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Wieland Wagners „Lohengrin“

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„Die Passion für Wagners zauber-volles Werk begleitete mein Leben“, bekennt Thomas Mann in einem seiner zahlreichen Wagner-Essays. Nie könne er die Stunden tiefen einsamen Glückes inmitten der Theatermenge vergessen, Stunden voll von Schauern und Wonnen der Nerven und des Intellekts, von Einblicken in rührende und große Bedeutsamkeiten. „Was ich beanstandete“, fährt Thomas Mann dann fort, „was mich gleichgültig ließ, war Wagners Theorie.“ Kaum habe er glauben können, daß überhaupt jemand sie je ernst genommen hat. Denn Wagner hat oft und ausgiebig theoretisiert, nicht nur über das „Gesamtkunstwerk“, sondern auch über Vegetarismus und Antisemitismus, Kaisertum und Demokratie...

Übrigens ist das „Gesamtkunstwerk“ keine Erfindung Wagners. Seine Ahnen heißen Herder, Novalis, Schelling, E. T. A. Hoffmann und Tieck. Aber in späteren Jahren hat sich Wagner von dem .^unglücklichen Gesamtkunstwerk“ abgewandt. Kein Wunder, daß seine Enkel von allem Anfang an sich davon emanzipierten. Wieland Wagner sagt mit vollem Recht: „Die Ideen des Wagnerschen Werkes sind zeitlos gültig, da sie ewig menschlich sind. Wagners Biid-und Regievorschriften gelten ausschließlich dem zeitgenössischen Theater des 19. Jahrhunderts.“ Zu Wagners Lebzeit wurden seine theatralischen Visionen als Genrebilder im Stil des Biedermeier, später mit den stilistischen Mitteln der spätromantischen Landschafts- und Historienmalerei realisiert. Die Sänger agierten im Stil der großen italienischen Gesangsoper oder mit den pathetischen Gesten der Meininger. Nachdem Cosima Wagner einen Bannfluch gegen den Modernismus des Bühnenbildners Appia geschleudert hatte, die Versuche einer szenischen und ragielichen Erneuerung von Klemperer und Fehling, in den zwanziger Jahren begonnen, bald unterbrochen werden mußten und Tietjen in den Jahren 1933 bis 1945 seine Reformen nur gegen starke Widerstände durchsetzen konnte, blieb nach 1945 Wichtiges zu leisten, zumindest zu versuchen. Die Wagner-Enkeil, besonders Dr. Wieland Wagner, haben sich dieser Aufgabe seit etwa 1951 unterzogen und man weiß, mit welchem Erfolg. Bayreuth, von vielen als „historisch“ oder als ausschließliche Domäne der Wagnerianer abgeschrieben, kam nicht nur wieder ins Gespräch, sondern es gingen von hier wichtige Impulse zur Erneuerung des zeitgenössischen Musiktheaters aus (hierüber gibt es bereits eine ganze Reihe von Einzel-Btudien und einige Bücher).

Es hat lange genug gedauert, bis man sich dazu entschloß, Wieland Wagner, einem der bedeutendsten and interessantesten Regisseure unserer Zeit, die Neuinszenierung eines Werkes seines Großvaters an der Wiener Staatsoper anzuvertrauen. (Die Gründe für dieses Zögern vollen wir unerörtert lassen. Sie ha-oen mit Kunst und richtig verstandener Wagner-Pflege nichts zu tun.) Mit umso größerer Spannung wurde ler neue „Lohengrin“ erwartet. Und ;r hat nicht enttäuscht. So un-srthodox Wieland Wagner ist, so tann man doch einige Grundten-lenzen in seinen Inszenierungen ernennen. Text und Partitur werden acht angetastet. Dagegen wird, im >irme des mehr statisch-oratorischen

Konzepts, alles szenische Beiwerk weggeräumt. Wieland Wagner liebt die symmetrische Ordnung und er verlangt bei den Massenszenen, Aufmärschen und Abgängen eine fast soldatische Disziplin. Die Einheitlichkeit aller Akte und Bilder erzielt er im neuen „Lohengrin“ durch einen riesigen Rundhorizont, edn Mosaik in vielerlei Blau, das einem Glasfenster von Leger ähnelt.

Im ersten Bild mag man zunächst den offenen Horizont vermissen, aber allmählich kommt man darauf, daß der geschlossene Raum dem Konzept des Spielleiters am besten entspricht. Die Edlen von Brabant sind auf einer niedrigen, halbkreisförmigen Arena aufgestellt und uniform gekleidet, ebenso wie die später erscheinenden Frauen. Die Mannen haben keine Schilder, um daran zu schlagen, sie schauen sich auch nicht um, wenn der Schwan — eine große, stilisierte Projektion, im Hintergrund erscheint. Auch zeigen sie kein Erstaunen, als Lohengrin

im letzten Bild seinen Namen nennt. Dieser trägt ein goldenes, fließendes Gewand, Elsa erscheint in lichtem Hellgrau, später in Weiß, Telramund und Ortrud sind entsprechend ihren Rollen dunkel gekleidet, letztere trägt, nachdem sie die Grafenkrone abgelegt hat, eine flammend .rote Perücke. Ein wenig spärlich wirkte im ersten Bild die um einige Stufen erhöhte kleine grüne Spielfläche, imposant der Wehrturm im zweiten Akt. Der Hochzeitszug des dritten Aktes bleibt uns erspart (er singt unsichtbar hinter der Szene), dafür erscheint auf dem Hintergrund eine gewaltige Projektion in Rot und Gold, eine hieratisch wirkende Miitter^ottes.

Es sei zügegeben, daß diese eindrucksmächtigen Bilder sowie das ganze der antiken Tragödie angenäherte Regiekonzept von der Musik ein wenig ablenken, obwohl das Orchester unter Dr. Karl Böhms Leitung zwar „prächtig“, aber zuweilen etwas lautstark musizierte. Die Besetzung ließ kaum einen Wunsch offen: Lohengrin — Jess Thomas, Elsa — die noble, damenhafte Ciaire Watson, Teiramund — Walter Berry, Ortrud — Christa Ludwig (die einige Male zu stark loslegte und dafür stürmisch gefeiert wurde), König Heinrich — Martti Talvela und Heerrufer — Eberhard Wächter. Am Schluß, neben lang anhaltendem und lautstarkem Beifall für Dr. Böhm und die Sänger — auch Proteste gegen den Regisseur. Von der Galerie natürlich, die sich während der letzten Jahre an allzuvielen rein kulinarischen Vorführungen den Magen verdorben hat und im Jahr 1965 einen Regiestil entdeckte, der bereits vor rund 15 Jahren inauguriert wurde.

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