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Wosu die Freiheit?

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Wozu die Freiheit? Zweifellos ist das ein guter Titel, und ich gebe es um so bereitwilliger zu, als ich ihn nicht selbst erfunden habe. Wozu die Freiheit? ist ein berühmter Ausspruch Lenins, der überdeutlich und mit erschreckender Klarsicht jene Art von zynischer Abkehr von der Freiheit zum Ausdruck bringt, die schon das Gewissen so vieler korrumpiert hat. Die größte Gefahr für die Freiheit besteht nicht darin, daß sie einem genommen werden kann — denn wer sie sich hat nehmen lassen, kann sie wiedererringen —, die größte Gefahr besteht darin, daß man verlernt, sie zu lieben oder daß man sie nicht mehr versteht.

Als ich vor einigen Monaten das ruinierte Deutschland oder, besser gesagt, Deutschlands Ruinenfelder bereiste, diese vom Brande geschwärzten Steinhaufen, die einstmals berühmte Städte waren — berühmte Städte der alten deutschen Christenheit, deren Verdienste um Europa und um die universelle Zivilisation selbst heute kein Franzose und kein Christ vergessen darf, ja heute vielleicht weniger denn je (man täte unrecht, wenn man sich wunderte, daß ich so rede, denn ich bin kein Mann des Hasses, sondern einer des Glaubens) — da sagte ich mir, daß so viel Zerstörung gar nichts oder nur recht wenig genützt hat, wenn nicht gleichzeitig und in demselben Maße der Begriff der Freiheit in den Gemütern erhöht worden ist, in deren Namen allein man soviel zu zerstören gewagt hatte.

Wir wissen aber, daß dem nicht so ist. Im Gegenteil. Lenins Ausspruch ist zum Motto des modernen Staates geworden, ob er sich nun Demokratie heißt oder nicht.

Herrscht nicht in fast allen Ländern vor allem ökonomische Diktatur? Es ist dies eine ungeheuerliche Tatsache, die allein schon Beweis genug ist für die tiefe Erniedrigung der modernen Gesellschaftsordnung. In einer normalen Gesellschaftsordnung ist es immer viel schwieriger und viel gefährlicher gewesen, eine ökonomische Diktatur aufzurichten als eine politische oder eine militärische. Napoleon hat die allgemeine Wehrpflicht angeordnet, aber er hätte es niemals gewagt, auch nur einen Groschen der Staatsschuld nicht anzuerkennen. Es mag heute nicht allzu schwer sein, eine politische in eine ökonomische Diktatur umzuwandeln: den umgekehrten Weg zu gehen, ist jedoch kinderleicht. Ein Prophet wird erst nach seinem Tod zum anerkannten Propheten, bis dahin ist er nur ein unleidlicher Mensch. Ich bin kein Prophet, aber es kommt- vor, daß ich das sehe, was alle anderen ebenfalls sehen, aber nicht zu sehen wünschen. Die moderne Welt geht über vor Geschäftemachern und Polizisten, aber es tut ihr not, einige befreiende Stimmen zu hören. Eine freie Stimme, so griesgrämig sie auch klingen mag, wirkt immer befreiend. Die befreienden Stimmen sind weder besänftigend noch beruhigend. Es genügt ihnen nicht, uns dazu anzuhalten, die Zukunft zu erwarten, wie man auf einen Eisenbahnzug wartet. Die Zukunft ist etwas, was man bezwingen muß. Man läßt sie nicht über sich ergehen, man erschafft sie aus eigenem Willen.

Es ist wahr, daß ich in dem Ruf stehe, ein gewalttätiger Mensch zu sein, dies jedoch nur, weil ich die Gewalt mit aller Gewalt hasse, vor allem aber die hassenswerteste Gewalt, die allumfassende organisierte Lüge, der man den Namen Propaganda gegeben hat und die heute alle Geister bedroht.

Doch nicht nur gewalttätig hat man mich genannt, man heißt mich auch einen Pessimisten; und jene, die mir allzu' wohl gesinrft sind, nennen mich einen Propheten. In meinen Augen ist das Wort Pessimismus um nichts sinnvoller als das Wort Optimismus, das man ihm gemeiniglich gegenüberstellt.

Eines haben Pessimisten und Optimisten gemeinsam: beide wollen die Dinge nicht so sehen, wie sie sind. Der Optimist ist ein glücklicher Dummkopf, der Pessimist ein unglücklicher. Man kann sie sich gut mit den Zügen von Stan Laurel und Oliver Hardy vorstellen.

Der Optimismus ist ein Ersatzmittel für die Hoffnung, dessen Monopol die offizielle Propaganda besitzt. Optimistisch sein heißt alles billigen, alles mit sich geschehen lassen, alles glauben: es ist die erste Tugend des Steuerzahlers. Wenn ihn das Steueramt um das letzte Hemd gebracht hat, so wird der Steuerzahler eine Nacktkulturzeitschrift abonnieren und behaupten, er gehe aus hygienischen Gründen ohne Hemd und habe sich noch nie so wohl gefühlt.

Der Optimismus ist ein Ersatzmittel für die Hoffnung, das man leicht auftreiben kann, zum Beispiel auch am Grunde einer Flasche. Die Hoffnung aber will erkämpft sein. Zu ihr gelangt man nur auf einem Weg, der durch die Wahrheit hindurch führt und den zu beschreiten große Mühe und viel Geduld kostet. Der Hoffnung begegnet man nur jenseits der Verzweiflung. Nur wer die Nacht bis zu ihrem Ende durchdringt, findet eine neue Morgenröte. Pessimismus und Optimismus sind für mich, ich sage es einmal für allemal, nur die zwei Kehrseiten derselben Lüge.

Wenn ihr noch an Europa glaubt, so müßt ihr den europäischen Menschen retten. Dazu ist es höchste, allerhöchste Zeit. Gewiß, die europäische Zivilisation wird in den Bibliotheken aufbewahrt, aber schon Paul Vale>y schrieb wenige Tage vor seinem Tod, daß Bibliotheken Friedhöfe sind. Die europäische Zivilisation ist aHein der europäische Mensch. Er muß vor allem gerettet werden. Man wird mir vielleicht antworten, daß sich der Europäer selbst und aus eigener Kraft retten, oder, falls er dazu nicht mehr imstande ist, dem Menschengeschlecht den letzten Dienst erweisen soll, stillschweigend zu verschwinden, wie es das mitleidlose Gesetz vom Ueber-leben der Tauglichsten verlangt. Doch dieses Gesetz ist nicht das gleiche für Mensch, Tier oder Pflanze. Der Wert eines Menschentypus kann nicht aus einer Fähigkeit, seinesgleichen aufzufressen oder im Wachstum zu behindern, gemessen werden.

Die Dummköpfe vertreten gern die Meinung, daß kräftige Burschen ohne metaphysische Bedenken, ohne moralische Skrupel, die dafür aber sportbegeistert, fleißig und diszipliniert sind, schließlich und wenn man es genau nimmt, doch die besten Handlanger abgeben.

Wenn die Erde einmal durch die Arbeit dieser fleißigen Tiere nach den letzten Methoden aufs beste ausgestattet sein werde, dann sei es immer noch früh genug, sie zu bekehren und zu taufen, das heißt, ihnen das zu verleihen, was ihnen fehlt, denkt eine besondere Abart von Dummköpfen, die in gewissen katholischen Kreisen tonangebend sind. Welch ein Irrtum!

Der totalitäre Mensch ist zwar ein hervorragendes, ungemein ergiebiges Arbeits- und Kriegswerkzeug, aber er hat keinen Bestand. Der totalitäre Mensch, dies Meisterwerk einer seelenlosen Technik, wird nur ein unglückseliger Zwischenfall in der Menschheitsgeschichte gewesen sein, allerdings vielleicht auch deren letzter.

Noch bevor er dies imaginäre Paradies, dies Paradies der universellen Bequemlichkeit für fortgeschrittene Tiere erbauen kann, wird der totalitäre Mensch verdurstet sein, verdurstet auf dem Weg durch eine geistige Wüste, wo er seinen Durst nur am Blut seiner Mitmenschen stillen kann. Dies Blut werden sie trinken, sie werden es auflecken wie Hunde, weil alle Quellen lebendigen Wassers versiegt sind.

Sie werden verdursten, die letzten schwarzen Blutklumpen zerkauen, das Ohr an den Erdboden pressen und in ihrer Todesstunde versuchen, das Rauschen des unterirdischen Wassers zu erlauschen.

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