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Digital In Arbeit

VON DEN WORTEN

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Nicht die geringste Bedeutung messe ich dem bei, was man femeinhin Stil heißt, und woran einen Autor zu erkennen man sich rühmt. Ich will an meinen Ideen erkannt werden, oder besser noch: an meinem Verhalten. Ich will mich nur so kurz und bündig wie möglich zu Gehör bringen. Ich habe bemerkt, daß der Geist, wenn ein Buch ihn fesselt, leicht zum allzu flüchtigen Lesen neigt und sich in seinem Dahinschldttern noch bestärkt. Daher schrieb ich sozusagen im Zickzackstil, der den Leser zwingt, sich nicht einfach stracks dahingleiten zu lassen, sondern immer wieder zurückzugehen und die Sätze noch einmal zu lesen, n den Faden nicht zu verlieren.

Wenn ich ein Buch lese, wundere ich mich über den Reichtum an Worten, denen ich darin begegne, und dann träume ich davon, sie gleichfalls zu verwenden. Ich schreibe sie mir heraus. Aber während der Arbeit denke ich nicht mehr daran. Dann beschränke ich mich auf mein Vokabular. Mir gelingt nicht, von ihm abzuweichen, und es ist so unzureichend, daß mir die Arbeit manch harte Nuß zu knacken gibt

Nach jeder Zeile frage ich mich, ob ich überhaupt weiterkommen werde und ob die mögliche Zusammenstellung der wenigen Worte, die immer die gleichen sind, nicht eines Tages sich derart leerläuft, daß ich mich zum Schweigen gezwungen •ehe. Das würde zwar niemandem zum Schaden gereichen, aber mit den Worten ist's wie mit den Zahlen oder den Buchstaben des Alphabets. Immer und ewig fügen sie sich neu auf den Grund des Kaleidoskops.

Wie gesagt, ich beneide die anderen um ihren Wortschatz. Zweifellos deswegen, weil er nicht der meine ist. Jeder Autor hat seinen Lottobeutel, mit dem er eben gewinnen muß. Ich leim den Stil ab, der durch Flauberts allzu wortreiche Schreibart gekennzeichnet wird, und ich liebe den Stil der Montaigne, Racine, Chateaubriand, Stendhal, den Stil, der mit Worten haushält. Man würde sie rasch gezählt haben.

Das ist die Hauptsache, auf die ein Professor die Aufmerksamkeit seiner Klasse lenken sollte, statt schillernde Satzbauten zu preisen. Die Schüler würden rasch einsehen lernen, daß der Reichtum in einer gewissen Knappheit besteht und daß „Salambö“ ein Bettelkram ist und „Le Rouge et le Noir“ ein Schatz.

Die an Farbigkeit und Klangschönheit reichen Worte sind ebenso schwer anzubringen wie in der Kleidung die auffallenden

Schmuckstücke und die grellen Farben. Damit wird sich eine elegante Frau niemals verunstalten.

Die gelegentliche Verwendung eines ausgefallenen Wortes, falls es an den rechten Platz zu stehen kommt und die Sparsamkeit des übrigen unterstreicht, soll damit nicht verworfen werden. Allerdings rate ich, es nur dann zuzulassen, wenn es nicht allzusehr glitzert und sprüht.

Die Wörter dürfen nicht dahinplätschern, sie sollen sich fest ineinanderfalzen. Ihre Verse verdanken sie ednem Grottengefüge, durch das die Luft ungehindert streichen kann. Das und ist ihnen als Mörtel ebenso unerläßlich wie der, daß, was, dessen. Die Prosa ist kein Tanz. Sie geht im Schritt. An diesem Ausgreifen (und Eingreifen) erkennt man ihre besondere Art, erkennt man das Gleichgewicht, das dem Eingeborenen eignet, der seine Bürde auf dem Kopf dahinträgt.

Das bringt mich auf den Gedanken, daß dde elegante Prosa Funktion des Gepäcks ist, das der Schriftsteller in seinem Kopf mit sich trägt, und daß sich jede andere Prosa von einer Choreographie herleitet.

Vor geraumer Zeit wollte ich einmal eine bestimmte Prosa, der damals meine Vorliebe galt, gewissen Leuten nahebringen, die für sie unempfänglich blieben. Als ich diese Prosa in dem ängstlichen Gefühl, nicht überzeugen zu können, laut vorlas, enthüllte sie alle ihre Gebrechen.

Diese Schlappe läßt mich künftig auf diesem Gebiet vorsichtiger sein. Ich fing an, allem zu mißtrauen, was mich auf den ersten Blick entzückte. Allmählich lernte ich, mich nur für jene Werke zu begeistern, denen die Schönheit innewohnt, ohne daß ihr Verfasser dessen gewahr wird und stich vornehmlich damit beschäftigt.

Auch wenn ein Vokabular nicht dem meinen entspricht, so kommt es doch vor, daß ich darin einem Fachausdruck begegne, den ich übernehme. Als Beispiel nenne ich die Wendung, die in Logbüchern häufig wiederkehrt: Meiner Schätzung nach. Sie sagt aufs trefflichste, was sie sagen will, und ich übernehme sie in Ermangelung einer besseren.

Die französische Sprache ist schwierig. Sie versagt sich gefälligen Verwischungen. Gide drückt das ganz prächtig aus, wenn er sagt, sie sei ein Piano ohne Pedale. In ihr kann man keine Akkorde verschwimmen lassen. Sie wirkt sozusagen „auf dem Trockenen“ Ihre Musik richtet sich mehr ans Gemüt als an das Ohr.

Was bei den Klassikern als Sprachmusik eingeschätzt wird, ist häufig nur zeitbedingter Zierat. Dem entgehen selbst die Großen nicht, wenn sie auch darüber hinwegkommen. Bei den Kleineren merkt man die Künstelei. Celimene und Alceste scheinen die gleiche Sprache zu sprechen.

Es ist wahrscheinlich, daß die disparatesten Sprachen unserer Epoche sich allesamt zu einer neuen verschmelzen werden. Der Stil wird dann allenthalben fast der gleiche sein. Der einzige Unterschied wird nur noch in dem, was zum Ausdruck gebracht wird, und dn der Klarheit der Äußerung bestehen.

Abgesehen von ihrem Sinn, verfügen die Worte über magische Gewalt, Macht der Beschwörung, hypnotisierende Kraft und über ein Fludium, das außerhalb ihres innewohnenden Sinnes wirkt Aber es wirkt sich nur aus, wenn man sie zusammenfügt, und gelangt nicht zur Wirkungsfülle, wenn das Gefüge, das sie bilden. in einer bloßen Aneinanderreihung besteht. Das Schreibwerk ist folglich an ein mehrfaches zwingendes Maß gebunden: Anreiz, Ausdruck, Verzauberung. Die Verzauberung wird uns von nichts und niemandem beigebracht, sie ist unser eigenes Verzaubertsedn, und es kommt darauf an, daß die Wortfolge unserem Wesen entspricht, um ihre volle Wirkung tun zu können. Die Worte stehen, im Grunde genommen, an unserer Stelle und sollen die Abwesenheit unserer Blicke, unserer Gesten, unseres ganzen Daseins wettmachen. Sic können folglich nur auf Menschen wirken, die für solche Dinge empfänglich sind. Für die anderen sind sie toter Buchstabe und werden, fern von uns und nach unserem Hinscheiden, nichts als toter Buchstabe bleiben.

Die magische Gewalt des Wortgefüges bewirkt, daß ich nicht aus freien Stücken mit einem Schriftsteller, gleichgültig welcher Epoche, Zwiesprache halten .kann. Denn die Worte sind, es, die mich ihm zuführen. Ich befrage ihn. Das geistige Gerüst„dcs Wortgefüges gibt 'mir zu verstehen, was er geantwortet hätte. Oder aber ich finde, wie es zuweilen eintrifft, die von ihm fix und fertig geschriebene Antwort vor.

Die Art der Wortfügung wirkt sich in so hohem Grade aus, daß Philosophen, deren Weltsysteme immer wieder durch andere verdrängt werden, nicht durch das, was sie sagten, sondern durch die Weise, wie sie es sagten, dm Gedächtnis haften bleiben. Welcher von ihnen verdankt den Ruhm nicht seiner schriftlichen Äußerung oder zum mindesten der besonderen Herausarbeitung eines Irrtums? Wir wissen heute, daß Cartesdus irrt, und lesen ihn dennoch. Demnach ist es das Wort, das fortbesteht, weil es menschliches Gegenwärtigsein einbegreift, weil es sein fleischliches Dasein verewigt.

Man verstehe mich recht. Ich spreche nicht vom Wort, mit dem sich ein Gedanke schmückt. Ich spreche von einer Wortarchitektur, die so einzigartig, so tragfähig ist und mit dem Architekten so vollkommen übereinstimmt, daß sie ihre Wirksamkeit auch dn einer Übertragung bewahrt.

Bei Puschkin liegen die Dinge so, daß er sich nur in seiner eigenen Sprache und in keiner anderen mitzuteilen vermag. Sein Zauber überwältigt den Russen, welcher Richtung auch immer er angehört. Ein solcher Kult kann nicht ausschließlich einer Sprachmusik gelten, und da uns der Sinn ziemlich gewürzlos übermittelt wird, muß doch wohl eine bestimmte Hexerei im Spiele sein. Ich schreibe es dem Tropfen schwarzen Blutes zu, der in seinen Adern floß. Puschkins Trommelspiel ist eine Sprache. Ändert man den Anschlag, bleibt nur Getrommel.

Gewiß, bei Dichtern ist die Rolle der Worte einschneidender als in der Prosa. Meiner Schätzung nach geht immer etwas vom Grundgewebe aus einer Sprache in die andere über, wenn die Worte fest geknüpft sind. Shakespeare liefert dafür den Beweis. Darum erscheint mir der Fall Puschkin als einzig dastehend. Ich habe ihn mir oftmals übersetzen lassen. Der Russe, der sich daran gemacht hatte, gab es ebenso oft wiedeT auf und legte mir dar, daß beispielsweise das Fleisch, sobald es verwendet, nicht mehr Fleisch bedeute, wohl aber seinen Geschmack auf die Zunge zaubere, wozu eben nur Puschkin fähig sei. Nun ist aber das Wort Fleisch nichts anderes als die Bezeichnung für Fleisch. Sich selbst übersteigen kann es nur durch die Wörter, die es einfassen und die ihm jene bemerkenswerte Tragweite verleihen.

Die Eitelkeit flüstert uns ein, unseren Pollen in die Sterne zu streuen. Aber wenn ich's recht bedenke, so muß des Dichters Begehren sein, nur seinen Landsleuten zu gehören. Zweifellos wird Puschkin durch das, was ihn zu beeinträchtigen scheint, viel eher begünstigt und zum Ziel der abgöttischen Verehrung, die ihm die Russen entgegenbringen.

Die Prosa richtet sich weniger als die Poesie nach magischen Rezepten. Je mehr sie sich freilich vom Anekdotischen fernhält, desto mißlicher gestaltet sich ihre Übertragung in eine andere Sprache. Oder aber es kommt zu einem so providentiellen Zusammentreffen wie im Fall Charles Baudelaire und Edgar Poe. Zum Zusammentreffen zweier gleich großer Zaubermedster im Gebrauch der Kräuter, Zutaten und Drogen, im Abwiegen, Brauen und Mischen, im Erwägen der Witkung, die dies alle in lebenden Wesen erzeugt.

Aus: „CK Schwierigkeit zu lein“, Verla; Kurt Desch, Y/Iem

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