Wiederholungszwang des Unglücks

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Maria E. Brunners Roman "Berge Meere Menschen" erzählt eine Südtiroler Kindheit.

Schon der Titel deutet an, dass hier etwas fehlt, nämlich die Beistriche. Seit Marlene Streeruwitz die Punkt-Obsession zum stilistischen Markenzeichen entwickelt hat, scheint sich die Vorstellung zu verbreiten, Stil sei in Satzzeichen-Eigenarten zu verwirklichen. Doch der Punkt-Abusus scheint für den Leser nicht immer ganz so überzeugend wie für die Autorin. Hier kommt noch eine gewisse Inkonsequenz dazu - manchmal ist der Beistrich dann doch da, und zwar nicht nur in den Vatersätzen, wo er nie fehlt. Auch wenn es so gemeint war, dass interpunktionsmäßige Korrektheit die Autorität der Vatersätze unterstreichen sollte, ist das an sich noch keine überzeugende Idee.

"Berge Meere Menschen" ist eine Vatergeschichte, erzählt von der Tochter, die noch dazu ein Findelkind war und von sich selbst noch im Erwachsenenalter hartnäckig nur als dem "Kostkind" spricht, das beim "Kostgeber" und der "Frau des Kostherrn" in einem heruntergewirtschafteten Südtiroler Bergbauernhof eine karge und harte Kindheit verlebte. Die Kränkungen, Verletzungen und Verstörungen dieser Kindheit treiben die junge Frau über Jahre ruhelos zwischen Sizilien und Südtirol hin und her, unbehaust und flüchtig beheimatet nur im Zwischenraum der Zugabteile.

Maria Brunners Romanerstling erzählt diese Geschichte stark diskontinuierlich. Es ist ein ewiges Fliehen und Zurückkehren zwischen Süditalien und dem Bauernhof am Berg, man gibt bald auf, mitzuzählen, die wievielte Wiederholung desselben Vorgangs gerade erzählt wird. Das ist auch unerheblich, denn was diese entscheidungslos schlingernden Bewegungsmuster - auch zwischen verschiedenen Männerbekanntschaften - gut vermitteln, ist das Lebensunglück, das sich in diesem Zwang zur Wiederholung ausdrückt.

Allerdings werden die Ursachen nicht ganz verständlich. Denn für einen abgearbeiteten, absolut patriarchalischen Bergbauern hat der "Kostgeber" auch unerwartet warme Züge. Natürlich musste das Mädchen hart arbeiten, natürlich behandelt er seine kinderlose Frau menschenunwürdig, und wenn er mit Briefen und Ansichtskarten immer wieder auf eine Rückkehr der Ziehtochter drängt, ist natürlich auch Egoismus dabei, aber eben doch auch Zuneigung. Auch dass zwischen der Ziehmutter und der Ich-Erzählerin eine sehr nahe Beziehung bestand, wird erst im Schlusskapitel vom Tod der verhärmten Frau wirklich sichtbar.

Aus einigen sehr verborgenen Andeutungen könnte man Kindesmissbrauch herauslesen. Das würde die Obsessivität in den Fluchten der jungen Frau erklären, ihre Unfähigkeit, ein eigenes Leben - auch in sexueller Beziehung - aufzubauen, und es könnte auch erklären, dass die besten und dichtesten Stellen des Romans jene sind, die sich mit der Welt des "Kostgebers" beschäftigen. Seine Lebenstragik liegt im erst allmählichen, dann rasanten Abstieg vom stolzen Großbauern zum hoffnungslos verschuldeten Häusler, der die Raten für die riesigen Traktoren nicht mehr zahlen kann, die ihm geschäftstüchtige Vertreter aufgeschwatzt haben, die dafür gleich noch den alten wurmstichigen Bauernkasten mitnahmen. Und eines Tages ist der stolze Bauer Liftwart, und im Sommer kommt dann der unmittelbare Einfall der verhassten Sommerfrischler mit dem "Urlaub am Bauernhof". Diesen Zusammenprall der Zeiten und Welten verdichtet Maria Brunner mit der abgehackten Aneinanderreihung von Bildern und Szenen zu einem absolut stimmigen Gemälde.

Bei den Ausbruchsversuchen der jungen Frau ins Süditalienische gelingt dies weniger. Hier scheinen sich auch die sprachlichen Abstürze zu häufen. Hier schreibt der Dichter-Freund "etwas Kürzestprosaisches", hier rollte das Wasser "wie nur Steine rollen" und hier ist es, wo jeder "in den Augen des anderen nach Lebensgeschichte schürfte". Keine Frage, solches Herauszupfen verrutschter Sprachbilder hat immer etwas Ungerechtes. Dass sie sich kaum in der "Kostherrn"-Handlung finden, könnte aber darauf hindeuten, dass Maria Brunner eigentlich doch die Geschichte dieses Mannes hätte schreiben wollen oder sollen. In diesen Passagen lässt das Buch sprachlich jedenfalls aufhorchen.

Berge Meere Menschen

Roman von Maria E. Brunner

Folio Verlag, Wien 2004

168 Seiten, geb., e 19,50

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