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Thomismus - programmatisch!

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Thomas von Aquin. Von Angelus Walz OP. Thomas Morus Verlag, Basel. 153 Seiten.

Das wertvolle Buch ist zwar nicht „weitesten Kreisen“ (5) geschrieben. Dazu müßten die eingestreuten lateinischen Texte übersetzt sein. Aber anderen wird es tatsächlich „den überragenden Denker, Heiligen und Kirchenlehrer näherbringen“. Dessen „Lebensgang und Lebenswerk“ (3) wird in 16 Kapiteln dargestellt: Herkunft und Kindheit, Benediktineroblat, Auf der Universität von Neapel, Dominikanernovize, Kölner Aufenthalt, Bakkalaureus in Paris, Magister der Theologie an der Pariser Universität, In Orvieto, In Rom, Zweiter Pariser Aufenthalt, Magister in Neapel, Letzte Fahrt und Heimgang, Nachruhm, Thomismus, Werke. Es folgt ein Verzeichnis des benützten Schrifttums, leider kein Register. Lose beigefügt ist eine aufschlußreiche Zeittafel zum Leben und den Werken des heiligen Thomas.

Trotz einiger stilistischer Härten liest man dieses Buch mit größtem Genuß. Walz hat uns eine Biographie vorgelegt, die den gegenwärtigen Stand des Wissens um Thomas (um das er sich selbst wesentliche Verdienste erworben hat) berücksichtigt. Es war ohne Zweifel nicht leicht, bei der Spärlichkeit der Quellen, bei dem Gemisch von Geschichte und Legende, den widersprechenden Berichten, den Meinungsverschiedenheiten der Forscher ein Lebensbild, immer im Rahmen der Zeitgeschichte, zu rekonstruieren, das sowohl den Wissenschafter befriedigt als auch den gläubigen Leser erbaut. Es scheint aber gelungen. Ich kann mich nicht erinnern, je etwas über Thomas gelesen zu haben, das so kritisch und zugleich warmherzig geschrieben, unseren großen Meister und Heiligen ebenso sachlich wie sympathisch darstellt.

Dazu trägt meines Erachtens wesentlich die Haltung des ganzen Buches bei. Sie hält sich frei von jenen kritiklosen Verhimmelungen, die zu süß sind, um echt zu sein, und nüchtern denkenden Menschen den Kult des großen Mannes zu verekeln pflegen. Es wäre interessant, diese nüchterne und saubere Haltung durch das ganze Buch zu verfolgen und die Stellen im Exzerpt vorzulegen. Statt dessen soll ein größerer Text (129) zur Gänze abgedruckt werden:

„Im Sinne der Kirche steht Thomas als offizieller Lehrer da, und zwar sowohl auf dem Gebiete der Philosophie als der spekulativen Theologie. Er ist die maßgebliche Autorität. Hüten wir uns allerdings, die päpstlichen Aeußerungen zu überspannen. Thomas' Schriften sind nicht Gottes Wort, keine von ihnen ist inspiriert, keine unfehlbar. Sowohl auf theologischem wie auf philosophischem Feld finden sich darin (für die damalige Zeit begreifliche, aber objektive) Irrtümer. So verneint er gerade in seinen späteren Werken, darunter der Summa Theologiae, die Unbefleckte Empfängnis Marias (weil er dadurch die Allgemeingültigkeit der Erlösung gefährdet glaubte). Auf philosophischem Gebiete huldigt er, gleich den Größten seines Jahrhunderts, den überlebten aristotelischen Anschauungen vom Weltall, von den vier Elementen, der Natur des Lichtes, der Farben und der Gestirne. Bei all seiner überragenden Größe war Thomas ein Kind seiner Zeit. Wiederholt stößt man bei ihm, besonders in den Aristoteleskommentaren, auf Wendungen wie: .Certum est, impossibile est“, wo wir heute das Gegenteil wissen. Wenn man an ihm übrigens einen Fehler rügen darf, so ist es merkwürdigerweise derselbe, den ihm früher seine franziskanischen Gegner vorwarfen — allerdings in einem anderen Sinn —,' daß er zu blindgläubig dem ,Philosophen' vertraute.

Die kirchlichen Weisungen, die zu Thomas verpflichten, betreffen also nicht einzelne Lehrpunkte. Ja die letzten Päpste haben wiederholt erklärt, sie wollten mit ihren Empfehlungen keinen Zwang auferlegen in Fragen, die unter bedeutenden katholischen Gelehrten und Schulen umstritten sind. Ihre Empfehlung, ihr Drängen, ihr strenges Geheiß gilt vielmehr der Grundhaltung des Aqui-naten. Deren Umfang und Grenzen lassen sich vielleicht leichter negativ als positiv so bestimmen: Die Kirche hält es nicht mit dem Averoismus, nicht mit dem Nominalismus, nicht mit dem Kantismus, nicht mit dem Fideismus, nicht mit den Anschauungen Hegels, Schleiermachers, Croces oder Sartres; sie hält es mit Thomas. Man entspricht vollkommen ihrer Ansicht, wenn man ihm so lange in einem bestimmten Punkt folgt, .besonders auf metaphysischem Gebiet' (Leo XIII.), bis das Gegenteil feststeht; aber auch nur so lange. In diesem Sinne bürgt die Kirche für Thomas, und für keinen anderen noch so heiligen, alten oder neuen Kirchenlehrer.“

„Gerade Dominikanerkreise betonen, det Thomismus sei keine starre, sondern eine lebendige Lehre. Sie wollen sagen, er stehe dem Weiterbau offen, was unvermeidlich einen gewissen Umbau am Gebäude des 13. .Jahrhunderts mit sich bringt, hauptsächlich in Punkten, die im Zusammenhang stehen mit den umstürzenden neuen Erkenntnissen auf astronomischem, physikalischem, biologischem, physiologischem, psychologischem Gebiet. Offenbar bedingen aber solche Umstellungen auch bisweilen eine Aenderung auf systematischem Feld, obschon seltener. Jedenfalls ist der beste Thomist nicht derjenige, der durch dick und dünn alles buchstäblich verteidigt, was in irgendeiner Thomasschrift steht — vorausgesetzt, sogar, daß er sie ganz gelesen, recht verstanden und nicht bloß einer Schule oder Ueberlieferung kuschte. Der beste Thomist ist vielmehr derjenige, der so denkt und lehrt, wie es vermutlich der Meister selber täte, wenn er heute lebte, bereichert um unsere naturwissenschaftlichen Kenntnisse, mit seiner Ehrfurcht vor der Wahrheit, vor dem gesunden Menschenverstand und vor den Entscheiden des kirchlichen Lehramtes.“

Selbstverständliche Dinge, aber nicht selbstverständliche Worte. Gerade deshalb dankenswert. Darf ich den Verfasser auch beim Worte nehmen? Dann ist „Neuthomismus im engeren und weiteren Sinn“ nicht bloß der Thomismus der Schule (schola), auch dann nicht, wenn diese heute Anhänger in anderen Orden, im Weltklerus und im Laienstande hat (133). Der 1880 begründete Neuthomismus ist ein kirchlicher und kanonischer. Er ist eine Gattung. Zu ihren Arten zählt nicht bloß der Schulthomismus der 24 Thesen, sondern jeder, sei er eklektisch oder kritisch wie immer, wofern er nur den obigen Grundsätzen entspricht (Denz. 2191—2192).

Ist dem aber so, dann dürften, wie mir scheint, im Kapitel „Thomismus“ nicht bloß schul-thomistische Zeitschriften aufgeführt werden (135). Es dürfte, um nur noch ein Beispiel zu nennen, von den vielen verstorbenen und lebenden Gelehrten des Innsbrucker Institutes für scholastische Philosophie und der dortigen theologischen Fakultät nicht jeder, aber auch jeder Namen fehlen (133 f.). Wenn schon schulthomistische Kompilatoren fleißig genannt sind, dütften anerkannte Thomasforscher anderer Richtung, nicht totgeschwiegen werden. Der Verfasser hat zwar „Angst, ebenso bedeutende zu übergehen“ (133). Aber die Angst, sie zu nennen, scheint größer gewesen zu sein. Angst hat jeder Forscher zuweilen. Aber er muß sie überwinden, um erkannte Wahrheiten auszusprechen. Seinem Mute danken es dann andere, wenn sie ohne Angst einen großzügigen und kritischen Standpunkt vertreten dürfen, der vordem vielleicht folgenschwer gewesen wäre.

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