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Zu einer Psychoanalyse R. M. Rilkes

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„Du Einsamster, Abseitiger“ könnte man sagen mit seinen eigenen Worten, „wie haben sie dich eingeholt auf deinem Ruhm. Wie lange ist es her, da waren sie noch wider dich von Grund aus, und jetzt gehen sie mit dir um, wie mit ihresgleichen. Und deine Worte führen sie mit ^ich in den Käfigen ihres Dunkels und zeigen sie auf den Plätzen und reizen sie ein wenig von ihrer Sicherheit aus.“ Was haben sie aus dir gemacht und aus den „Vokabeln deiner Not“, wie haben sie dich auf den Altar und in die Nischen gestellt, als ein Kultbild, als einen Rilke in effigie, als ein Chryselefantines, an das nun keiner mehr rühren darf.

So könnte man sagen, denn seit dreißig Jahren umschwärmen ihn verzückte Mänaden und sagen von dem Dichter Rainer Maria Rilke, er sei ein „vom Wunder der göttlichen Inspiration Umfangener“ gewesen, ein „orphischer Aussinger der Dinge aus der Tiefe des Seins“. Sie sagen von ihm, er habe ihnen „einen neuen Gott gegeben“, er sei ihr „Lebemeister“ geworden, ihr „Vorbild“, ein „Dichter-Heiliger“ und, wer sich ihrer affektiven Sphäre kritisch zu nähern versucht, den weisen sie zurück mit der pompösen Erklärung: „Wo eine Seele mit Gott spricht, haben wir uns nicht einzumischen“ (Bäumer).

Aber nüchternen Beobachtern war es längst aufgefallen, daß die „Mänaden“ doch etwas allzu eilfertig versuchten, „über jede Schwäche ihres Helden hinwegzusehen, seine Mängel zu vertuschen, ein offensichtliches Versagen zu bagatellisieren oder in sein Gegenteil umzudeuten“ und an einem Heiligenbild herumzumalen, das unter seiner Vergoldung nicht so einwandfrei zu sein schien. Eine Schar von Rilke-Theologen und Hagiographen war damit beschäftigt, eine rührende „Vita“ zu verfassen und eine geheimnisvolle vPassio“, aber die vielen Auslassungen in den Briefeditionen machten stutzig und was man gelegentlich von Eingeweihten erfuhr, war keineswegs dazu angetan, den offiziellen Versionen allzuviel Vertrauen entgegenzubringen. Wenn aber einer versuchte, daraus einige Konsequenzen zu ziehen und den offenbar an einen apollonischen Himmel veruntreuten Rilke wieder auf die Erde zurückzuholen, dann schrien alle auf ihn ein und nannten ihn einen Ehrfurchtslosen. Die Ehrfurcht in Sachen Rilke schien nämlich darin zu bestehen,Rilke schon nicht mehr zuzutrauen, auch Menschlich-Allzumenschliches an sich gehabt zu haben und zu sagen, er sei nicht nur ein großartiger Dichter gewesen, sondern ein mindestens ebenso großartiger Mensch. Sie hatten eben wieder einmal die Kategorien vertauscht, die anbetungsdürftigen Seelen, und kurzerhand aus ihrem Dichter noch einen Heiligen gemacht. Dichter und Heiliger wurden in dieser kurzschlüssigen Kultgemeinde synonym, und wer sich gegen solche Prozeduren, verwahrte, von dem sagten sie, er habe kein Gefühl für wahre Größe, er sehe alles aus der Kammerdienerperspektive.

Abseits dieser hektischen und hysterischen Betriebsamkeit aber ließen es sich einige nun nicht mehr nehmen, zur rührsamen „Vita“ einen ironischen Kommentar zu verfassen und allzu Albernes gegen den Strich zu lesen. Psychiatern und Psycho-' logen war verschiedenes aufgefallen, das den „heiligen Rainer Maria“ in einer anderen Beleuchtung zeigte; auch Kassner mokierte sich über die salbadernde Art und Weise, wie man mit Rilke und seinem Werk schon umzugehen pflegte, und einige Franzosen, Italiener und Engländer machten in nüchternen Studien Feststellungen, die den Hagiographen reichlich auf die Nerven gingen. Dazu kam nun noch ein zweites. Einige Damen, die von der offiziellen Hof- und Kronbiographik übergangen worden waren, gaben, eitel wie sie waren, ihre Alkovengeheimnisse zum Besten, und während drinnen im Tempel noch kräftig das Unisono der Bewunderung gesungen wurde, saßen draußen auf dem Markt der Leserinnenneugier nun einige Pikierte und verhöcker-ten Rilke in Pyjama und Pantoffeln. Aus dem ..reinen Rainer, der fleckenlosen Maria“, wie Wol-:ogen Rilke einmal süffisant bezeichnet hatte, wurde auf Hintertreppensicht ein Damenverehrer, „neben dem der selige Don Juan ein Waisenknabe gewesen“ war (wie sich die Fürstin Taxis zu schreiben erlaubte). Es wurde nun sehr kurios, und die Differenzen nahmen überhand. Aber endlich erschien dann sin Buch, das mit dem allzu erbaulich Unerbaulichen aufzuräumen begann, vom Chryselefantinen die Vergoldung wieder abnahm und zeigte, was dahinter n'ar, ein Buch, dal sich aber keineswegs damit begnügte Rilke zu „demaskieren“, sondern das ein nderes Ziel verfolgte.

Man wird das in Betracht zu ziehen haben, wenn man sich über Erich Simenauers i.Rainer Maria Rilke. Legende Und Mythos“ (Schau-ins-Land-Verlag, Freiburg im Breisgau und Paul-Haupt-Verlag, Bern) ein Urteil erlaubt, denn es ist nicht damit getan, festzustellen, daß. hier ein Psychoanalytiker den Dingen zwar auf den Grund geht, um aber am Ende (wie ein Kritiker gemeint hat) Rilke, klein und häßlich geworden, nur wie einen Schimpansen hinter sich herzuziehen. Eine De-maskierung war allerdings nötig, und Simenauer hat' sie auch gründlich besorgt, fast zu gründlich für' jene, die immer noch ein paar Illusionen brauchen, ' aber man wird nicht übersehen dürfen, daß es sich, hier weniger um eine Demaskierung Rilkes handelte, sondern mehr um eine jenes Sakralpopanzen, den sich die verzückte Kultgemeinde aus Rilke zu- ,rechtgemacht hatte. Denn seltsamerweise, und gerade das versteht Simenauer sehr deutlich nachzuweisen, war Rilke selbst keiner von denen, die sich in eine großartige Toga vermummten, und mehr als einmal hat er sich über sich selbst unmißverständlich ausgesprochen, aber seine Adoranten hatten keine Ohren um zu hören, und so konnte so etwas zustande kommen wie das Wort vom „Gottestänzer“, • das den wirklichen Rilke so gründlich verfehlte. Simenauer hat ihn nun wieder nähergerückt.

Das allein wäre schon der Mühe wert gewesen, denn wir möchten es endlich wieder mit dem wirklichen Rilke zu tun bekommen und nicht mehr nur mit jener Fiktion der Anbeter, die ihn als ein Gefäß ^ behandelt haben, in das sie sich hemmungslos ergießen konnten mit ihren sentimentalen urfd pseudö-icligiösen Bedürfnissen.

Aber Simenauer hat sich damit nicht .begnügt.. Es ging ihm nicht nur darum, Legenden zu zerstören/., sondern letzten Endes darum, nach einer ,J3arstel-' lung der psychosomatischen Grundlagen von Rilkes Konstitution, Rilkes tiefen-persönliche Struktur darzustellen und zu zeigen, wie Rilkes Lebenshaltung, Weltanschauung und Denken aus seinem seelischen Habitus hervorgingen“ oder, wie es ' im ' Vorwort heißt: „... nicht von den dichterischen 'Gestaltungen Rilkes zu handeln, sondern von den Urilwatid-lungen seiner intrapsychischen Erlebnisse in sie -*v nicht von dem, was von Rilke ausgeht, sondern von dem. was in ihm vorgeht.“ Er ging also auf das Vor- . Werk zurück und zeigte, wie jener beschaffen war, aus dem das Werk hervorging. Um es konkret zu sagen: er ging den Beziehungen nach, die Rilke mit . Vater und seiner Mutter verbanden, jenen Ambivalenzen und jenem Ambiguosen, das diese Seele gespannt hat und das dann aus dem Leben ins Werk transzendierte, im „Malte“ beispielsweise, in vielen Gedichten, in den „Duineser Elegien“. Er zeigte, wie intensiv Rilke mit sich selbst' beschäftigt war/-mit seiner eigenen Not und dem Gefälle seiner Konstitut, tion. Das erklärt zwar die-Dichtung nicht (als Dich-r,; tung). aber es erhellt ihre Inhalte, ihre menschlichen Hintergründe und Substrate.

Es ilt nicht gewiß alles sehr erbaulich, was,dabei zur Sprache kommt, aber Erbauliches und Unerbauliches dienen dazu, das manchmal Schwerverständliche und Chiffrierte in Rilkes Werk zu'dechiffrieren, nicht indem man die mysteriösen Verse nur hinund herdreht (wie das so oft geschieht) und glaubt, mit einer Paraphrase hätte man etwas Aufklärendes'über sie gesagt, sondern indem: man vom Werk. den. Weg ■ zurückgeht zum Menschen und von diesem zu er-fahren sucht, was sie ihm bedeutet, haben, und- aus., welchen iniierseelischen Bezügen sie in ihm .aufgestiegen sind. Und man wird gestehen müssen, wenn man Simenauers Buch unvoreingenommen und gründlich gelesen hat, daß man nun vieles besser versteht als vorher, daß viele der dunklen Stellen heller geworden sind Alle die Verse und Prosatexte bei- ' spielsweise, die um Rilkes Kindheit kreisen, um die-Dinge und die Einsamkeit, um den Spiegelzauber, Narkissos, um den Engel und den Tod.

So sehr Simenauer dem Menschen Rilke auf den Fersen bleibt und dabei auch um das Peinlichste und Intimste nicht herumgeht (man weiß ja, wie schonungslos Psychoanalytiker es in solchen Fällen zu treiben pflegen), Rilkes narzissische Grundhaltung bis auf das Skelett analysiert, seinen „Familienroman“ auslotet, wobei einige höchst kuriose Sachen zum Vorschein kommen, seine Hypochondrie durchleuchtet und seine manchmal mehr als seltsamen Beziehungen zu den Frauen, so wenig ist er, der Fachmann, doch bereit (wie das andernorts schon öfter geschehen ist) Rilke mit einer ausgewachsenen Neurose zu behaften. Im Gegenteil (und man sollte das auch anerkennen), er ist gar nicht geneigt, Rilke als Neurotiker oder gar als Psychotiker zu verstehen und er betont, daß es Rilke immer wieder gelungen sei, sich durch seine Arbeit selbst zu behandeln und an einer drohenden Neurose vorbeizukommen. Das Werk war seine Rettung. Es ist also keineswegs so, , wie man immer wieder behauptet.- daß diese Tiefen-psychologen es auf nichts anderes abgesehen haben, als jedem vorübergehend aus den Fugen Geratenen einen klinischen Geruch anzuhängen. Ich meine, das allein sollte schon jeden Vorurteilslosen davon überzeugen, daß er hier ein gründliches, solides und kein kurzschlüssiges Werk über Rilke vor sich hat. auch -wenn vieles nicht nach jedermanns Geschmack sein

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