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Wiedersehen mit Wien

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Ich hatte die Stadt 1942 zum letztenmal gesehen; und manches aus den Wochen, die ich damals in ihr verlebt hatte, wurde wieder in mir lebendig, als ich ein Jahr später im Feld den Brief eines Münchner Freundes erhielt, der zum erstenmal in seinem Leben

in Wien gewesen war. „ ... Man geht mit hochgespannten Erwartungen auf eine solche Reise“, schrieb er, „und ist dann leicht enttäuscht. Man sollte die Bekanntschaft einer solchen Stadt nicht im Kriege machen wollen ... und in seinem vierten Jahr ist ihr Antlitz wohl sehr verändert. Manche Kostbarkeiten, auf die ich mich seit langem gefreut, sind nun weggebracht oder eingemauert; in den Parks hebt man Splittergräben aus und an der Ringstraße werden Bunker gebaut; Bagger wühlen die Erde auf; Betonmaschinen mahlen. Wien, die Perle der Städte, erhält eine neue Fassung: man rüstet zum Luftkrieg!..

Ich las seine wenigen Zeilen damals immer wieder, und vergeblich suchte ich mir ein Bild davon zu machen, wie es in Wien nun aussehen mochte} ich Konnte es mir rächt vorstellen, daß sich dort alles so sehr geändert haben sollte..., ich konnte es auch dann nicht, als die Nachrichten von den ersten schweren Angriffen kamen, als die Front immer näher rückte. „Sieben Stunden bin ich vom Westbahnhof über Scherben und Trümmer und zwischen brennenden Häusern nach Hause gegangen, und ich hab den ganzen Weg geheult vor Schmerz“,

schrieb einmal eine Kameradin. Ich weiß noch, wie ich den Brief weglegte und wie in mir Müdigkeit war und eine sonderbare Leere. Mir war Wien nie besonders nahegestanden, und nie hatte ich zu dem herzlichen. Verhältnis gefunden, das mich mit

anderen Städten verband: aber nun merkte ich, daß die Stadt mir zum Inbegriff von vielem geworden war, was mir dauernder ' schien als die kleinen Dinge des Alltags, und stärker auch als die Mächte der Zerstörung; und das Herz, -das darauf vertraut hatte, ohne daß ich es wußte, wollte es nicht glauben, daß dort nun alles anders war...

Und dann kam ich wieder; in das Wien der Wirklichkeit...

Sie begegnete mir schon auf der Fahrt, diese Wirklichkeit, eindringlicher und erschütternder als irgend etwas, was ich nachher noch sah, die ganze Veränderung blitzartig beleuchtend, die seit 1942 vor sich gegangen war: in Enns kreuzte sich unser Zug mit einem Kindertransport, der nach der Schweiz ging. Es waren nicht die mageren Körper, die hohlen Wangen, die blasse Hautfarbe... es waren die Augen, die aus all den Gesichtern an den Fenstern des Zuges* so müde blickten, die Gedrücktheit in ihnen, der tief eingefressene Zweifel... Was mußte geschehen sein, daß sie — es waren doch Kinder! — alle Gläubigkeit, alle Hoffnung so sehr verloren hatten und selbst jetzt noch nicht an ihr Glück glauben zu können schienen? Nun erst wußte ich es wirklich:

viel war geschehen, und viel hatte sich geändert, seit ich zum letztenmal von Wien geschieden war.

Und dann ging ich weder über die alten Straßen und Plätze und suchte die vertrauten Züge zu erkennen und wunderte mich, wiesehr die furchtbaren Zerstörungen und die überall noch sichtbaren Spuren des Kampfes schon in das gewohnte Bild und Leben der Stadt einbezogen sind ... und wie sehr ich selbst mich schon nach wenigen Tagen daran gewöhnt hatte. Gewiß, es liegt noch viel Schutt in den Straßen, es gibt viele zerstörte oder aus|ebrännte Häuser, und in der Wohnung meiner Bekannten sah tdi an der 'Wand die Einschüsse nes Maschinengewehres; am Kanal liegen gesprengte Brücken im Wasser, und in den Parks und Anlagen sind noch viele Gräber, mit einem rasch zusammengebundenen Kreuz 'bezeichnet, einem rohen Holzstern oder einem Helm: aber draußen im Prater ist ein riesiger Bombentrichter, der mit Wasser vollgelaufen' ist, und darin lassen die Kinder ihre Papierschiffchen schwimmen: das Leben geht weiter ...

Das Leben geht weiter: und was einmal furchtbar war, ist schon in den Alltag mit ' seinen Mühen und kleinen Freuden einbezogen ... Ich besuchte 'eine Kollegin auf der Universität, ich wunderte mich, wie braungebrannt sie war. Sie lächelte auf meine Frage. „Ja — die eine Bombe hat oben vor meinem Institut fein aufgeräumt — so ist das ..Lernen nun viel schöner als früher ...“ Wir gingen durch einige halbdunkle Räume, in denen ausgestopfte Tiere und Präparateschränke friedlich neben Kalkeimern u|d Zementsäcken standen; dann wurde es licht — „Vorsicht, hier können Sie gleich zwei Stockwerke hinuntersegeln!“ Uber Laufbohlen ging es weiter unter freiem Himmel; ungehindert flog der Blick über die Dächer der Ringstraße und weit darüber, die Sonne schien, zwei Arbeiter rührten Mörtel in einem großen Holzbottich, und daneben an einer eingestürzten Mauer saßen einige leichtbekleidete Mädchen mit Sonnenbrillen und je einem dicken Buch. „Ja, es sind fast nur Kolleginnen hier“, meinte meine Führe-r'in, „wenigstens hier bei uns in den höheren Semestern —. die Kollegen sind da noch recht selten ...“

Manches kleine Bild geht sonst noch mit mir aus den ersten Tagen meiner Wiederkehr: da ist etwa das Denkmal der Maria Theresia, neben dem eine schwere Bombe dicht eingeschlagen hat, die eine Seite der Einfassung ist noch mit weggerissen ... Unwillkürlich fragte ich mich, was Kheven-hüller und Traun auf ihren stolzen Schlacht-rössern wohl gedacht haben müßten, als dieser Brocken auf sie herabrau sehte? So etwas ist den alten Marsdiällen in ihrem kampferprobten Leben bestimmt nodi nicht begegnet! Sic sind aber mit dem Schrecken (von dem in solchen Augenblicken auch ein

Marschall wohl nicht frei ist) davongekommen; nur Dauns Pferd auf der anderen Seite des Denkmals hat einen kleinen Kratzer„ und Haugwitz hat ein Splitter den Mantel durchschlagen.

In der inneren Stadt kam ich dazu, wie ein Raupenpflug den Schutt von einer Straße räumte; es war ein schönes altes Haus gewesen, das die Bombe getroffen hatte, und die obere Hälfte eines steinernen Frauenbildnisses lag, halb von Ziegelbrocken bedeckt, auf einem der Haufen ... Der Pflug, der; in die Trümmer des Hauses hineinfahren wollte, schuf sich hiefür zuerst eine günstige Angriffsfläche und schob den Schutt an die Mauer heran, um dann die Haufen einzuebnen; ich sah, wie die schöne alte Statue unter die Raupe geriet, wie sie zerbrechend hineingepreßt wurde unter die anderen Trümmer: und während Mauerreste fielen und der Motor aufheulte, wurde Platz geschaffen für Neues . '.. Das kleine Ereignis schien*mir ein Gleichnis für vieles, was in unseren Tagen geschieht und noch geschehen muß. Dennoch erlebte ich auch noch ein anderes Gleichnis: meine Bekannten, bei denen ich wohnte, zeigten es mir: ein kleines Vogelnest, fast ganz aas den Staniolstreifen gebaut, wie sie die Flieger abwarfen — und das mir etwas wie eine tröstliche Aufmunterung war: das Leben ist doch stärker...

Am letzten Tag, ehe ich die Stadt wieder verließ, ging ich vormittags über den' Ring.

Am Heldenplatz surrten Motore, Preßluftbohrer hämmerten: die beiden großen Standbilder wurden eben von der Ziegelgruft, die sie jahrelang bedeckt hatte, befreit... Am Denkmal. Erzherzog .Karls hatten die Arbeiter eben erst den obersten Mauerrand entfernt, aber drüben vor der Hofburg stieg die Gestalt des Savoyers schon groß und steil in die kristallklare Luft des Aprilmorgens; der Staub stob in dichten Wolken zur Seite, wie unter Schnauben und ungeduldigem Hufschlag des sich bäumenden Pferdes. Und ich' sah, wie viele Menschen — eilige, geschäftige, gehetzte Menschen der großen Stadt — stehenblieben, wie sie stille hielten für ein paar Augenblicke oder eine Minute oder auch zwei, und wie sie hinüberschauten nach dem gewaltigen Reiter, der anzusetzen schien zum Sprung — ins Ungewisse — in die Zukunft... ?

Ich ging weiter, nachdem auch ich lange hingeblickt hatte. Und ich dachte: Nein, es kann nicht sein, daß der Geist tot ist, aus dem diese Werke wurden; erlebt, auch wenn viel? seiner steinernen Zeugen in Trümmer gesunken sind. Und wird dieser Geist sich nicht auch seinen Körper wieder bauen ...?

Als ich die Stadt am anderen Tag verließ, da wußte ich, daß ich nicht nur ein Wiedersehen erlebt hatt. Ich hatte heimgefunden zu dem zeitlosen Wien, das ich früher geahnt und unbewußt gesucht hatte.

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