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Wollen die Menschen den Frieden?

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Der Wert dieses Buches liegt weniger in der Vermittlung schlüssiger Antworten als in der Eröffnung neuer Perspektiven. Wer meint, mit einem einfachen Rezept die Patentlösung für das Hauptübel der heutigen Welt zur Hand zu haben, sei es, daß er die Schaffung eines Weltbundesstaates oder Weltstaates, die Potenzierung der UNO, die Überwindung der einzelstaatlichen Souveränitäten, die Beseitigung der Blöcke oder die Förderung der Weltwirtschaft empfiehlt, wird hier laufend zur Vorsicht gemahnt oder eines Besseren belehrt. Es geschieht aber nicht auf die schulmeisterliche Art vieler ariderer Professoren, sondern mit Hilfe des

ausgewogenen Urteils eines Menschen, der ein Leben lang über die Fragen von Frieden und Krieg nachgedacht hat, ein ungeheures historisches Wissen zu Rate zieht, sich dennoch der Besonderheit der heutigen Weltlage durchaus bewußt i»i und schließlich zum Ergebnis gelangt, daß viel gewonnen wäre, wenn „wir denken und handeln in der festen Überzeugung, daß die Abwesenheit des Krieges so lange zu bewahren ist, bis der Friede möglich sein wird, wenn er überhaupt je möglich sein wird“ (S 909). Den ach so vielen, die den bequemen Standpunkt vertreten, daß es nur die machtlüsternen Politiker und geldgierigen Wirtschaftsleute sind, die

es immer wieder zu Kriegen kommen lassen, entgegnet unser Autor: „Ich bin nicht sicher, daß die Menschen den Frieden auf Erden wollen. Gewiß würden sie gerne den Schrecken des Krieges entgehen, aber wollen sie auf die Freuden des kollektiven Stolzes, auf die Triumphe derer, die in ihrem Namen sprechen, verzichten?“ (S. 907.) Als Franzose weiß Aron Raymond, wie unerträglich seinen Landsleuten die Vorstellung, „Die Menschheit könnte befriedet werden, und kein Mensch würde französisch sprechen“ (S. 909), ist.

Den Autor einfach des Pessimismus zu bezichtigen, wäre unrichtig, hält er doch fest: „Zwei Neuheiten will ich nicht leugnen: die Fähigkeit, Naturkräfte zu erzeugen und zur Zerstörung anzuwenden, und den Keim eines menschlichen Bewußtseins, das zugleich moralisch (alle Menschen sind Menschen) und pragmatisch (es entspricht dem Interesse aller Menschen, die Konflikte zwischen den einzelnen Teilen der Menschheit zu begrenzen) ist. Sind diese beiden neuen Tatsachen der Beweis für eine neue Phase des menschlichen Abenteuers? Wir können es nicht wissen, wir müssen es wollen, wir sind berechtigt, es zu hoffen“ (S. 908).

Ein Buch von fast 1000 Seiten zu schreiben, das den größten Teil der einschlägigen umfangreichen Literatur heranzieht, ist eine Sisyphusarbeit. Ein solches Buch in der heutigen schnellebigen Zeit anzubieten, scheint eine Zumutung zu sein. Wenn der größte deutsche Taschenbuchverlag sich dennoch entschlossen hat, das französische Werk in vollem Umfang übersetzen zu lassen und den deutschsprachigen Lesern zur Verfügung zu steilen, so muß es eine besondere Bewandtnis haben. Fast jede Seite bietet auch dem gebildeten Leser neue Einsichten, läßt ihn Zusammenhänge sehen, die ihm früher verborgen -waren, bietet ihm Formulierungen, die als klassisch bezeichnet werden müssen und selbst in der deutschen Über-

setzung noch die gewandte Feder des berühmten französischen Publizisten verraten. Hier noch einige Kostproben:

„Da jeder Staat darnach strebt, sich selbst das Monopol der Gewalt vorzubehalten, haben die Staaten im Laufe der Geschichte, in denen sie sich gegenseitig anerkannten, gleichzeitig die Legitimität der Kriege, die sie miteinander führten, anerkannt“ (S. 14).

„Die Außenpolitik ist ihrer Natur nach stets abenteuerlich. Die Handlung des Diplomaten und Strategen gründet sich auf Wahrscheinlichkeit“ (S. 19/20).

„1914 täuschten sich alle am Kriege Beteiligten über die Natur des Krieges, den sie begannen“ (S. 38).

„Die großen Kriege sind gerade jene, die wegen der entfesselten Leidenschaften am Ende dem Menschen entgleiten, die sie zu lenken glauben“ (S. 39).

„Roosevelts Fehler war die Unterordnung der Politik unter die Strategie. Er war einzig bestrebt, das Gros der deutschen Wehrmacht zu vernichten anstatt sich genau vorzustellen, wie die politische Ordnung Europas nachher auszusehen hatte“ (S. 41).

„Korea ist das Gegenbeispiel für einen Krieg, der in jedem Augenblick mit Rücksicht auf die Politik und niemals für einen militärischen Sieg geführt wurde“ (S. 42).

„Japan von 1941 rechnete damit, daß die Amerikaner keinen großen Siegeswillen hätten, weil die USA eine Demokratie war“ (S. 45).

Zur russischen Oktoberrevolution: „Die Rebellen mit bloßen Händen sind unwiderstehlich, wenn die Männer an der Macht sich nicht verteidigen können oder wollen“ (S. 46).

„1914 hatten die Staatsmänner einige Tage Zeit, eine Entscheidung zu fällen. Heute hätten sie kaum einige Minuten“ (S. 60).

„Die Völker ohne Industrie haben im 20. Jahrhundert eine Kampfart, den Kleinkrieg, entwickelt“ (S. 72), und andere.

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