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WIEDERSEHEN MIT O. K.

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An der Stirnwand des Hauptsaales im Zürcher Kunsthaus hängt ein großes, in starken roten Tönen gemaltes Männerporträt. Der Katalog vermerkt: „Bildnis eines entarteten Künstlers“. Auch wenn man sich nicht erinnerte, der mächtigen Kinnpartien schon ein paarmal, auch auf graphischen Blättern begegnet zu sein, würde man schnell erraten, daß es sich um ein Selbstbildnis handelt. In der Beschriftung hat Kokoschka die Ironie, die vielleicht früher auch einmal Ärger und Verdruß gewesen, niedergelegt, womit er die Zensierung durch den Nationalsozialismus quittiert.

Diese Sonderschau, die Werke aus vier Jahrzehnten zusammenbringt, ist höchst eindrucksvoll, denn sie vermittelt die außerordentliche Spannweite in der schöpferischen Energie des Malers, auch eine Entwicklung seiner Palette, die eine gewisse Parallele zu der Liebermanns bildet. Dessen frühe Arbeiten besaßen ja auch ihren graugelben Grundton, die vorsichtigen Valeurs, worin die Lokalfarben verwischt waren oder untergingen, und er blieb in dieser malerischen Grundhaltung langehin bei den Porträts, als er in Garten- und Blumenstücken die Frische einer schier unbekümmerten Buntheit schon gefunden hatte. Kokoschka ist unbedingter. Sein Selbstbildnis aus den dreißiger Jahren, das Freilichtporträt eines behaglichen, etwas spießigen Jägers, der den Stutzen über die Schenkel gelegt hat, strahlt von Farbigkeit, hat etwas herzhaft Animalisches und steht in vollem Kontrast zu den: in dunklen oder doch dumpfen Tönen gehaltenen Bildnistäfeln, die ein paar Jahrzehnte zurückliegen Da begegnet man Erscheinungen aus der Wiener, der Berliner Literaturwelt, etwa Karl Kraus, Herwarth Walden — der Akzent ist durchaus auf das geistig Charakteristische gelegt, im Bewegungselement an die Karikatur herangehend, sparsam in der Farbgebung — es steckt darin etwas wie Bekenntnis, auch wie geistige Liebeserklärung. Heute, da man diesen Stük- ken wieder begegnet, auch den Blättern, die für Waldens Publikationen gezeichnet wurden, ist das fast wie ein historisches

Wiedersehen mit der eigenen Jugend. Ein bißchen spürt man: diese Exzentrik in der Formverkrampfung hatte einen programmatischen Nebensinn, „pour ėpater le bourgeois“, denn inan war ja ein „Revolutionär". Aber dies war es nicht allein. In der Steigerung des seelischen Ausdrucks suchte man, ein Gesinnungsvorgang, der die einfache Sinnenhaftigkeit fliehen wollte, der Konventionen des Realismus oder Naturalismus ledig zu werden.

Die späteren Werke Kokoschkas haben sich von dieser Bewußtheit gelöst. Das geschah vor allem durch seine Hinwendung zur Landschaft. Oder soll man sagen, zur Stadtschaft? Es gibt eine große Serie von Gemälden, die Blicke über eine Stadt, auf

charakteristische Plätze und Straßenzüge, bebaute Stromufer und so fort bringen, Wien und Paris, Dresden und Stockholm, Prag und Madrid. Es ist keine Architekturmalerei in irgendeinem überkommenen Sinn, auch nicht etwa ein Spezialistenvermögen, wie es Pissarro ausgebildet hatte: die Stücke sind im Ausschnitt oft sehr überraschend genommen, gar nicht „repräsentativ", aber von unerhörter Frische und Eindringlichkeit, farbig oft sprühend, mit großartigen Wolkenmanövern, Städteporträts, die vielleicht den Stadtchronisten nicht immer befriedigen, aber eine wunderbare Aussage bringen, wie nun Kokoschka nicht bloß einen Abendhimmel genossen, sondern eine Stadtindividualität erlebt hat.

Manche dieser Bilder haben wir ehedem schon gesehen; wie kommt es, daß sie jetzt schon fast „klassisch“ auf uns wirken? Dieses Temperament kann doch keinen Klassiker aus sich entlassen! Das ist freilich unwahrscheinlich genug, und Kokoschka verwehrt uns selber, solchen Gedanken nachzuhängen. Denn er hat auf seine Weise, mit dem Pinsel und nun eben reicher gewordener Farbenfülle, seine Art von weltanschaulicher Auseinandersetzung mit dieser Gegenwart vollzogen, Bilder mit dem Mussolini-Schädel, mit der Hitler-Fratze, voll illustrativer Vieldeutigkeit und rätselgebender Anzüglichkeit — fast zu viel gute Maltechnik in Aufgaben gesteckt, für die der rasche, der

breite oder spitze Stift das Notwendige hergeben würde. Das literarische Element der Aussprache mit der Zeit konnte aus einer so gefühlskräftigen und dabei intellektuellen Natur nicht ganz entweichen.

Oder ist es doch ein Rückzug? Der Maler sitzt jetzt in der Schweiz — das herrliche Bild einer Berg-Tal-Landschaft tönt, ja tönt wie eine Huldigung an die Größe der bewegten Einsamkeit. Und nun, aus den letzten Jahren, Blätter Aquarelle, von einer schier zärtlichen Liebenswürdigkeit, Tiere. Blumen, wie Fingerübungen eines großen Meisters, der mit seinem scheren Können über ganz einfache Dinge paraphrasiert, eine Blütendolde: wie ist der Bau eines Blumenkelches locker und klar hingesetzt, völlig anspruchslos, ganz ohne „Pointe“, als wolle das Blatt nichts anderes dartun als die Beglückung durch die in sich ruhende Vollendetheit der Form. Vielleicht in der Tat nur Fingerübung oder das Stillewerden einer turbulenten Seele, bevor eine neue Wendung beginnt. Das wird kaum zu sagen sein Doch hat dieses Finale des Heute, in seiner Schlichtheit und wunderbaren Bescheidung der Freude am Schönen, nach der großartigen Wanderung durch eine Welt der Motive und Begriffe etwas schlechthin Ergreifendes.

Aus „Lust der Augen“. Stilles Gespräch mit beredtem Bildwerk.

Rainer-Wunderlich-Verlag Hermann Leins, Tübingen.

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