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Späte Wiedergutmachung

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„Das Mißtrauen gegen den Staat, gegen jeden Staat, ... begann bei mir früh. Er hatte für mein Empfinden zu viele Gesichter, eines überdeckte das andere. Man kam da nicht durch." Damit leitete Ilse Aichinger ihre Rede zur Verleihung des „Großen österreichischen Staatspreises" ein. Worauf dies zurückgeht, erfuhren wir in folgendem Gespräch.

die Furche: Wie stehen Sie zum Staat?

Ilse Aichinger: Ich halte den Staat für eine unvermeidbare, aber gefährliche Instituion.

die furche: Wie haben Sie sich in den ersten Nachkriegsjahren vom Staat behandelt gefühlt?

Aichinger: Schlecht.

die Furche: Ist der Preis eine späte Wiedergutmachung?

Aichinger: Ich nehme ihn deshalb an -für meine Mutter. Man hat ihr nach dem Krieg eine Stelle angeboten. Das hat sich Kurklinik „Herbstsonne" genannt. Es waren dort nur schwere Fälle, schwer Krebskranke, Sterbende, die man dorthin abgeschoben hat, um die Statistik der Spitäler nicht zu verschlechtern. Dort -hatte sie ein Dienstzimmer, wo sie mit mir gewohnt hat

die Furche: Sie haben viel Erfahrung mit dem Zynismus in Wien gemacht und sind trotzdem wieder zurückgekommen

Aichlnger: Ich kann nirgendwo sonst leben. Ich war auf Lesereise in Amerika, ich war krank vor Heimweh, es hat mir alles sehr gefallen, aber bleiben kann ich nur hier.

die Furche: Sie wurden von Hans Wei-gel gefördert, wie war das damals?

Aichinger: Hans Weigel hatte eine Gruppe, die er förderte, von der ich mich aber rasch wieder getrennt habe. Weigel hat mich zum Fischer Verlag gebracht. (Nach ihrem großem Erfolg mit ihrem ersten Boman „Die größere Hoffnung" 1948 brachte Ilse Aichinger einen Band mit Erzählungen unter dem Titel „Der Gefesselte" 1953 im S. Fischer Verlag heraus, Anm. d. Red.) Was mir damals gar nicht so wichtig war. Ich habe mich gar nicht als Schriftstellerin empfunden.

die Furche: Die Gesamtauflage Ihrer Wirke ist 1991 bei S Fischer erschienen.

Aichinger: Ich habe das Glück gehabt, daß Otl Aicher den Umschlag entworfen hat. (Otl Aicher stand in enger Verbindung zur Widerstandsbewegung der Geschwister Scholl „Die Weiße Rose" und war mit Inge Scholl, einer Schwester der von den Nazi ermordeten Geschwister Hans und Sophie, verheiratet. Er lehrte an der Hochschule für Gestaltung in Ulm und war einer der bekanntesten Schrift-Designer der letzten fünfzig Jahre in Deutschland, Anm. d. Red.) Es war sein letztes graphisches Werk.

die Furche: Sie haben einmal gesagt-„Ich wurde auch still gemacht"; gilt dies auch für den Literaturbetrieb?

Aichinger: Es ist auch meine Schuld. Ich trete nicht gern öffentlich auf. Ich habe gern Menschen um mich, aber die Öffentlichkeit erweist sich ja nicht, die sind drei Minuten da, und dann sind sie für immer verschwunden.

die furche: Sind Sie deshalb 1995 dem Österreich-Schwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse ferngeblieben?

Aichinger: Sie haben mich eingeladen, einer Kurzaufführung einer meiner Meinung nach unaufführbaren Kurzszene beizuwohnen.

die Furche: Ist der Staatspreis auch eine Entschuldigung dafür ?

Aichinger: Das glaube ich nicht.

Das Gespräch führten

Cornelius Hell und Susanne Zobl

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