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Wien als Ost-Magnet

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Die Faszination, die Wien auf die östlichen Nachbarn seit langem ausübte, wurde zum Gegenstand einer Forschungsarbeit. Eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern untersuchte das Wien-Bild unter dem historisch-literarischen Aspekt in den belletristischen, autobiographischen und epistolari-schen Schriften verschiedener Länder. Ein Sammelband präsentiert das Ergebnis - es wurde ein sehr buntes Bild: „Wien, dieses rätselhafte Gebilde, das so anziehend und auch so verstimmend wirkt” (Berta Szeps-Zuckerkandl), wurde von der Literatur differenziert abgebildet.

Beim großen Nachbarn Rußland dominierte die Vorstellung vom „schönen, heiteren Wien”. Als Stadt mit einer imperialen und aristokratisch geprägten Kultur war es für viele russische Emigranten attraktiv. Nicht alle Äußerungen sind aber positiv. Nikolai Gogol, der in Wien den „Mantel” verfaßte, schrieb: „In Wien langweile mich ... die hiesigen Deutschen amüsieren sich ständig ... aber wie man weiß, auf eine fade Art: sie trinken Bier und sitzen an den Holztischen unter Kastanien-Bäumen.”

Positiver sah schon Cechov die Donaumetropole: „Alles ist großartig und ich habe erst gestern und heute richtig begriffen, daß Architektur tatsächlich eine Kunst ist ... Die Frauen sind schön und elegant.” Vor dem Ersten Weltkrieg war Wien ein Zufluchtsort der künftigen Oktoberrevolutionäre. Trotzki lebte sieben Jahre hier, es störte ihn besonders das „lächerliche Wiener Mandarinen-tum der Akademiker”. Er verschont auch nicht seine Wiener Genossen: „Im alten, kaiserlichen, hierarchischen, betriebsamen und eitlen Wien titulierten die Marxisten einander wonnevoll mit ,Herr Doktor'. Die Arbeiter redeten die Akademiker oft mit ,Genosse Herr Doktor' an.”

Anders das Verhältnis der Polen zu Wien. Bekannt ist der doppelte, nämlich kaiserliche und polnische Patriotismus der Bewohner Galiziens. In Wien haben die Polen sogar ihre „Heiligstätte”, den von polnischen

Dichtern besungenen Kahlenberg. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte der Dichter Julian Niemcewicz in seinen Tagebüchern notiert: „Viel ist in Wien an Freiheit und persönlicher Sicherheit. Die Wiener sind gute Leute, sie gehen leicht Freundschaften ein und sind anziehend.”

Die Schriftstellerin Zofia Nalkow-ska besuchte Wien in der Zwischenkriegszeit, rühmte die Menschlichkeit der Wiener und sah in den Wohnblocks von Floridsdorf ein „irdisches Paradies”. In der zeitgenössischen polnischen Literatur tritt Wien vor allem als Kulturstadt hervor, als Ort eines spezifischen Lebensstils.

Für die kleineren Völker Ost-Mitteleuropas spielte Wien die wichtige Bolle eines Katalysators bei der Entwicklung ihrer eigenen Literatur und Kultur. Wien wurde um die Jahrhundertwende zum „exterritorialen Zentrum” der ukrainischen Kultur.

Durch das gesamte Werk Ivan Fran-cos, der in Wien Slavistik studierte und mit gleicher Eleganz in ukrainischer, polnischer und deutscher Sprache schrieb, zieht sich die Darstellung Wiens: eine weit entfernte, beinahe irreale Stadt, wo Karriereträume verwirklicht werden.

Der Slowene Ivan Cankar lebte fast elf Jahre hier, vor allem in Otta-kring, wo er Not und Elend der Vorstadt kennenlernte. In Wien entstand der Großteil seiner Werke, die soziale Mißstände und gesellschaftliche Ungerechtigkeit zum Thema hatten.

Das Wien des 19. Jahrhunderts spielte auch für viele slowakische Intellektuelle eine wichtige Rolle. Viele machten in Wien Karrieren als Wissenschaftler. Im günstigen geistigen Klima Wiens sind Werke slowakischer Schriftsteller wie Jan Kollar oder Karol Kuzmany entstanden. Bei den Tschechen hingegen wurde das Wien-Rild von verletztem Stolz und Enttäuschung geprägt. Die massive Auswanderung der Tschechen nach

Wien Ende des 19. Jahrhunderts machte sie zu Bürgern zweiter Klasse, Wien war für sie ein Ort der Erniedrigung und Demütigung. Daher die Antipathie Karel Capeks gegen Wien. Er haßte „das habsburgische Wienertum, dessen dekadenten Aristokratismus, der dem Trinkgeld nachläuft ... dieses anationale und doch chauvinistische Kunterbunt von Personen des offiziellen Wien.”

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Beziehung der Tschechen zu Wien - als Tor zum Westen, zur Freiheit, gewann es an Anziehungskraft. Bei der Prosa von Bohumil Hrabal nähert sich Wien wieder dem der „Märchenstadt” von der Mitte des 19. Jahrhunderts.

In der ungarischen Literatur ist der Habsburger-Mythos am stärksten vertreten. Peter Esterhäzy sieht in der Donau einen Faden, der die Völker verbindet, und Wien als Edelstein, unter anderen, in der Kette. Eine besondere Anziehungskraft hatte die Stadt für die Völker des Balkans. Wien war „das erste Paris” der rumänischen Studenten. Das Werk von Mihail Eminescu entstand unter dem Einfluß seiner kulturellen Atmosphäre. „Ein echtes Kind Wiens” war auch der bulgarische Dichter Teodor Trojanow. Wien in der serbischen Literatur, vor allem in den historischen Werken, wurde zum Symbol für ein anderes Leben; es war Hoffnung, Protest und Illusion zugleich.

In der neugriechischen Prosa dominieren Psychoanalyse, Musik und Kaffeehauskultur das Bild Wiens. Ein Beiseführer findet in den Außen-und Arbeiterbezirken das echte Gesicht Wiens, „der lustigen, oberflächlichen und romantischen, sich in Mozarts Menuetten, Schubert-Liedern, Strauß-Walzern wiegenden Stadt ...”

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