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Digital In Arbeit

STERNSUCHER

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„Erst als Bauer hat er sie gefunden, und deshalb ist er jetzt Bauer mit Leib und Seel. Nicht weil er kein anderes Ding treiben könnte, er arbeitet ja auch noch an der Drechselbank, aber das eine ist für ihn die Arbeit, das andere Rast und Vergnügen zugleich, so wie ein anderer im Wirtshaus sitzt oder auf den Schießstand geht. Und glaub mir, er wünscht sidi auch heute noch oft in den Wald zurück oder auf die Alm. Er läßt solche Wünsche nur vor uns nicht scheinen, und man darf ihm auch nicht darüber reden oder nur merken lassen, daß man darum weiß. Ich aber seh es ihm an, wenn sie da sind und sobald sie ihn wieder verlassen, im Frühjahr kommen sie, leicht auch im Sommer bei der Mahd, selbst im Winter bleiben sie nicht aus. Auch das Schneiderhandwerk hat ja seine feinen Seiten. So ein Störschneider kennt viele Leut, er weiß um die kleinen Eitelkeiten der hohen Flerrn, hört manche Neuigkeit, die uns entgeht, und ist deshalb, wenn er sie weitererzählt, wohl gelitten. Ich kenne jene Stunden, auch wenn der Vater sie mir verbirgt. Ich bin sein Weib. Aber zu dir kann ich doch darüber reden, denn du bist in vielem sein Ebenbild, auch wenn er es nicht gelten läßt, genau so wenig wie seine heimlichen Wünsche. Es ist aber wichtig zu wissen, daß auch er solche Anfechtungen hat und wie er mit ihnen fertig wird. Ich weiß auch, daß du dem Vater gegenüber schweigst, wenn ich dir das sage.“

„Das kann ich dir versprechen, Mutter“, sagte Peter und reichte ihr die Hand. Sie beließ aber die ihre in der seinen, und es war ihm jetzt erst recht seltsam zum Heulen, aber nicht mehr aus Zorn und Trotz.

„Jetzt ist dein Vater Bauer“, fuhr die Mutter fort, „und er ist es mit Leib und Seel und tüchtiger als die anderen im Dorf, die von Kind an nichts kennen und wissen als die Bäuerei. Das weiß ich, weil ich sein Weib bin und selber aus einem Bauernhaus. Aber weil er seinen Hof so schnell hcrauf-gebraclit hat und den besten Türken erntet und den reinsten Flachs, so rasch, daß die anderen meinen, es stecke nicht bloß Fleiß I und Klugheit dahinter, sondern viel mehr auch noch andere Dinge, deshalb ängstigt er sich gar, es könnte mit unserer Wirtschaft wieder bergab gehn und dies ohne ein besonderes Anzeichen. Einer, der sein Lebtag nur Bauer war, dessen Vater bereits auf dem Hof gesessen ist und dessen Großvater, der kennt diese Angst nicht, wenigstens nicht, solang es ihm wohlergeht und kerne argen Mißernten einfallen. Dein Vater aber will keine Fugen und Ritzen in seinem Haus; er fürchtet sogleich, es käme dann das Elend herein oder einer, der ihm den Hof über Nacht wieder fortnimmt. Wenn sein einziger Bub aber die Sterne lieber hat als die Bäuerei, dann ist das so eine Ritze.“

„Das versteh ich jetzt“, sagte Peter, „auch den Vater versteh ich jetzt um vieles besser. Ich habe aber nie verlauten lassen, daß ich die Bäuerei nicht mag oder daß ich die' Sterne lieber hätt.“

„Verlauten hast du es nicht lassen, aber wir wissen, daß es so ist. Audi ich weiß es,“ Sie schwieg, denn nun wollte jedes weitere Wort wohlbedacht sein, sollte es nicht die trotz allem Vorangegangenen glückhafte Stille stören.

„Meint die Mutter, ich hätte es dem Vater versprechen müssen?“ fragte Peter nach einer Weile.

„Vorerst sagst du mir, warum du gestern im Turm gewesen bist, Peter! Was hast du dort die ganze Nacht getan? Das muß ich wissen, . sobald ich dir raten soll. Unser Turm ist doch nicht viel höher als dein Birnbaum, ja ich denk, unser Haus liegt eher auf einem kleinen Berg. Ich könnte dich begreifen, wenn man die Stern nirgendwo so gut betrachten könnte, wie auf dem Turm. In anderen örtern mag das auch der Fall sein. Bei uns nicht. Du selbst hast ja des öftern gesagt, der Birnbaum ist dir das Allerliebste. Hätten wir uns auch nicht um dich ängstigen brauchen, der Vater wäre heute nicht auf dich bös und hätte dich nidit vor die Wahl gestellt wie einen mißratenen Buben.“

„Es ist aber besser so, et hat mich einmal vor die Wahl gestellt“, sagte Peter. Dann berichtete er, was er über die Nacht im Turm zu sagen hatte und nun der Mutter, die zum erstenmal zu ihm wie zu einem jungen Manne sprach, sagen durfte. Freilich stand hinter jedem guten und treffenden Wort immer nodi ein besseres und klareres, das er nicht gebrauchen konnte, weil das Ding, das es aussagen sollte, kaum zu fassen und schon gar nicht zu beschreiben war. Er hatte auch über all diese Dinge bisher immer nur zu sidi selbst gesprochen, höchstens noch zur kleinen Schwester. Doch was das Kind gläubig hingenommen hatte 'wie irgendein wundersames Märchen, in dem sich gut träumen ließ und was ihm selber jederzeit klar war, weil er über das noch Dunkle und Ungeklärte sidi hinwegsetzte, jetzt vor der Mutter erschien ihm jeder Satz dünn und gering neben dem, was er sagen und erklären wollte. Gewiß sei es auf dem Birnbaum leichter und einfacher, die Sterne zu beobachten, und er hätte den Seinen viel Angst ersparen können, sagte er; doch er sei Abend für Abend auf den Baum gestiegen und habe nidit einen Teil von dem erfahren, was ihm auf dem Turm und später auf dem Weg nach Kematen offenbar geworden sei. Erst jetzt wisse er, daß-er bisher auf dem falschen Weg gewesen sei. Man könne die Sterne nicht messen und beschreiben, wenn man sich vorerst nicht auf der Erde zurechtfinde und die Türme, Häuser, Felsen und Bäume messen lerne. Das habe er in der unglückseligen Turmnacht erfahren und das sei doch sicher etwas, auch wenn es die Mutter vielleicht ein gar geringer Ertrag dünke und ein anderer leicht darüber ins Lachen kam. Die Mutter aber müsse verstehn, daß er nicht just an- dem Tag, der ihm den rechten Weg gewiesen, diesen Weg und auf alle Zeiten verlassen könne, nur weil der Vater in seinem verständlichen Zorn dies wünsche.

Da er dies klug und ruhig berichtete und schließlich für all das, was er sagen wollte, ' auch die rechten Worte fand, kam ihm weiter auch kein Zweifel, daß der so freimütig und verlockend beschriebene Weg nun auch tatsächlich der rechte und einzige sei. Auch die neuen Zweifel; die ihn auf dem Heimweg vom Acker überfallen hatten, erschienen ihm gering neben der schönen, fast feierlichen Stunde, in der dies alles zum erstenmal gesagt werden durfte.

Die Mutter hörte ihn i;uhig an, nickte auch ab und zu, und als er geendet hatte, sagte sie: „Ich begreife nicht alles, was du mir da erzählt hast, Peter, aber ich denke, der Vater, hätte er nur einen Teil davon erfahren, wäre er nicht so hart mit dir ins Gericht gegangen. Wenn ich dich recht verstehe, dann willst du vorerst einmal die Bäume, die Häuser und Türme und Felsen abmessen, also das tun, was sonst die Feldmesser treiben. So ein Feldmesser ist aber ein gar großer Herr und sein Geschäft ein nützliches. Ich weiß das von vielen Fällen und von uns daheim, als der Vater starb und es an die Erbschaft ging. Er hat sein rechtes und ehrliches Brot, und wenn er selber aus dem Bauernstande herkommt, redet er sich auch leichter mit den Bauern und hilft nicht allein den großen Herren, wie das die Feldmesser zuweilen tun. Du könntest dann später dabei auch unseren Hof behalten und brauchst nicht erst in die Stadt, wie es eine andere Verrichtung wohl erfordert.“

„Das will ich ja“, sagte Peter, und er sagte nicht mehr, da er die Mutter nun völlig in ihrem Glück sah.

„Du kannst auch auf eine Zeit nach Innsbruck“, setzte sie hinzu, „daß du die Feldmeßkunst lernst, wie es sich gehört. Es ist ja keine leichte Kunst, wie es einem scheinen mag. Im Winter wird dann der Vater leicht auch ohne dich auskommen.“

„Oder ich gehe nur an den Sonntagen hinunter, wenn ich einen Lehrer finde.“

„Es ist schon besser, du gehst auf eine Zeit. “Kannst bei der Marie wohnen. Das strengt dich dann auch weniger an.“

„Ja, es wird besser sein, wie du sagst. Ich könnte dann die anderen Herrn auch über die Sterne ausfragen. Wenn ich nebenbei die Zeit dafür erübrige. Auch der Vischer aus Wenns hat es als Landmesser weit gebracht“, sagte Peter nach einer Weile des Ver-kostens. „Er hat bald nicht nur die Felder, sondern ganze Landschaften und Länder vermessen, die Steiermark und Niederösterreich und das Land Österreich ob der Enns. Alle Burgen hat er abgezeichnet und beschrieben, und noch manches dazu, und er stammt doch auch aus unserer Gegend und hat vor hundert Jahren gelebt; damals war alles noch viel schwieriger.“

„Das weiß ich nicht, ob es vor hundert Jahren so viel schwieriger war“, sagte die Mutter. „Vielleicht ist es bei der.Feldmeßkunst so. Bei anderen Verrichtungen kommt es nicht darauf an, ob einer früher oder später lebt. . Und wenn du jenen Vischer meinst, der dann geistlich worden ist, der hat es gewiß nicht schwerer gehabt, sondern sehr viel leichter als du. Sein Vater war Kastenamtmann bei den Zisterziensern in Stams drüben, und dessen Vater auch und wieder dessen Vater. Es gibt aber nicht leicht einen armen Kastenamtmann, selbst wenn er redlich wirtschaftet. Die Vischerischen aber sind allezeit reich gewesen und große Herren.“, .....

„Ja, diesen Vischer meine ich. Seih Geld hätt ihm aber zur Meßkunst wenig genutzt, wenn er in Stams blieben wäre.“

„Doch ohne seines Vaters Geld.hätte er sie nicht lernen und üben können. Das meine ich, ich habe mit dem Vater schon oft über diesen Vischer geredet. Er kennt ja die hochwürdigen Herren in Stams gut genug, hat er doch einmal zwei Säulen für einen kleinen Altar gedrechselt und einen Engel geschnitzt. Das weißt du nicht.“

„Ja, einen Engel hat der Vater damals geschnitzt“, setzte die Mutter rasch fort, denn sie sah den Buben sich staunend aufrichten, „es hätten zwei Engel werden sollen. Die Lienen haben den ersten auch sehr gelobt. Er war in der Art gearbeitet, wie sie jetzt viele Engel in den neuen Kirchen aufstellen, auch in den alten, aber doch ein wenig anders. Lustig in seinem Aussehn und so, als bewege er vor Vergnügen die Flügel, er' glänzte auch gar herrlich von Gold. Damals ist aber ein wähscher Maler nach Stams kommen, der hat gleich gegen den Vater geredet und die Herren ge'geir 'den-'einen' Engel aufgebracht. Die Flügel seien zu lang geraten und doch beide wieder nicht gleich lang, die Nase zu scharf und das Gesicht nicht das eines himmlischen Wesens, sondern eines Bauernmädchens. ■ Das hat der wähsche Maler den Patres eingeredet. Es hat auch gestimmt. Wir beide sind damals schon miteinander gegangen.“

„Nicht ein Wörtchen hat mir der Vater davon vei raten“, rief Peter atemlos. „Linen Engel, hat der Vater geschnitzt? Wo steht dieser Engel? Weshalb tährt er niemals nach Slams hinüber, wenn er dort einen Engel stehen hat. Nicht einmal unser Herr Kurat weiß um diesen Engel.“

„Der Herr Kurat weiß noch mehr, er weiß auch, weshalb der Vater niemals nach Stams hinüberfährt. Du würdest auch drüben den Engel mit dem- bäurischen Gesicht vergeblich suchen. Nicht 'einmal ein Trumm von ihm, denn der Vater hat ihn damals sauber verbrannt. Hat ja nur einer von den geistlichen Herren zu ihm gehalten, der Pater Bernhard, sind sonst alle auf den Wälischen hereingefallen. Das Engel-Schnitzen war auch wohl deinem Vater nicht bestimmt. Er hat auch seither die Hand davon gelassen. Dein Vater“, die Mutter ließ den Buben nicht zum Reden kommen, „ist daraufhin Bauer worden, und er hat es nicht bereut. Ein Bauer mag den. Hagel fürchten und die Wühlmaus, aber ein gehässiger Mensch kann ihm nicht drein-pfuschen; es stehen auch.nicht hundert Leut um sein Feld, d:e da beratschlagen, ob der Türken wohlgeraten ist oder nicht. Ist kein freierer Mann im Land als der Bauer. Gar in Tirol. In Österreich drüben mag es manchen gereun, daß er allein Iür seinen Herrn'zu roboten hat, erst recht oben in Böhmen, wo die Landleut, wie der Vater erzählt, oft mit Leib und Seel ihrem Grundherrn zu eigen sind und kaum einer unter hundert ungeschoren auf seinem Gütel sitzt wie wir, die wir wohl etliche Steuern zu zinsen haben, aber sonst keine Pflicht anerkennen außer jener, die der Herrgott uns vorschreibt, der Kaiser und der Boden. Wenn aber einer auf die Hohe Schule will, wie der Vischer, das wollte ich sagen, ist es schon ein ander Ding, ob einer einen kleinen Bauern zum Vater hat oder einen Kastenmann.“

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