6624763-1956_01_07.jpg
Digital In Arbeit

Was uns Momart Iclircn Icann

Werbung
Werbung
Werbung

Was können wir das Genie fragen, wenn es *o getreulich die Erscheinungsform der geschenkten Gnade, des göttlichen Besuchers annimmt? Und wenn uns solches nicht zuteil ward, wie könnten wir ihm dann nachstreben? Ich möchte es niemand raten. Und ward uns solches zuteil, wie könnten wir dem entsprechen? Auch wieder eine anscheinend müßige Frage. Man iann sich dem nur überlassen ...

Nicht jeder kann sich dem überlassen; es will gelernt sein.

Wir haben alle Genie, mehr oder weniger. Ich möchte damit sagen, daß es niemand in der Welt gibt, den nicht zuweilen der Geist anhaucht.

Jeder Mensch kann ein Heiliger werden; denn ihm wurde schon in die Wiege das Instrument der Heiligkeit gelegt; eine Seele, die einen Leib regiert. Gleicherweise könnte jeder Mensch ein Dichter werden, wenn er, vermöge seiner Naturanlage, über die niemand Sicheres wissen kann, in der Wiege das Werkzeug für Poesie empfangen hätte.

Ich glaube, daß viele es erhalten haben; nur haben sie nicht gelernt, sich seiner zu bedienen. Wüßten sie es gewandt zu handhaben und würden sie es vervollkommnen, dann käme wahrscheinlich einmal der Augenblick, da es der Geist in die Hand nähme; und dann entstände Poesie. Man hat es erlebt, daß Künstler, Komponisten, Schriftsteller und Maler sich ein ganzes Leben lang in einer armseligen, undankbaren Geschäftigkeit plagten, die zu einer hoffnungslosen Unfruchtbarkeit verurteilt schien. Und plötzlich — man weiß nicht, warum — begann sich das bislang schlummernde Werk zu regen. Nicht selten kommt es vor, daß wir in unlesbaren Dichtungen plötzlich einen schönen Vers entdecken. Fügung eines glücklichen Zufalls? Nein, ich glaube nicht an Zufälle. Es ist der Anhauch des Genius, des Dämons oder des Engels; er hat durch einen Spalt Zugang gefunden, den ihm die Mühsal des Menschen aufgetan hat.

Mozart soll uns lehren, wie man sein Genie nutzt.

Mozarts Genie fließt überreich und rein aus der Quelle. Wie kein anderes bot es sich leicht und verlockte zur Bequemlichkeit. Er hat es nie mißbraucht. Er hat es nie vergeudet.

Es demütig anzunehmen und sein Talent auf die gleiche Höhe zu bringen; sich um so mehr zu bemühen, je reichlicher seine Mittel sind; alles anzunehmen und alles zu verschenken; kurzum: zu dienen — dies ist sein Gesetz. Zu dienen mit Hingabe und Heiterkeit.

Ein Dienst also, der ein Spiel wäre oder eine Feierlichkeit? O nein! Mozart hatte Leidenschaft für seine Kunst,, war besessen von ihr, aber er betete sie nicht an. Denn nichts Menschliches ist anbetungswürdig für einen Menschen, der an Gott glaubt.

Sein Glaube bewahrt ihn vor der ärgsten ästhetischen Ketzerei, wie solche unsere Zeit treibt.

Niemals hätte er sich so ausgedrückt; „Dies ist meiner Kunst unwürdig ...“ Die Kunst hat eben alles würdig zu machen.

Nie hätte er gesagt: „Es ist meiner Kunst unwürdig, sich dem Auftrag anzupassen.“ Alle seine Werke sind so entstanden.

Nie hätte er gesagt: „Es ist unwürdig, sich durch die Kunst der anderen anregen zu lassen.“ Gerade das hat er fast immer getan.

Nie hätte er gesagt: „Es ist ihrer unwürdig, der Mode zu folgen.“ Vielmehr gilt es zu lernen, wie man Beifall erzielt.

Nie hätte er gesagt: „Es ist der Kunst nicht würdig, der Unterhaltung zu dienen.“ Er selber hatte die allermeiste dabei.

Er wußte es ganz klar: Nicht das Leben hat sich der Kunst zu beugen, sondern die Kunst muß sich den Bedingungen des Daseins fügen, um sie — sodann — zu überwinden. ,, Seine Arbeit allein vermochte schon, ihm die Welt vom Leibe zu halten; gleichwohl liebte er die Welt; sein Schaffen geschah nicht im luftleeren Raum.

Er blieb rein wie seine Kunst, blieb der reinste aller Künstler, aber von dem heutigen Ideal der „Reinheit“ war er entfernt wie keiner.

Er wußte, daß der Künstler, schon seinem Begriffe nach, auf dem Felde menschlicher Arbeit am Rohstoff werkt, am Unsauberen, sonst hätte er ja nichts zu leisten.

Er wußte ebenso;'daß der Künstler kein

Schöpfer aus dem Nichts ist, sondern ein Werkmann; daß es unsinnig ist, sich in den Wunschtraum zu verlieren, etwas zu schaffen, was niemand sonst schaffen kann oder schaffen würde; sich also ausschließlich in das Bestreben zu -verbeißen, dem eigenen Ich Ausdruck zu geben als einem einzigartigen, unersetzbaren Schatz; und etwa zu versuchen, den Funken von dem Stahl zu trennen, aus dem er sprüht. Dies alles ist Unsinn und das Gegenteil zuchtvoller Schaffensweise.

Der Künstler, der hinter der Originalität herjagt, hinter dem Ungewöhnlichen und Auserlesenen, wird es nie erreichen; denn solches wird nur geschenkt.

Wenn ein Künstler Angst vor der Banalität, dem Vulgären und Oberflächlichen hat, so beweist dies, daß er selbst banal, vulgär und oberflächlich ist.

Armselig ist die Kunst, in der der Künstler sich selbst bespiegelt, da es doch die Menschen gibt und die Welt und dazu noch alles, was wir ersinnen können!

Die große Kunst beruht auf Können, verschleiert es aber, protzt nicht damit.

Die große Kunst muß sogar auf alle Theorie gelegentlich verzichten können, muß mit den einfachen Leuten lachen und zechen.

Die große Kunst, die umfassende, ist — wie die Welt — aus allem zusammengesetzt: aus Schönheit, Kostbarkeit, Adel; aus Dunkelheit, Mittelmäßigkeit, Häßlichkeit. Aber sie ist besser zusammengesetzt als die,Welt, weil die Dunkelheit, die Häßlichkeit und die Mittelmäßigkeit darin nicht erscheinen.

Sie stellt alles auf den richtigen Platz, verwandelt alles in Freude, sogar das Leid.

Und die höchste Freude, die sie schenkt, ist wiederum die Freude an der Ordnung, der Vollendung und der Einheit.

Mit einem Wort, die Freude am Geistigen.

Weil die hohe Kunst wesenhaft geistigen Ursprunges ist, darf sie auch alles erfassen, sich alles Untertan machen, braucht nichts zu verschmähen, nichts zu fürchten. Da sie aljes verdaut, kann sie den Anschein erregen, als enthielte sie gar nichts. Man muß durch sie wie durch eine Glaslinse nach oben blicken; man sieht dann das Himmelslicht.

Anscheinend kann uns nichts so sehr enttäuschen und banal dünken wie die Vollkommenheit; da gibt es keine Gefahren, keine Fehler.

Fragt nur Mozart, was er von einer Kunst hält, die ihr Publikum durch ihre Mängel anlocken möchte! Er wird euch antworten: das ist eine schwindelhafte Kunst. Die ganze Romantik hat geschwindelt. Mozart nie. Eher möchte er leer und nichtssagend gescholten werden.

Wir lernen von ihm Redlichkeit, Demut und Wirklichkeitssinn. Noch lastet nicht die Todsünde des deutschen Idealismus auf der Kunst. Da ist die Wirklichkeit: Gott, Himmel und. Erde; später erst sollten sich die Höhlen des Zweifels, der Sorge, der „tiefen Traurigkeit“ auftun. Mozart dagegen hat die tiefe Freude entdeckt, die Himmelstiefe, die die Freiheit schenkt. Nein! Er wird nicht sein eigener Gefangener sein wie seine Nachfolger — und wie wir, Gefangener seines Stolzes, seiner Enttäuschung, seiner Kompliziertheit, seiner Affektiertheit, seiner Manier. Er wendet sich dem Nicht-Ich zu, der Wirklichkeit der Welt, der Möglichkeit anderer Welten, wendet sich Gott zu. Wie weit ist doch dieser Bereich für die poetische Erfindung! Das Ich aber gilt es zu verleugnen! Können wir das? Haben wir den Mut dazu? — Daß Mozart es konnte, möchte ich gar nicht sein Verdienst nennen. Er war einfach Kind geblieben. Das müßten auch wir können.

Dies wäre also die Lehre im allgemeinen, die uns der Fall Mozart erteilt. Sie geht alle Künstler an, die von Fülle und Vollendung träumen. Aus der ganzen Kunstgeschichte wird sich vielleicht keine ebenso gültige, überzeugende und umfassende Lehre gewinnen lassen; auch bei nahezu keinem der großen Meister. Mozart ist einer der wenigen, die im Himmel ebenso seinf; Heimat hatten wie auf der Erde; die eine Welt von gleicher Mannigfaltigkeit wie die wirkliche Welt geschaffen haben; bei denen Ueberlieferung und Neuerung so eng zusammenhängen und die viel ererbt, viel erfunden und viel vollendet haben. Man denkt bei ihm ebenso an Sophokles wie an Virgil, an Fra Angelico, Giorgione, Shakespeare, Calderon, Moliere, Racine, Watteau und Beaumarchais. Er sammelt alle Sonne Italiens, alle Anmut Frankreichs und findet mit der „Zauberflöte“ den Uebergang zur ganzen süddeutschen Poesie. Er singt mit dem Volk und begeistert die Kenner. Er ist gesammelt und zugleich aufgeschlossen, schlicht und geistvoll, kenntnisreich und natürlich. Endlich eignet ihm, was nur die Meister besitzen: Vollendung und Freiheit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung