sie die konkrete Probe, wie Nächsten- und Feindesliebe es für den Christen sind.

Eng mit Schillers Menschlichkeit hängt sein Begriff vom Adel zusammen. Zur selben Zeit, da sich in Frankreich der große Aufstand gegen die alte Feudalordnung vorbereitet, an dem er mit seinen Jugenddramen („in tyrannos“) in Deutschland selber mitgewirkt hatte — zur selben Zeit steigt ihm das Idealbild vom Adel des Menschen auf. Freilich ist das keine Aristokratie mehr, für die es wesensbestimmend wäre, daß sie sich über dem unterworfenen, niedrigen Volk, dem p e u p 1 e, dem Pöbel, erhebt. Schillers idealen Adel trägt jeder Mensch — schon mit seiner Geburt, seiner Seele und Freiheit — mit sich. Der edle Mensch muß ihn nur zeigen, sich ausweisen, ihn nicht beschmutzen. Von den alten drei Fürstentugenden, „clemens, pius, felix“ („mild, fromm, glückhaft“), steht freilich die Milde, die Großmut — die Selbstlosigkeit obenan. Das ist das Stichwort des Idealismus. Es ist zugleich die Probe für sein Verhältnis zur Macht, zum Abgeben, Ausspenden — des Willens aus der Macht eben.

Hohe Begeisterung, Freude, Freundschaft und Adel — das alles kennt Schiller noch. Er ist zwar heute für uns wohl schwerlich das große Stichwort der Metanoia, des Umdenkens — gar vielleicht gegen Nietzsche. Wohl aber ist das „U n d“ an jenem „Schiller und Goethe", das Nietzsche so anstößig war, ein Grundzug an jenem Schiller-Bild, um das heute. 200 Jahre nach seiner Geburt, die Geister bemüht sind. Ein- und Ausatmen, Systole und Diastole des Willens zur und aus der Macht, das ist die Vorstellung von einem neuen Rhythmus, der die moralischen — und die amoralischen Krämpfe der Zeit zu lösen vermöchte.

TEElTiA

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung