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„...und ich werde bis ans Ende meinen langen leidvollen Weg gehen“

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Die letzten Briefe Marie Antoinettes. Herausgegeben, erläutert und übersetzt von Paul Christoph, Cesam-Verlag, Wien, 220 Seiten mit 8 Bildern und 2 Faksimiledrucken. Preis 56 S.

Man pflegt mit Recht eine Parallele zu ziehen, zwischen der Seelenstärke, die Maria Theresia in allen Bedrängnissen an den Tag legte und der Fassung und unvergleichlichen Haltung, mit der Marie Antoinette die Unbilden ihrer Hatt und ihres Prozesses ertrug und schließlich das Schafott bestieg. Hier erwiesen Mutter und Tochter die gleiche Kraft eingeborenen Herrschertums, die gleiche in ihren Glauben begründete Leidensfähigkeit, die gleiche Gabe sich über den Augenblick zu erheben. Sonst schien Marie Antoinette, deren leichter Sinn stets die Sorge ihrer Mutter bildete, mit dieser nur allzu wenig gemeinsam zu haben.

Hier liegen nuA die Briefe vor, welche die unglückliche Herrscherin zwischen 1791 und 1793, also in den Jahren äußerster Bedrängnis geschrieben hat. Sie umfassen die Zeit, da die königliche Familie in den Tuilerien unter der Bewachung der neuen Volkstribunen lebte, die mißglückte Flucht, die Leidenszeit des Temple und schließen mit einem Ausklang von unsäglicher Hoheit und Schönheit, dem letzten Brief an Madame Elisabeth, ihre Schwägerin.

Was diese Zusammenschau von 80 Briefen der unglücklichen Herrscherin vor allem offenbart ist ihre eminente politische und diplomatische Begabung — jener politische Sinn, jenes psychologische Einfühlungsvermögen und jene Meisterschaft der Menschenbehandlung, welche untrennbar zu Maria Theresiens Herrscherpersönlichkeit gehören. Welche Tragik, daß diese Gaben in der Tochter erst am Rande des Unheils erwachten! Was im Vorwort des Werkes eingehender über die Beziehung Marie Antoinettes zum Grafen Fersen gesagt wird, ist nicht neu — auch der Brief der Königin vom 4. Juli 1791 ist bereits bei Stefan Zweig (Marie Antoinette, S 284) genannt und dort im wesentlichen auch zitiert.

Wie Maria Theresia der wahre Römisch-Deutsche Kaiser und, im Rechte wie in der Tat, „König“ von Ungarn“ war, so könnte man sagen, daß der König von Frankreich jener Zeit Marie Antoinette war. Sie selbst schrieb an den Grafen Mercy d'Argenteau am 16. August 1791: „Ich weiß nicht ob sie (meine Ansicht) befolgt werden wird. Sie kennen die Persönlichkeit, mit der ich es zu tun habe (der König); im selben Augenblick, in dem man sie überzeugt glaubt, läßt sie ein Wort, ein Satz ihre Haltung ändern, ohne daß sie es ahnt.“ So laufen alle Fäden in der Hand der Königin zusammen. Eine Folge von Briefen wandert durch die Hände der verschiedenartigsten Mittelsmänner und Boten an Freunde des Königtums im In- und im Auslande. Die Königin weiß jeden Augenblick darum, wie peinlich sorgfältig sie überwacht wird — sie selbst warnt Freunde vor einigen Personen der ihr aufgezwungenen Umgebung. Sie schreibt manchmal mit sympathetischer Tinte, meist aber in Chiffren, die nur der Besitzer eines ganz bestimmten Werkes („Paul et Virginie“) bei genauer Angabe von Seite und Zeile nach einem besonderen Schlüssel entziffern konnte. Oft bedient sie sich auch jener Umschreibungen, in welche in einer Zeit des Terrors, verdächtige Personen ihre Aeußerungen zu kleiden pflegen. Manche Briefe, wie jene an Barnave, wurden überhaupt nur zur Täuschung geschrieben.

Die ausführlichen Schreiben und Billette richten sich in sorgfältigst ausgewogenen Ausdrücken und nur den jeweils gewünschten Teil der politischen Pläne freigebend, wie erwähnt, an einen weiten Kreis. Etwa 30 gehen an den getreuen Grafen Mercy d'Argenteau, den früheren kaiserlichen Botschafter in Versailles, der nun von den österreichischen Niederlanden, von Brüssel aus, die Brücke zu Kaiser Leopold II. schlägt. Durch Mercy gehen die politischen Entwürfe, oft förmlich kleine Denkschriften voll Klarsicht, manchmal geradezu eine Ueberschau über die allgemeine politische Lage, an den kaiserlichen Bruder. Sie sind in gewandtem und präzisem Stil gehalten, nie fehlt der Schreiberin der zutreffendste Ausdruck und — das ist ihr großer Reiz und Vorzug — sie sind genauest auf die Psyche des Empfängers eingestellt. Und, die vom regelmäßigen Verkehr mit der Umwelt abgeschnittene Frau bewahrt sich ein untrügliches Urteil. Verständlicherweise kreisen ihre Pläne um die Person Leopolds IL, die Gewinnung seiner Hilfe. Aber sie widerrät eindringlichst jedem kriegerischen Manifest, warnt vor dem politischen Unverstand und Ueberschwang der Emigranten, bittet ein ums andere Mal keinen Krieg zu beginnen, bevor nicht die königliche Familie in Sicherheit wäre. Am 30. April 1792 richtet die Königin an Mercy aus diesen Besorgnissen heraus ein Schreiben, dessen lapidare Anfangsätze lauten: „Der Krieg ist (durch Frankreich, Anm. d. Red.) erklärt. Der Wiener Hof soll versuchen, seine Sache so weit als möglich von der der Emigranten zu scheiden und es in seinem Manifest ankündigen; gleichzeitig denkt man, daß er seinen natürlichen Einfluß auf die Emigranten geltend machen könnte, um ihre Forderungen zu mäßigen, sie zu vernünftigen Ideen zurückzuführen und sie schließlich mit allen jenen zu vereinigen, die die Sache des Königs unterstützen werden. Es ist leicht sich die Gedanken vorzustellen, die den Kern des Manifestes bilden müssen. . .“ Die dann folgenden klugen Ratschläge blieben ungehört, das Manifest des Herzogs von Braunschweig goß Oel ins Feuer, denn wie die Königin später fortfährt, „die Franzosen werden immer jede politische Intervention der Ausländer in ihre Angelegenheiten zurückweisen . . .“

Vergeblich bezieht die Königin Spanten, Savoyen, die Schweiz und Schweden in ihre Pläne ein. Briefe mit Wärme und Verehrung, aber doch aus dem würdigen Abstand des Bedrängten geschrieben, gehen an Katharina die Große. In allen ihr zugänglichen Gruppen wirbt die Königin um Freundschaft, um Hilfe, stets voll Würde und Anmut, immer in jener Tonhöhe und Lage, welche die Sympathie, das Interesse des Empfängers erwecken muß.

Als nach dem Tode Leopold II. die Beziehungen zum Wiener Hof lockerer werden, tritt der Briefwechsel mit dem Grafen Fersen in den Vordergrund. Mit nie versagendem Eifer, großem persönlichen Wagemut und, wie gesagt werden muß, bedeutenden finanziellen Opfern kämpft Fersen um die Rettung des Königspaares. Mit Beschämung liest man, daß der Hof in Wien, wiewohl der Schmuck der Königin und andere große Vermögenswerte glücklich dahin gerettet werden konnten, entgegen einem ihm vorgewiesenen, vom König und der Königin gefertigten Auftrage, Fersen nicht einmal jene Summe ersetzte, die dieset zur Vorbereitung der Flucht des Königspaares selbst bei Fremden ausgeliehen hatte.

Am 16. Oktober 1793 fiel das Haupt der Königin auf dem Schafott. Wie der „Moniteur“ vom 27. Oktober berichtete, nahm man auf ihrem Gesicht weder Stolz noch Niedergeschlagenheit wahr. „Um ein viertel nach zwölf ist ihr Kopf gefallen und der Scharfrichter hat ihn dem Volk inmitten von langanhaltenden Rufen ,Es lebe die Republik!' gezeigt!“ So schließt die Schilderung des republikanischen Amtsblattes.

Durch die präzisen und, bei aller gebotenen Kürze, materialgesättigten Erläuterungen, welche Aufklärung über die Persönlichkeit der Briefempfänger, Stichworte zu den Vorereignissen und zur allgemeinen Lage einfließen lassen, durch ein inhaltsreiches Vorwort reicht der Gehalt des Buches weit über den einer bloßen Briefsammlung hinaus. Aus dieser Wechselwirkung steigt das erschütternde Bild einer mutvoll um Leben und Krone kämpfenden Frau, — das Bild vom Untergang des französischen Königtums.

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