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Schöpfung und Nachschöpfung
Im Züricher Schauspielhaus fand die Uiauiführung von Georges Bernanos' »Dialogues des Carmelites“ unter dem deutschen Titel „Die begnadete Angst“ statt. Die „Züricher Neuesten Nachrichten* vom 8. Juni bemerken dazu: „Viele haben nur eine ganz vage Kenntnis von der Tatsache, daß der Stoff von Bernanos' Bühnenwerk dem Buch „Die Letzte am Schafott“ von Gertrud von Le Fort entnommen ist. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, das gegenseitige Verhältnis der beiden Dichtungen abzuklären.“
Die Notwendigkeit dieser Abklärang ist durch die höchst mißverständlichen Interpretationen entstanden, welche die Herausgeber des Bernanosschen Nachlasses für die „Dialogues des Carmelites“ wählten. Wir bringen hiezu die folgende Äußerung von Gertrud von Le Fort in „Das literarische Deutschland“.
Der Ausgangspunkt meiner Dichtung „Die Letzte am Schafott“ war nicht in erster Linie das Schicksal der 16 Karmeliterinnen von Compiögne, sondern die Gestalt der kleinen Blanche. Sie hat im historischen Sinn niemals gelebt, sondern sie empfing den Atem ihres zitternden Daseins ausschließlich aus meinem eigenen Inneren und kann niemals von dieser ihrer Herkunft gelöst werden. Geboren aus dem tiefen Grauen einer Zeit, die in Deutschland überschattet wurde von den vorauseilenden Ahnungen kommender Geschicke, stieg diese Gestalt vor mir auf gleichsam als „Verkörperung der Todesangst einer ganzen zu Ende gehenden Epoche“. Das beständig bangende Kind, das von der Dienerschaft des Hauses „Häschen“ genannt wird, das junge Mädchen, das aus Weltangst in ein Kloster tritt und sein religöses Leben dort in der mystischen Verbindung mit der Agonie Christi zu gestalten sucht, lebte bereits in meinen dichterischen Entwürfen vor der Einbettung seines Schicksals in das der sechzehn Karmeliterinnen von Compiegne. Durch einen Zufall wurde ich mit diesem bekannt.
Eine kleine Notiz — die Fußnote eines den katholischen Orden gewidmeten Buches — über die singend zum Schafott ziehenden Karmeliterinnen löste den Entschluß aus, den Schauplatz für das Auftreten meiner kleinen Blanche aus der Gegenwart in die Französische Revolution zu verlegen. Ich folgte damit einer meiner Dichtung auch sonst naheliegenden Neigung, aktuelle Probleme und Gestalten in die Vergangenheit zurückzuspiegeln, um sie, von der allzu bedrängenden Nähe gelöst, reiner und ruhiger formen zu können. Durch die Vermittlung der Münchner Staatsbibliothek gelang es mir dann, zu den spärlichen Quellen vorzudringen, durch die zwar die Namen der sechzehn Märtyrerinnen und die großen Umrisse ihres Schicksals, nicht aber ihre Persönlichkeiten erkennbar sind. Einen gewissen Anhaltspunkt zur Gestaltung einer solchen bot mir nur die wahrscheinlich aus könglichem Blute stammende Marie de 1'Incarnation. Auch die einzelnen Klosterfrauen, soweit sie bei mir erscheinen, sind also Geschöpfe meiner Dichtung, ebenso wie die Gestalt der Rose Ducor und der Petit Roi de Gloire.
Mein Buch erschien in Deutschland im Jahre 1932 und wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Als französisches Buch kam es 1937 im Verlag von Desclee de Brouwer heraus. Bald nach dem zweiten Weltkrieg trat eine französische Gesellschaft mit dem Wunsch an mich heran, mein Werk zu verfilmen, und zwar sollte Bernanos das Textbuch schreiben. Es wurde ein Vertrag unterzeichnet, in dem mir ausdrücklich eine mitarbeitende Einflußnahme auf den beabsichtigten Filmtext zugestanden war. Längere Zeit hörte ich nichts weiter über das Projekt, als daß die Ausführung einigen Aufschub erleide. Ein Brief, den ich an Bernanos Tichtete, blieb ohne Antwort, kam aber auch nicht zurück.
Erst nach dem Tode des Dichters legte mir der Verwalter seines Nachlasses ein entstandenes Manuskript vor, das aber kaum einen für den Film geeigneten Text darstellte. Alle bildhaften Möglichkeiten meines Buches waren entfallen, fortgespült durch die Innerlichkeit eines Dialogs, der von vornherein mehr auf eine Buchausgabe oder auf die Bühne abgestimmt schien. Im übrigen verharrt das Werk weithin in Abhängigkeit von dem meinen: es hat die Gestalt der Blanche de la Force übernommen und die ironische Umkehrung ihres Namens de la Faiblesse, ihren religiösen Namen nach der Agonie des Herrn, vor allem das Grundmotiv des Ganzen, das Motiv der Angst und das „Getreusein der Angst“, endlich die große, frei von mir erfundene Schlußszene, das Einstimmen Blanches in das Veni Creator ihrer auf dem Schafott sterbenden Schwestern.
Von den Abwandlungen des Stoffes, die Bernanos vornahm, scheint mir nur eine von wirklich wesenhafter Bedeutung: bei mir handelt es sidi nicht darum, den Sieg des Menschen, sondern den Sieg Gottes darzustellen — bei Benanos gilt es den Sieg des Menschen über die Todesangst, wenn auch natürlich unter dem Beistand der Gnade. Meine Blanche, die denselben furchtbaren Kelch leeren mußte wie das berühmte Fräulein von Sombreul, ist eine bis ins Letzte hinein zerstörte Persönlichkeit, von der keine eigene Initiative mehr ausgehen kann. Bei Bernanos bewahrt Blanche bis zuletzt die verzweifelte Klarheit der Verantwortlichkeit.
Und hier glaube ich nun auf den Grund zu stoßen, weshalb die Hand dieses großen Dichters nach der Gestalt einer fremden Dichtung griff — er ergriff sie als ein selbst schon vom Tode Gezeichneter. Es ist mir ein erschütternder Gedanke, daß sie ihn bei den letzten Stationen seines Dichterweges begleiten durfte, ich blicke mit Ehrfurcht auf das abschiednehmende Wort, das er ihrem Schicksal widmete, ich wünsche diesem Wort einen tiefen, seelenergreifenden Widerhall.
Aber ich muß allerdings hinzusetzen: ich wehre mich gegen einige befremdende Interpretationen seiner Herausgeber, über die Karmeliterinnen von Compiögne konnte jeder Autor ein Werk schreiben, das ihm — wie es in jenen Interpretationen heißt — selbst angehörte, über eine Blanche de la Force nicht. Ich bin überzeugt, deT Dichter Bernanos, wenn er noch lebte, würde dies bestätigen.
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