Stephen Crane: Die weniger schönen Seiten von Amerika

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Anton Thuswaldner las Erzählungen und zwei Romane von Stephen Crane wieder.

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Anton Thuswaldner las Erzählungen und zwei Romane von Stephen Crane wieder.

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In den wenigen Jahren, die dem früh verstorbenen ­amerikanischen Schriftsteller Stephen ­Crane (1871–1900) zum Schreiben zur Verfügung standen, hinterließ er ein opulentes Werk. Dabei war er kein Mann des Schreibtischs, sondern begab sich als Kriegskorrespondent im Spanisch-­Amerikanischen und im Griechisch-Türkischen Krieg vorsätzlich in Gefahr, erlitt Schiffbruch vor der ­Küste Kubas, verbrachte Zeit mit den Freunden Joseph Conrad, H. G. Wells und ­Henry James, stürzte sich in Liebschaften, dass selbst sein ihn bewundernder Biograf, der Vielschreiber Paul Auster („In Flammen“, Rowohlt 2022), staunt, wie er in derart kurzer Zeit „ein so umfangreiches, grandioses und originäres Werk erschaffen konnte“. Offenbar war er ein Frühvollendeter, der von sich selbst behauptete, „den Krieg ohne Talent begonnen“ zu haben. Seine Prosa und Gedichte „mit all ihren verschiedenen Sichtweisen und Tonlagen zündeten in ihm zur selben Zeit“ (Paul Auster).

Deutschsprachige Leser haben jetzt gute Gelegenheit, in die Stephen-­Crane-Lektüre einzusteigen, kümmert sich doch der Pendragon Verlag um das Werk in recht gelungenen Übersetzungen. Der große Roman „Die rote Tapferkeitsmedaille“, vielleicht sein Hauptwerk, ist bereits erschienen, ebenso wie der Erzählband „Die tristen Tage von Coney ­Island“. Der jüngste Band versammelt Erzählungen und zwei Romane, die von den mannigfachen Talenten des Stephen Crane zeugen. In der Sammlung „Geschichten eines New Yorker Künstlers“, in der vier knappe Erzählungen enthalten sind, stehen ein paar Künstler im Mittelpunkt, die sich unter prekären Verhältnissen eine Wohnung teilen. Eigene Erfahrungen lieferten den Stoff dazu. Für üblichen Naturalismus sind die Episoden zu wenig hart und überhaupt nicht anklagend. Diese Männer, das stellt Crane klar, bewahren in ihrer trotzigen Art ihren Stolz und ihre Eigenart.

Ganz anders der Roman „Maggie, ein Mädchen von der Straße“, eine Abrechnung mit einem System, das zulässt, dass ein Mädchen aus den Slums aufgrund der Umstände auf die schiefe Bahn gerät. Sie hat keine Chance, und der Roman legt das Beweismaterial dazu vor. So etwas wurde in bürgerlichen Kreisen nicht unbedingt gerne gelesen. Selbst in wohlmeinenden Kritiken stand der Vorwurf zu lesen, dass es dem Roman an Geschlossenheit fehlte und er ausschließlich die düsteren Seiten herausstelle. Der gerade einmal Einundzwanzigjährige aber verabschiedete sich mit dem Roman von den Vorgaben des 19. Jahrhunderts und brach in eine neue Zeit auf.

Heute muss Stephen Crane als Vorläufer von Hemingway und Steinbeck gewürdigt werden in dem unbedingten Willen, keine faulen Kompromisse einzugehen. Der amerikanische Traum ist doch nicht mehr als eine schöne Illusion.

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