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Wiederkehr des Steppenwolfs

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Auf dem „Steppenwolf“ reitet die Hesse-Hausse in den Vereinigten Staaten jagend dahin und ihrem voraussagbaren Ende entgegen. Gigantische Auflageziffern von regulären und „Paper-back“-Ausgaben der bekanntesten Werke des Nobelpreisträgers sollen über den Radius des lawinenhaft angewachsenen Interesses nicht täuschen: es gilt, den Erfordernissen eines 200-Millio-nen-Menschen-Landes von kontinentaler Größe zu entsprechen — und was das an Profit abwirft, wurde von den Verlegern weidlich ausgenutzt. Aber heute zum Himmel gehobene Könige sind in Amerika morgen vergessene Bettler: dem Persönlichkeitskult sind strikte ungeschriebene Grenzen gesetzt. Das Pendel schlägt leicht und rasch über von bedingungslosem Annehmen auf unbarmherziges Fallenlassen.

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Auf dem „Steppenwolf“ reitet die Hesse-Hausse in den Vereinigten Staaten jagend dahin und ihrem voraussagbaren Ende entgegen. Gigantische Auflageziffern von regulären und „Paper-back“-Ausgaben der bekanntesten Werke des Nobelpreisträgers sollen über den Radius des lawinenhaft angewachsenen Interesses nicht täuschen: es gilt, den Erfordernissen eines 200-Millio-nen-Menschen-Landes von kontinentaler Größe zu entsprechen — und was das an Profit abwirft, wurde von den Verlegern weidlich ausgenutzt. Aber heute zum Himmel gehobene Könige sind in Amerika morgen vergessene Bettler: dem Persönlichkeitskult sind strikte ungeschriebene Grenzen gesetzt. Das Pendel schlägt leicht und rasch über von bedingungslosem Annehmen auf unbarmherziges Fallenlassen.

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Die Hochkonjunktur, der sich Hesse acht Jahre nach seinem Tode erfreut, hat mit der Neuherausgabe des „Glasperlenspiels“ den Kulminationspunkt erreicht und überschritten. Es ist — vergessen darf man es nicht! — der zweite Hesse-Fimmel im Lande einer heute todkranken Eigenliteratur, in den vierziger bis zu den fünfziger Jahren wurde Hesse von literarisch Gebildeten mittlerer Lebens Jahrgänge genossen, heute hat sich ihm die akademische Jugend (soweit eine derartige Verallgemeinerung zulässig ist) an den Hals geworfen. Wie mir ein Twen-Girl sagte: „Weil er von Wahrheit und Schönheit spricht, vom inneren Frieden, weil seine Philosophie fernöstliche Gedanken der Ruhe, der Selbstbesinnung widerspiegelt; weil seine Prosa in nicht dezernierbaren Pastellfarben aufschimmert und in ein fremdes Unbekanntes entführt, weg von dem Bekannten und Verächtlichen heutiger Realitäten. Man liest ihn und wähnt, unter dem Einfluß von LSD zu träumen. Er negiert den Wert materialistischer Güter, und seine Welten sind das Reiseziel einer Generation, die sich ihres geistigen .Aufbruchs' bewußt ist.“ *

Damit sind wir mitten drinnen auf dem Campus der Hochschulen und Colleges, wo Hesse von einer Jugend, die einen neuen Mythos sucht, gefunden wurde. Den Zen-Buddhis-mus-Jüngern, den Guru-Anbetern, den das Denken und Tun der Älteren nicht verstehenden Predigern einer neuen, sich noch im Gärungsprozeß befindlichen Sozialordnung dünkt alles, was Hesse gegen das „Establishment“, gegen das „Zeitalter des Feuilletonismus“ und eine selbstzufriedene westliche Welt vorbringt, Balsam zu sein auf nur langsam verheilenden Wunden eigener Zweifel und eigener Seelenpein. Schon wird in Zeitschriften die rhetorische Frage aufgeworfen, ob der „Einsame von Montagnola“ die jetzt seinem Schaffen entgegengebrachten Liebesbezeigungen gutgeheißen oder verdammt hätte. Kaum, daß er es als Ruhm empfunden haben dürfte, daß eine Studententaverne im kalifornischen Berkeley den Namen „Steppenwolf“ führt und daß eine in San Franzisko gegründete Rock-'n'-Roll-Band gleichen Namens auch in der New Yorker Carnegie Hall aufgespielt hat. Sei dem wie immer: „Siddharta“, „Steppenwolf“, „Das Glasperlenspiel“ werden in Tausenden Tornistern getragen. Wichtiger: in verbesserter englischer Übersetzung von Abertausenden gelesen, die das Gewissen und die Kultur einer neuen Generation repräsentieren.

Magie und Mystik sind augenfällige Komponenten in Hesses Büchern (den Lyriker Hesse hat die Generation der Hippies noch nicht für sich reklamiert), sie entstammen den „Angstträumen, die Jahre gedauert hatten“, ehe Hesse (wie es in den „Gedenkblättern“ heißt) die Freiheit, die Luft, die Sonne, die Einsamkeit, die Arbeit einsaugen durfte. Eine seelische Situation ähnlich der, in der sich die im Gefahrenzeitalter der Supervernichtungsbomben nach menschlicher Weiterexistenz sehnende Jugend befindet. Der 1948 herausgegebenen amerika-

nischen Veröffentlichung von Hesses „Demian“ hat Thomas Mann ein Vorwort gewidmet, in dem er Hesse, gerade weil er zu den mit den Zuständen in Deutschland Unzufriedensten zählte, als einen der „wahrhaftesten Deutschen“ bezeichnet und als einen Dichter, dessen Werk Altvertrautes und -geliebtes unversehrt neuen Ufern zuführt. Mag sein, daß auch daraus Hesses Beliebtheit verständlich wird bei all den vielen jungen Menschen, hinter deren revolutionärem Aufbegehren sich ein un-eingestandenes Tröpfchen Sehnsucht nach Normalzuständen verbirgt. „Das Glasperlenspiel“, von Richard und Clara Winston ins Englische übertragen, vermittelt einen besseren Einblick in das utopische Kasta-

lien als die frühere Ausgabe des Werkes unter dem Titel „Magister Ludi“, zumal Theodore Ziolkowski in einem erklärenden Vorwort die Hinfälligkeit unterstreicht, den „Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften“ als neuzeitliches Exempel des alten deutschen Bildungsromans aufzunehmen. Das Übersetzerpaar hat denn auch den leise-ironischen Unterton des mönchischen Erzählers klar herausgebracht.

*

An dem Rennen um Hesses amerikanische „Popularität“ nimmt eine Vielzahl von Verlegern teil; der letzte für ihn kämpfende bringt in einigen Wochen „Peter Camenzind“, Hesses Roman-Erstling (und gewiß kein meisterhaft geglückter!), heraus. Die Konjunktur hat, wie gesagt, ihre durch Zeit und Marktsättigung bedingten Limitationen. Aber der Leser-Hausse wird, gleichgültig wie lange sie währt, eine zweite Hesse-Welle folgen: Anvisiert ist bereits die „Steppenwolf'-Verfllmung im März 1971 — und es ist nicht ausgeschlossen, daß mit einer Fernsehreihe von dramatisierten Prosawerken die Figur des aus Calw im schwarzwäl-dischen Naboldtal gebürtigen Dichters via Bildschirm jeder amerikanischen Familie lieb und teuer werden mag.

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