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Von der Bewertung des Genies

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Das Genie, eine im übernatürlichen entspringende, von ihm erfüllte und zeugende Kraft, kann nur bewertet werden, indem es auf Werte bezogen wird, die nicht im Menschen wurzeln und nicht von ihm abhängig sind, sondern ihm gegenüberstehen mit der Kraft unveränderlichen Seins. Die Unerschütterlichkeit dieser objektiven Wahrheit auch der seltensten Erscheinung gegenüber ist wohl niemals mit größerer Härte und Bestimmtheit ausgesprochen worden als vom Apostel Paulus mit den Worten: „Und wenn ein Engel vom Himmelreich eine andere Botschaft brächte als wir, er wäre im Banne“ (Galaterbrief I, 8). In diesen kaum ergründlichen Worten scheint die ganze Tragik des Genies, namentlich des Genies der modernen Zeit, beschlossen zu sein; man muß sie aber auch im Gedächtnis behalten, wenn man die Haltung der Kirche, als der Verteidigerin der objektiven Wahrheit, in den Fällen verstehen will, wo die Kirche gegen einen außerordentlichen Geist entschied. Das Apostelwort drückt jedenfalls die Absicht und die Überzeugung aus, von denen die Kirche sich In solchen Entscheidungen leiten ließ; es kann aber auch ein Irrtum durchleuchten, der für die Geisteshaltung der neuen Zeit, namentlich des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, bezeichnend ist und der die Verantwortung für viele Fehlschläge und Fährnisse trägt.

Wie, es könnte ein Engel vom Himmel niedersteigen und eine Botschaft verkünden, die der geoffenbarten Wahrheit entgegen wäre und darum von deren Verteidigern verflucht werden müßte? Ein Mensch könnte kommen, der von den geheimen Zeichen der Sendung umleuchtet wäre, ein offenbarer Sendbote — und er spräche nicht die Wahrheit? War dies nicht eben die Legitimation in einer mehr und mehr der Autorität entbehrenden Welt —, daß ein Mensch eine „Sendung“ hatte? Die Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts von Fichte bis Nietzsche waren offenbar Gesendete; in Schopenhauers Augen war das Genie mit dem Mantel der Unfehlbarkeit bekleidet; als Gesendete sah man auch die modernen Dichter an, namentlich wenn sie sich zu Verkündern einer Weltanschauung erhoben, und man beugte sich vor ihnen, eben um dieser Sendung willen. Auf ihr schien die einzige noch erträgliche Autorität zu beruhen; und der moderne Mensch, der bereit war, um seiner Freiheit willen alles Vät'ererbe wie lästigen Hausrat zu verbrennen, fühlte sich zur Ehrfurcht und Nachfolge oder wenigstens zum Geleit verpflichtet, wo immer er die Anzeichen einer solchen Sendung wahrzunehmen glaubte oder auch mit vollem Recht entdeckte. Entscheidenderes konnte man von einem Geist, einer Sache nicht sagen, als daß sie „genial“ waren; mit dieser Feststellung waren sie auch legitimiert und mit einem Ansehen ausgestattet, das der Offenbarung einzuräumen in vielen Fällen als schlimmste Rückständigkeit erschienen wäre. Die Heldenverehrung jeder Art, mochte sie sich Helden des Geistes oder der geschichtlichen Tat erwählen, glaubte, sich auf eine höhere Instanz nicht berufen zu können. Freilich befanden sich die auf solche Weise legitimierten Autoritäten samt ihren Anhängern untereinander in einem immerwährenden Widerspruch und im Konflikt mit fast allen Lebenden und Toten, so daß endlich nur die Genialität als solche, ein mit unheimlicher Schnelligkeit sich verbrauchendes, an Gehalt verarmendes Wort, übrig blieb. An Genialität und genialen Geistern schien kein Mangel zu sein; aber wie verschwenderisch die Menschheit mit solchen Autoritäten gesegnet war, ebenso ratlos war sie auch.

So mußte es sich endlich zeigen, daß Genialität wohl einen Auftrag einschließt und die Fähigkeit, diesen Auftrag zu erfüllen, daß sie aber damit noch nicht zur Autorität wird. Vergessen wurde von den Anbetern und unterwürfigen Gefolgsleuten des Genies, daß die Gaben des Geistes dem Menschen in keinem anderen Sinne verliehen werden als die irdischen Güter: damit er sich in ihrer Anwendung bewähre. Genie als solches ist weder gut noch schlecht; es ist ein Auftrag und stellt eine Aufgabe; sein Wert hängt allein ab von dem Dienst, den es der unverrückbaren Wahrheit leistet; und erst in der Beziehung auf sie erlangen auch die Opfer, die der Berufene seiner Berufung bringt, einen Wert. Es steht nicht über der christlichen Ethik, sondern es ist unlösbar an sie gebunden und empfängt nur von ihr einen Sinn; die Gleichheit der Menschen vor ihrem Richter wird vom Genie so wenig wie von den machtlos gewordenen Mächtigen durchbrochen. Und wie auf einem Bilde des Hieronymus Bosch ein von der Gerichtsposaune erweckter König entsetzt an seine Krone faßt, weil er fühlt, daß dieses Zeichen, das ihn einst über die Menschen erhöhte, ihn auch einem strengeren Richterspruch unterwerfen wird: so wird das Haupt, dem das Stigma ungewöhnlicher Gaben aufgeprägt ist, auch einen ungewöhnlichen Spruch erwarten müssen. Denn der Mensch wird belastet, damit er seine Stärke erweise an der Last; Genie ist Prüfung, seine Verleihung eine Probe auf den Menschen, dem es verliehen wird; und ein jeder wird an der Aufgabe gemessen werden, die ihm erteilt wurde. Genie ist aber auch eine Probe auf die Menschen, unter denen es auftritt, und vielleicht die schwerste und furchtbarste Probe; es kann ihnen zum Segen werden, es kann aber auch unter ihnen aufgepflanzt werden als ein Wegkreuz, dessen Inschriften sie lesen müssen, um den rechten Wg zu finden.

Während so die Sendung zum Gericht am Gesendeten wird, kann sie auch diejenigen zum Gericht einfordern, an die er gesendet wurde; stellt doch das Genie am eindringlichsten die Frage nach jener Kraft des Glaubens und der Verpflichtung an die Wahrheit, die den Apostel befeuerten, als er bereit war, auch einen vom Himmel herabgestiegenen Engel zu verwerfen, sofern dieser wider das Evangelium gezeugt hätte.

Aus dem Buch „Macht und Gnade“, mit Bewilligung des Verlages A. Pustet, Graz-Salzburg

Das Holz der Statue war verfault und zerfallen. Zwei vermorschte Köpfe und eine Hand samt ihrem Arm lagen ihr zu Füßen auf dem Boden. Ameisen krochen über das Standbild, Wespen flogen aus seinen Rissen und Spalten.

Einer der Anwesenden versetzte ihm einen kräftigen Fußtritt.

Das Idol knarrte und ächzte, als stöhne es vor Schmerzen. Es wankte, stürzte und zerbrach in eine Unzahl kleiner Stücke, die von der Felsenhöhe in die Tiefe fielen.

Nun richtete an seiner Stelle Druzak das Holzkreuz auf, das er selbst heraufgetragen hatte — es war dasselbe Kreuz, das Brah einstens auf der Grabstätte des Einsiedlers Georgije I. aufgepflanzt hatte.

Alle machten sich auf den Heimweg, nur der Faun blieb allein auf der Höhe von Vidovica zurück.

Er ließ sich nieder und betrachtete das Holzkreuz, das Druzak vorhin aufgerichtet hatte.

Verdorrt schien es ihm zu sein, abweisend kühl, stumm und ohne Leben. — Zwei Holzbaiken, vom Regen werden sie benetzt, von der Sonne versenkt und vom Gewürm betallen werden. Welche Macht mag diesem Zeichen zu eigen sein, daß sich ihm die Großen und die Kleinen beugen, der sanftmütige Georgije und der herrschsüchtige Druzak? Warum verlassen es die Leute, wenn nur an seiner Seite Rettung möglich ist?

Der Faun blieb und warLete.

Die Sonne stand im Westen und beschien den Bergrücken der Insel Hvar jenseits der Meerenge. Im Schimmer des Abendlichtes schienen die Höhen kahl und verödet zu sein. Nichts erinnerte mehr an den Großen Pan, den einst Brah in den ersten Tagen seinesAufenthalts auf der Insel dort geschaut hatte. Der

Gehörnte war ebenso entschwunden wie der Dreiköpfige. — Die Götter sterben wie die Menschen. Pan gab sich durch das Tönen der Syrinx zu erkennen, Svantevid hielt ein Füllhorn, reich an Gaben, in der Hand. Wo aber ist der Gute Hirt? Ich möchte ihn sehen und seine Stimme hören, die vom Kreuz erklingt, an dem er Qualen erdulden mußte und zu dessen Füßen nun seine Herde weidet. Wo ist Er, der selbst den Tod überwunden hat?

Brah wartete lange und wußte selbst nicht, weshalb ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen. Sehnsucht nach einem ihm noch unbekannten Ziel hatte ihn mit Leib und Seele erfaßt. Als ihn dieses Verlangen nicht bloß beunruhigte, sondern auch quälte, erhob er sich, um sich in östlicher Richtung von der Anhöhe zu entfernen.

Er sprang von Stein zu Stein und bemühte sich krampfhaft, diese Gedanken abzuschütteln. Er pfiff, wenn eine Drossel ihm über den Weg flatterte, und sang ein paar Worte der Lieder, die ihm teils aus den Tagen seiner fernen Kindheit, teils aus jener Zeit bekannt waren, die er mit Silen in Elafusa verbracht hatte, dennoch gewahrte er, wie der Schatten des Kreuzes auf der Anhöhe von Vidovica immer vor ihm herwanderte, als begleiteten ihn, ständig wachsend, die dunklen Abbilder der beiden Balken wie zwei Arme, die nach fernen Dingen langen.

Der Satyr blieb stehen, wandte sich um und blickte auf das Kreuz, hinter dem die Abendsonne verglühte. Jetzt, da es in einem Strahlenkranz schier überirdischer Helligkeit stand, schien es ihm noch größer geworden zu sein.

Und ohne zu wissen, was er tat, bekreuzigte ei sich.

Aus dem Roman „Der Hirte Loda“, übersetzt von Alfred Buttlar Moscon mit Bewilligung des Paul-Zsolnay-Verlages, Wien

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