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Wie ich zum Schreiben kam

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ilar mit einen Teil seines Erfolges und seines geistig-künstlerischen Profils. Willy Lorenz

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ilar mit einen Teil seines Erfolges und seines geistig-künstlerischen Profils. Willy Lorenz

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Man darf es mir glauben, daß ich sowohl als Schauspieler wie auch als Vortragender an Lampen- und Pre-mierenfleber einigermaßen gewöhnt bin. Aber die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Aufregungen sind geradezu ein Kinderspiel im Vergleich zu den Zuständen, die sich im Zuge der Geburt und der Premiere eines Buches einstellen! Von der Bühne und dem Vortragspult aus geht es um das gesprochene Wort, das im — und für den Augenblick geboren, flüchtig vorüberzieht, beflügelt und belebt durch das persönliche Fluidum seines Interpreten. Beim Buch hingegen geht es um das geschriebene Wort, das schwarz auf weiß gedruckt vorliegt, an dem nichts mehr zu rütteln und zu deuteln ist, das für sich allein bestehen muß und das unverrückbar bleibt, loh will nun einmal versuchen, In aller Kürze meinen Weg vom gesprochenen zum geschriebenen Wort aufzuzeigen:

Ich bin seit 1919 Schauspieler. — Als solcher hatte ich immer nur die Gedanken und Worte anderer wiederzugeben und zu veranschaulichen. Also ein im wesentlichen reproduzierendes, im besten Falle nach-schöpferisches Beginnen. — Seit dem Herbst des Jahres 1939 begann ich mich mit der Geschichte der Stadt Wien zu befassen, vor allem mit ihrer topographischen Entwicklung. Im Gegensatz zu den strengwissenschaftlichen historischen Disziplinen war die „Topographie“ schon seit je der ideale Tummelplatz für die heimatliebenden Laien aller Kreise und Stände, Berufe und Altersklassen. Eine überwiegend vom Gefühl her diktierte, sinnlich-anschauliche Betrachtungsweise, die speziell dem Wiener eigen, läßt ihn auch alles Geschichtliche nicht nur rein verstandesmäßig erfassen, sondern beinahe wie eine liebgewordene, persönliche Erinnerung hegen und pflegen. Traditionsgebunden, oft mehr der Vergangenheit als der Zukunft verhaftet, will der Wiener alles Gewesene festhalten und bewahren und ist daher zum Sammler in jeglicher Form geradezu prädestiniert. Wieviel kostbares und wertvolles Material wurde und wird auf diese Weise nicht immer wieder von den „Laienbrüdern“ im Orden der Wiener Geschichtsforschung zusammengetragen.

Aus dem erworbenen Wissen um die Geschichte unserer Stadt entstand dann 1942 mein erster Lichtbildervortrag über Wien, dem dann fast jedes Jahr ein neuer folgte. Im Gegensatz zur Gepflogenheit vieler Fachleute bediente ich mich dabei nicht des Mittels der Improvisation, also der freien Rede aus dem Stegreif, sondern ich legte meine durch ein gewissenhaftes Quellenstudium gewonnenen Erkenntnisse schriftlich nieder und versuchte, sie so gut und präzise als nur möglich zu formulie-

ren. Ich war von allem Anfang an um einen künstlerisch geformten Vortragsstil bemüht. Als Schauspieler wandte ich dabei sicherlich ganz unbewußt und instinktiv die für mein Metier gültigen dramaturgischen Regeln an und gestaltete auf diese Weise die der Kulturgeschichte Wiens entliehenen Themen in der Form von kleinen Dramolets, deren verschiedene Rollen ich dann persönlich interpretierte. Betreibt man so etwas nun jahrzehntelang, so erweitert sich im Laufe der Zeiten allmählich auch die Ausdrucksform, das Stilgefühl wird geschärft, und man lernt nach und nach Deutsch. Und da mit dem Essen auch der Appetit kommt, so mußte eines Tages der Wunsch in mir rege werden, nicht immer nur für den Augenblick bestimmte Sprechrollen, sondern auch einmal etwas für die Dauer Bestimmtes zu schreiben. Der erste praktische Versuch hierzu erfolgte anläßlich der Wiedereröffnung des Burgtheaters im Jahre 1955. Damals legte ich meinen Lichtbildervortrag „Zweimal Burgtheater“ auch in der Form eines Buches nieder, das der Verlag Kremayer und Scheriau mit viel Liebe herausgebracht hat. — Sein Erfolg konnte mich aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier noch nicht um ein richtiges Buch, sondern nur um einen gedruckten Lichtbildervortrag handelte, dessen buchmäßige Ausgestaltung dem dafür verantwortlichen Herrn des Verlages fürchterliche Kopfzerbrechen verursacht hat.

Allein die entsprechende Anordnung von Bild und Text war ein Problem. Umfang, Struktur und Diktion dieses Büchleins beweisen, daß es sich hier nur um den scheinbar gelungenen Versuch handelt, aus einem Vortrag ein Buch zu machen, die nun einmal zwei ganz verschiedenen formalen Gesetzen unterliegen. Daher war es mir lange nicht möglich, dem immer wieder an mich herangetragenen Wunsch vieler meiner Hörer, meine kulturgeschichtlichen Vorträge auch in Buchform erscheinen zu lassen, nachzukommen. Ein solches Vorhaben erschien mir buchherstellerisch einfach undurchführbar.

Während meiner, nun bald zwanzigjährigen Vortragstätigkeit habe ich nicht nur im Formalen, sondern auch vom Inhaltlichen her gesehen, eine Entwicklung durchlaufen, die einmal zum Buch führen mußte. Sie führte mich immer mehr und mehr vom rein Gegenständlichen weg, zum Psychologischen hin,' von der Topographie zur Kulturgeschichte. — Im Mittelpunkt meiner frühen Vorträge standen immer wieder die Stadt selbst und ihre architektonischen Denkmäler, die jedoch allmählich von ihren Erbauern und Bewohnern verdrängt wurden. An die Stelle der steinernen historischen Denkmale trat nun in einem zunehmenden Maß die historische Persönlichkeit. Der Zeigestab wurde von mal zu mal überflüssiger, da an die Stelle erklärungsbedürftiger Karten und Pläne, Grundrisse und Ansichten das

menschliche Porträt getreten war, das lediglich nach einem entsprechenden Wort verlangte. Als es soweit war, da verdichtete sich in mir der Wunsch, einmal ein Buch zu schreiben in einer so zwingenden Weise, daß ich mich eines schönen Tages Hals über Kopf in dieses Abenteuer stürzte. Da ich mich im Rahmen meiner Vortragsreihe ganz besonders eingehend mit der Person der Kaiserin Maria Theresia befaßt hatte, war es sicherlich kein bloßer Zufall, wenn ich im:. Zuge meiner literarischen Jungfemfahrt wiederum diesen Leuchtturm im Meer der österreichischen Geschichte angesteuert habe. Wenn auch nicht direkt; denn die mehr als umfangreiche Maria-Theresien-Literatur zu erweitern, fühlte ich mich in keiner Weise veranlaßt oder berufen. Wohl aber begann mich jene Persönlichkeit immer mehr und mehr zu interessieren, die der großen Kaiserin am nächsten stand und von der man so gut wie nichts wußte. Als ich meinem langjährigen Mentor, dem Historiker Professor Friedrich Walter, der sich in seinem Buch „Männer um Maria Theresia“ ebenfalls mit der Figur Franz Stephans von Lothringen auseinandergesetzt hat, mein Vorhaben anvertraute, warnte er mich in der freundschaftlichsten Weise davor, da ihm auf Grund seiner eigenen Forschun-

gen der leidige Mangel an nötigem Quellenmaterial wohl bekannt war. Ich aber hatte schon zuviel Blut geleckt und ließ nicht mehr locker! Nun begann eine überaus aufregende, aber köstliche Zeit! Fast drei Jahre lang verbrachte ich meine freien Stunden in den ehrwürdigen Räumen des Haus-, Hof- und Staats-archives am Minoritenplatz und mplestierte dessen Angehörige In einer geradezu unvorstellbaren Art und Weise. — Trotzdem begegnete man mir allerorten mit einem Wohlwollen und einer Hilfsbereitschaft sondergleichen. Ohne die tätige Mithilfe der getreuen Schatzhüter vom Minoritenplatz hätte ich meine Nachforschungen gar nicht betreiben können; fehlte mir doch als einem Laien jegliche systematische Vor-und Ausbildung für meine Streifzüge durch die Urwälder vergilbter Archivalien.

Da saß ich nun vor den prallgefüllten Kartons des lothringischen Hausarchivs, vor hochgebündelten Aktenfaszikeln, vor unleserlichen Handschriften, vor meterlangen Zettelkatalogen und dickbäuchigen In-ventaren, wußte nicht aus noch ein und war manchmal recht verzweifelt!

Aber immer wieder faßte mich jemand hilfreich an der Hand und führte mich durchs Dickicht weiter. Welch ein Hochgefühl, als es mir zum erstenmal gelungen war, mich

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