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Traum und Wirklichkeit

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Stefan Zweig läßt uns in seinem letzten Buch „Die Welt von gestern“ einen tiefen Blick in sein Welterleben und Weltgefühl tun; meist gewollt, manchmal vielleicht ohne Absicht und gerade deshalb um so aufschluß- reicher. Fast auf jeder Seite aber erschüttert uns die Klage um das verlorene Paradies, die uns zeigt, wie untrennbar verbunden dieser groß« Geist mit der gesicherten Welt von einst war. Er ahnte wohl, daß der erste Weltkrieg den absoluten Abschluß einer Epoche bedeute, aber erst beim Hereinbrechen der zweiten Katastrophe wußte er endgültig, daß nun wirklich alles vorbei sei und daß kaum ein paar Bruchstücke aus der alten Welt in die kommende hinübergerettet werden könnten. Diese Erkenntnis, diese Überbelastung seines der Schönheit der alten Welt zugehörenden Geistes konnte Stefan Zweig nicht tragen.

Es ist dem Manne, der fern von Europa den Tod gefunden hat, in Seinem Leben vielleicht zu leicht gemacht worden. Aus einer reichen Wiener Familie stammend, bot ihm die materielle Seite des Lebens keine Schwierigkeiten; kaum erwachsen, beglückten ihn die ersten literarischen Erfolge, die dann eigentlich ohne Unterbrechung dem Schaffenden treu blieben. Zweigs erlesene Geistigkeit fand die Freundschaft der besten Europäer und verlieh so seinem Leben den prickelnden Reiz, der Auslese des Kontinents anzugehören. Der erste Weltkrieg unterbrach wohl diesen geistigen Kontakt, gefährdete aber die Existenz oder Produktivität des Dichters keineswegs. Das Wissen um das Ende eines heißgeliebten Zeitabschnittes war für Stefan Zweig niederschmetternd, doch konnte die bald einsetzende Beseitigung der Kriegsschäden, die dann folgende langsame Gesundung der Welt doch diesen Schmerz lindern und schließlich ganz zum Verstummen bringen. Wohl stutzte der Dichter manchmal, wenn ein jäher Riß zeigte, wie dünn die Decke war, die in jenem Interregnum zwischen den beiden Kriegen den Abgrund überdeckte, doch werden wohl die Hoffnung auf neuen Aufstieg und Fortschritt, der Glaube, daß ein neuer globaler Krieg unmöglich sei, wieder Beruhigung und Sicherheit gebracht haben.

Hier dürfen wir daran erinnern, daß wir gerade sagten, Stefan Zweig wäre es vielleicht in seinem Leben zu leicht gemacht worden; denn wir glauben, daß er darum den Dynamismus wieder und wieder betrogener, entwurzelter, unverschuldet in Not geratener Massen, der im 3. und 4. Dezennium unseres Jahrhunderts so oft bedrohlich vorstieß und dem sehenden Beobachter die wahre Situation verriet, daß er also darum diese nach Umsturz drängende Kraft nicht erkannte und auch, da sein Leben zu gesichert und ungefährdet war, nicht erkennen konnte. Denn die Massennot von Mitmenschen in ihrem tiefsten Kern zu erkennen und mitzuleiden, muß man entweder selbst Not erlebt haben oder — aus materiell gesicherten Kreisen stammend — Mensch des sozialen Herzens sein. Beides war Stefan Zweig als Träger einer ausschließlichen Geistigkeit — also als Mensch des Intellekts — versagt. Wir wollen, um Mißverständnissen vorzubeugen, feststellen, daß er das soziale Massen Schicksal nicht begriff, ein Akzidens, das nichts mit gutem Herzen und Bedauern des notleidenden einzelnen Individuums zu schaffen hat. Um hier ein Pendant anzuführen: Werfel konnte das kollektive Leid . erkennen, mitleiden und ging 'so einen ganz anderen Weg wie Stefan Zweig. Dieser ließ sich nun von glänzenden Fassaden, die nach 1918 neu errichtet wurden, täuschen; was dahinter kochte und brodelte, konnte er nicht wahrnehmen und nicht verstehen, höchstens in einer trüben Stunde erschrockenen Herzens bedrückt ahnen. So kam es, daß, als 1939 dieser neuerrichtete Turm der Sicherheit zusammenbrach, auch sein Leben einen unheilbaren Riß erhielt, da sich jetzt das endgültige Ende des alten Europa grausam und ohne Maske zeigte.

Das Ende Europas, denn Zweig wai Europäer, nie aber Abendländer. Dem über, nationalen Kreis zugehörend, der seine kul turellen Ideale in einem Humanismus liberaler Formung suchte und fand, sah der große Dichter sein Idol in einer nur individualistischen Welt, die von einer geistigen Auslese getragen und in einem steten Streben' nach Humanität und unbeschränkter persönlicher Freiheit fernen, glücklichen Zielen entgegengeführt würde. Also die alten französischen Gedanken, vermehrt durch die Ideologien des 19. Jahrhunderts. In der Ära des Liberalismus aufgewachsen, konnte sich Stefan Zweig letzten Endes von ihren Gedankengängen zeitlebens nicht mehr freimachen; er sah nur ein rationalistisches, dem Fortschrittsglauben huldigendes Europa, die metaphysische Schau eines Abendlandes als Synthese von Christentum, Antike und Volkstum war ihm fremd. Nur mit einer rein diesseitigen, weltlichen Schönheit verbunden, mußte die Welt für ihn grau und hoffnungslos werden, als die sorglich gehegten Gärten seines Lebens mit jähem Schlag zerstört wurden. Was blieb? Maßlose Trauer und Verzweiflung, die ihn folgerichtig zum letzten Schritt trieb. Denn eines wußte der Dichter: daß es diesmal nicht mehr gelingen würde, noch einmal die alte gesicherte Schönheit über eine schwankende Brücke ans neue Ufer zu retten.

Nun, das menschliche Leiden in Zäsuren der Weltgeschichte ist allgemein und unermeßlich. Viele große Geister mußten das bittere Brot der Emigration essen, und die meisten begriffen, daß das alte Paradies für immer verloren sei. Warum zerbrach gerade Zweig daran? Weil Stefan Zweig wie wenige die letzte süße Überreife der zum Sterben verurteilten alten Zeit genießen konnte; weil er — Freund aller großen Geistigen — die Schönheit des alten Kontinents in ihrer ganzen Fülle sah und darum unaussprechlich liebte; weil er aber das klirrende Zerbrechen des humanen Fortschrittglaubens nicht über- .leben kannte.

Die seltene Beglückung, die dem nun Toten zuteil wurde, durch intensivstes Erleben der alten Kultur sie so ganz zu verstehen und ihr darum hörig zu sein, barg eben auch schwere Gefährdung in sich; sie verleitete, nur den Glanz der alten, reichen Welt zu sehen, nidit aber ihr Elend.

Die letzten Gründe, die neben der Willkür des liberalen Kapitalismus zum Zusammenbruch der europäischen Ordnung führen mußten, die jahrhundertelange Aushöhlung des kontinentalen Menschen durch eine rationalistische Philosophie, konnten Stefan Zweig nicht sichtbar werden. Selbst im Banne Freuds und säkularisierter humanistischer Ideen, nahm sein Blick nicht wahr, daß die große Katastrophe vom europäischen Menschen selbst mit ameisenhaftem Fleiß herbeigeführt wurde und kommen mußte.

Die schwere Depression der Fremde wird es mit sich gebracht haben, daß der Stil seines letzten Buches nicht mehr ganz die alte Höhe hält. Es mag aber auch schwer fallen, den edlen Schwung des Prologs zu „Castellio gegen Calvin“ in einer breiten, epischen Autobiographie wiederzufinden. Kleine Unrichtigkeiten, dem großen zeitlichen Abstand des Erlebens und Berichtens entspringend, stören kaum. Einige Fehlmeinungen fallen auf, so — um eine anzuführen — die Gegenüberstellung der verlogenen Sexualität des ausgehenden 19. Jahrhunderts zur „freien", „glücklichen“ der Jahre nach 1918. Gewiß, die Kultur jener Jahre war im sexuellen Sektor falsch und unwahr, aber ein Blick in unsere Tage zeigt eindringlich genug, wohin die Entfesselung geführt hat. Diese und ein paar ähnliche Anschauungen, leicht erklärlich durch die Position des Autors, sind — unter diesem Aspekt betrachtet — nicht von Gewicht und leicht zu berichtigen.

Es wäre müßig, zu sagen, daß Stefan Zweigs Erinnerungen bemerkenswertester Art sind, denn der Bericht eines Lebens, wie es ihm zu führen vergönnt war, kann nur höchste Beachtung finden; eine Fülle interessanter Menschen und Begebenheiten hält uns immer wieder in Spannung. Besonders für die Jüngeren von uns ist der Blick in die freie Welt von gestern und vorgestern bedeutsam und fordert zu Vergleichen mit dem Heute heraus. Aber ungewollt zeigt sich in den Erinnerungen die Hinfälligkeit aller menschlichen Ideen und Bestrebungen, ihre im großen Weltgeschehen ephemere Bedeutung und die große, schwere Mahnung, daß wir Menschen ohne Bindung mit dem Jenseitigen nichts sind wie Staub im Winde.

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