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Vom Stolz und der Demut der Technik

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Es erfüllt mich mit aufrichtiger Genugtuung, wenn sich mir heute Gelegenheit bietet, einen Leserkreis anzusprechen, der dem Wirken des Technikers gegenüber eine gewisse — und ich will es nicht verhehlen — nicht immer unbegründete Skepsis an den Tag legt. Diese Gelegenheit soll dazu benützt werden, die Motive aufzuzeigen, die den Techniker im allgemeinen, uns Energiewirtschafter im besonderen bei unseren Bestrebungen leiten.

Getreu dem an ihn ergangenen Auftrag war der Mensch sejt( seiner Erschaffung bestrebt, die Kräfte der Natur nutzbar zu machen. Von der Erfindung des Rades, des Hebels und des Keiles bis zu den beklemmenden Erfolgen der Kernforschung, die heute schon Kräfte entfesseln, die dem Willen und der Macht ihrer Entdecker fast zu entgleiten drohen, ist ein langer Weg, auf dem die Technik nicht nur einmal ganz wesentlich in die Entwicklung unserer Zivilisation eingegriffen hat. Im vergangenen Jahrhundert gelangen so bedeutende Fortschritte, und mancher glaubte wohl, daß die Natur unserem Willen unterzuordnen sei. Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Die Menschheit bebt vor den Folgen ihrer eigenen Kühnheit, vor den Erfolgen ihres Forscherdranges.

Es ist nicht zu leugnen, daß die Fesseln, die man den ausgebeuteten Kräften der Natur anzulegen versuchte, vielfach geduldet wurden; nicht selten aber forderten sie zu zorniger Reaktion heraus. Je früher der Techniker zur Feststellung kam, daß er dort, wo es hart auf hart ging, unterliegen mußte, je früher er sich der Demut vor Schöpfung und Naturkraft besann, desto segensreicher wurde sein Wirken für die Menschheit.

Ich glaube nicht, daß man es als Kapitulation bezeichnen kann, wenn wir Ingenieure heute zu dem Standpunkt gelangt sind, zu versuchen, der Natur mit viel Einfühlungsvermögen und Geschick das abzuschmeicheln, was sie dem rauhen Zugriff brüsk verwehrt. Unergründlich sind ihre zahlreichen Launen und anpassungsfähig müssen unsere Methoden sein, wenn wir den Erfolg anstreben. Es würde dem Sinn der Schöpfung zuwiderlaufen, wollte uns die Natur ihre Hilfe verschließen; der Sinn des Auftrages ist zu klar! Und der Ingenieur ist es, dem die Aufgabe gestellt wurde, für diese Hilfe stets besorgt zu sein, ihre Art und ihr Maß den Bedürfnissen der Menschheit jeweils anzupassen. Diese Aufgabe ist schwer, da sie nicht selten zu einem Zweifrontenkrieg führt. Denn er sieht seine Arbeit nicht nur stets von den übermächtigen Naturgewalten bedroht, sondern auch der mehr oder minder heftigen Kritik seiner Mitmenschen ausgesetzt. Und wenn er in Erkenntnis der Schwierigkeit seiner Aufgabe die Tatkraft seiner Vorgänger würdigt und ihre Arbeit verteidigt, wie soll er dann glaubhaft machen, daß er selbst über manches auf uns Ueberkommene mehr Bedauern als der Kritiker Aerger empfindet? Sollte gerade er, dessen Schaffen in so vielen Fällen so eng mit der Natur verbunden ist, weniger Liebe für sie empfinden als seine Mitmenschen, vielleicht gerade jene, die den „Naturschutz“ als Beruf erkoren haben, ohne je selbst etwas „Wirkliches“ geleistet, die nur kritisieren, ohne je geschaffen zu haben? Sicherlich zählen Großbaustellen, wo immer sie sich befinden mögen, nicht zu den erfreulichsten Anblicken; doch dieser Zustand ist vergänglich. Nach kurzer Zeit vernarben die Wunden im Landschaftsbild, und was bleibt,, ist eine neue Quelle zur Hebung unseres Vfyohl-standes. Wer würde allen Ernstes dem Arzt Vorwürfe machen, der zum Wohle des Renschen nicht zurückscheuen darf, manch harten Eingriff vorzunehmen, dessen Spuren auch njeht immer restlos zu beseitigen sind?

Neben seinem konstruktiven Schaffen ist der Techniker stets bestrebt, Mittel und Wege zu finden, seine Werke besser zu gestalten und den Bedürfnissen der Menschheit reibungsloser anzupassen. Einer dieser Wege besteht im Austausch von Erfahrungen mit Fachkollegen, wie er sich anläßlich der Abhaltung von Konferenzen ergibt.

So wird denn auch die 5. Weltkraftkonferenz in Wien im Rahmen ihrer zahlreichen technischen Sitzungen Gelegenheit bieten, Diskussionen über Fortschritte auf dem Gebiete der Energiewirtschaft abzuhalten. Das Generalthema „Die Energiequellen der Welt und ihre Bedeutung im Wandel der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung“ ist so weit gesteckt, daß alle Sparten der Energiewirtschaft beleuchtet werden können. In den insgesamt 18 Abteilungen, in die es aufgeteilt ist, finden wir die Kapitel über den Stand und Entwicklung der Energiewirtschaft der einzelnen Länder, über die Veredelung von Brennstoffen, über die Ausnützung primärer Energiequellen, über die Abwasser- und Abgasreinigung in der Energiewirtschaft und über die internationale energiewirtschaftliche Zusammenarbeit.

Gerade das vorletzte der genannten Teilgebiete, also die Abwasserbeseitigung und die Abgasreinigung in der Energiewirtschaft, legt Zeugnis von den steten Bestrebungen des Ingenieurs ab, den Auswirkungen der von ihm geschaffenen Anlagen ihre Schädlichkeit zu nehmen. Es handelt sich in (fiesem Kapitel darum, umfassende Abwehrmaßnahmen gegen die Verschmutzung der Gewässer durch die Einleitung von Abwässern aus energiewirtschaftlichen Großbetrieben, wie etwa Kohlenwäschereien, Kokereien und Gaswerken sowie durch die Rauch- und Staubbelästigung durch kalorische Kraftanlagen zu finden. Die Abfälle aus den Atomkraftwerken, deren Zeitalter in unseren Tagen angebrochen zu sein scheint, unterstreichen die Aktualität dieser Probleme beträchtlich.

Das eben erwähnte, willkürlich aus einer Vielzahl herausgegriffene Kapitel darf also mit als Beweis dafür gelten, daß die heutige Technik weit davon entfernt ist, die ungewollten Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu übersehen. Die Behandlung solcher Probleme im Rahmen der Weltkraftkonferenz stellt aber keinen Einzelfall dar. In zahlreichen technischen Institutionen, wie etwa dem. Oesterreichischen Wasserwirtschaftsverband, bestehen permanente Ausschüsse, welche für die Behandlung solcher Fragen zuständig sind und in Wort und Schrift ihr Ziel verfolgen. Jede positive Kritik an bestehenden Unzukömmlichkeiten ist erwünscht und jeder Vorschlag kann auf gewissenhafte Prüfung hoffen.

Das letzte Kapitel über die internationale Zusammenarbeit ist von ganz besonderem österreichischen Interesse. Unsere Bestrebungen in dieser Hinsicht sind bekannt. Der Ueberschuß des Wasserkraftpotentials Oesterreichs verdient — am Beginn des Zeitalters der Atomkraftwerke — die Aufmerksamkeit Europas, und die Diskussionen zu diesem Gegenstand werden den Fachleuten der Welt Gelegenheit geben, nicht nur ihre eigenen Anschauungen kundzugeben, sondern auch die vielfachen Möglichkeiten zu erörtern, die in der Zusammenarbeit zwischen der Wasserkraft der zentraleuropäischen Gebirgszüge und der ihnen vorgelagerten fossilen Energieträger liegen.

Eine solche enge Zusammenarbeit tut heute not auf allen Gebieten des menschlichen Lebens. Das stete Anwachsen der Bevölkerung unseres Erdballs stellt Probleme, zu deren Lösung die Technik wesentliche Beiträge zu liefern hat. So wird es der vereinten Anstrengungen aller Völker bedürfen, die hiefür erforderlichen Energiemengen bereitzustellen, sei es durch Rationalisierung der Ausnützung bekannter Träger.-sei es durch Erschließung neuer Energiequellen.

Das Ziel der Weltkraftkonferenz liegt damit klar vor uns, und wir wollen hoffen, daß es ihr gelingen möge, auch weitere Kreise, die bisher wenig Kontakt mit den Problemen der Technik im allgemeinen und der Energiewirtschaft im besonderen hatten, zu einer wohlwollenden Förderung oder sogar zur Mitarbeit zu gewinnen.

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