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Wien ruft die katholische Presse der Welt

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Die Gäste des Weltkongresses der katholischen Presse werden in diesen Tagen nach Wien gebeten.

In eine Stadt, in der sich jeder von ihnen zu Hause fühlen kann. Es gibt kein europäisches Element, das nicht beigetragen hat, dieses Land Oesterreich und diese Stadt Wien zu formen, und das dem, der geduldig und froh seine Spuren und Merkmale sucht, sich nicht in mancher Eigenart hier offenbart.

Ja, es gibt — und dies unseren Gästen aus außereuropäischen Zonen zum Trost — kein Element des Menschlichen, das nicht eingeschmolzen wurde in das geschichtliche Wesen, das einmal „Wien“, einmal „Oesterreich“ heißt.

Was entzückt Japaner, Asiaten, Afrikaner an der Musik Mozarts? Nicht ein Wissen um Oesterreich, das sie nicht kennen, oder um Gesetze der europäischen Musikgeschichte, die sie vielleicht nicht allzusehr interessieren, wohl aber etwas anderes: in den heiter verschweben- den Tönen, in denen mitten im Scherz, in der heitersten Heiterkeit ganz zart, leise, verhalten, aber sehr gegenwärtig, Töne des Schmerzes, des Leides, des Todes zugegen sind, wird ihnen ein Archaisches unbewußt bewußt. Flötenton des Pan, ein langgezogener dunkel-heller Ton, wie er in japanischer und indischer sakraler Musik wiederkehrt.

Vergessen wir nicht ganz, liebe Freunde aus Europa und Umgebung, wenn wir in Wien und in Oesterreich einkehren: Dieses heute kleine Land und diese seltsame Stadt, die wie eine Insel am Rande des asiatischen Festlandmeeres sich an die sanften Ausläufer der Alpen schmiegt, schwimmen beide auf einem dunklen Untergrund, der älter ist als alles, was wir geschichtlich festhalten können: er ist archaischer Mutterschoß. In ihm kommunizieren die Völker und Kontinente, er bildet die tiefste, verbindlichste Grundlage' des Menschengeschlechts.

Wer Oesterreichs und Wiens Wesen, seine eigentümliche, echte, also ganz unbewußte Konservativität und seine Katholizität verstehen lernen will, darf diesen Grund nicht übersehen. Der Oesterreicher, und zumal der Wiener, hat in schwersten Notzeiten, die immer wieder über Land und Stadt hereinbrachen, in diesem Schoß seine Zuflucht gesucht und gefunden.

Diese Geborgenheit im Schoß der Schöpfung, des Kosmos, ist in Oesterreich, und zumal auf dem Wi'erier Boden, geschichtlicli äusgereift in der eigentümlichen Universalität und Katholizität dieses Landes und dieser Stadt. Sie haben, beide, Jahrtausende hindurch, Gäste empfangen. Gebetene Gäste und ungebetene Gäste, die als Eroberer, Besatzungstruppen etwa, in das Land kamen, und sich hier sehr wohl fühlten. Wie wohl sie sich, Jahrhunderte hindurch, gefühlt haben, bezeugt heute noch eine ihrer liebenswürdigsten Gaben, der Wein, der vielleicht mit dem römischen Kaiser Probus ins Land kam. Die Probusgasse in einem alten Wiener Weingebiet erinnert heute noch daran. Weltbekannter und weltbedeutender ist ein anderes Denkmal des Sichwohlbefindens fremder Gäste auf Wiener Boden geworden: Kaiser Marc Aurel schrieb hier seine Betrachtungen, die, als ein erlesenes Zeugnis der Stoa, zum Bildungsgut des gesamten christlichen Humanismus geworden sind und in der Geistesart der europäischen Völker tiefe Spuren hinterlassen haben. Das Spanien der großen katholischen Reformer (Theresa von Avila nennt ihren geliebten Freund „Senecita", kleiner Seneca), das England noch Kardinal Newmans, das große, alte, klassische Frankreich und Italien der humanistisch-katholischen Aera — sie alle sind ohne Stoa und ihre christlichen Sprößlinge undenkbar. Beide lehren den Menschen: maßvoll, bescheiden, selbstkritisch, gütig, milde zu werden. Eben „human“. Menschlich. Es gab einmal, Jahrhunderte hindurch, einen geradezu staatsrechtlichen Begriff der dementia austriaca: der österreichischen Milde. Clementia, Milde, ist ein feststehendes Attribut des römischen Kaisers: der hat Milde zu üben, als herrscher- liche Verpflichtung, weil er die Völker zu hüten, zu betreuen hat, so daß jedes im großen Garten des Reiches wachsen kann, wohlbehütet in seiner Eigenart.

Wer nun in diesem Herbst durch die Gärten

Wiens und die Gärten um Wien geht und da den Wein und das Lied sucht, die Freundlichkeit des Wiener Wesens, möge dies nicht ganz vergessen: die kleinen Gärten und der kleine Sang sind gewachsen in einem Raum, der einmal ein einziger großer Garten war und in dem mehr als ein Dutzend Völker Europas ihre Pflege fanden.

Die erste serbische und griechische Zeitung erschienen in Wien, die ersten rumänischen und polnischen Volksschulen wurden von Männern geschaffen, die hier ihre politische Bildung als Verantwortung für den anderen empfingen. Dasselbe Wiener Gymnasium, das „Akademische Gymnasium“, betreute da so verschiedene Schüler, erzog sie, wie den Sänger des österreichischen „Muttermutes" und der deutschen

Sprache, Hugo von Hofmannsthal, und Thomas G. Masaryk, den Gründer der Tschechoslowakei.

Wer dann, von den Gärten der Vorstädte, in die „Innere Stadt“ einzieht, trifft auf Schritt und Tritt Zeugen der Gäste, die hier hereinkamen und Wiener und Oesterreicher wurden: Spanier, Iren, Wallonen, Flamen; Franzosen, Italiener, Kroaten, Serben, Griechen; Türken, Levantiner, Armenier; Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen und Menschen aus dem skandinavischen Raum. Und Deutsche aus allen Zonen des alten Reiches. Ihre Spuren, die Elemente, die sie hereinbrachten und die dann eingeschmolzen wurden in das Wesen Wiens und Oesterreichs, sind nicht nur zugegen in den Palais, Schlössern, Kirchen des Adels und des Kaiserhauses; in den Sammlungen unserer Museen, die vor allem an das reiche vorderösterreichische Erbe und die Regierung österreichischer Frauen, zumal in den Niederlanden, erinnern im Reichtum des Rubens. Bis tief hinein in die Sprache des Volkes, in seine Art, sich zu geben und zu lassen, sind die Prägungen eingedrungen, die die Gäste aus aller Welt mitbrachten.

Das „Küß die Hand“, Wort, Geste, und, wenn geglückt, Ausdruck feinsinniger Distanzierung und Nähe zugleich, stammt aus dem burgundisch - spanisch - habsburgischen Hofzeremoniell, aus seinem beso las manos.

Der Mensch hier, in Wien, in Oesterreich, wurde erzogen und geformt durch die vielen Gäste, die hier Wohnung nahmen. An diesem großen, wahrhaft universalen Erziehungswerk haben irische Mönche, französische Scholastiker, italienische Dichter, spanische Ordensmänner, deutsche Architekten ebenso aktiven Anteil genommen wie böhmische „Dienstboten", ein buntes Volk von Ammen und Amtsdienern, Fiakern, Köchen, Kammerdienern, von „kleinen Leuten", von Schustern und Schneidern, von Bäckern und Bandelkramern. Diese „kleinen Leute" haben nicht weniger zur Erziehung des Menschen, des verantwortlichen Menschen, und gerade der oberen und obersten Führungsschichten beigetragen als die Schulmeister und Gebildeten von „oben“. Diese Erziehung von „unten“ und von „oben“ hat jene Humanität, jene Mitmenschlichkeit geformt, die man heute noch, wenn man Augen hat, zu sehen, an den Sprößlingen Altösterreichs in aller Welt erkennen kann.

Einer der ganz großen Erzieher Wiens, der am Vorabend des ersten Weltkrieges heiliggesprochen und zum Patron Wiens erhoben wurde, der heilige Klemens Maria Hofbauer, von dem sich so verschiedenartige Menschen, wie Friedrich Schlegel und Joseph von Eichendorff, erziehen ließen, war von Haus aus ein mehr tschechischer als deutschstämmiger Bäckerlehrling und zeitlebens ein Wanderbursch, der nichts lieber tat, als ohne Geld in die Welt hinauszuwandern, singend und recht vom Herzensgrund froh — um sie Gott zuzuführen.

Die Gäste kamen, die Gäste blieben. Und die Gäste gingen. Sie haben Wien und Oesterreich unendlich viel eingebracht an Gaben. Und haben wohl auch etliches empfangen.

Dieses unbefangene Geben und Empfangen, dieses innerlich frohe und freie, ungezwungene Nehmen und Sichbeschenkerriassen, machte einst das Wesen von Kultur, von Menschlichkeit, von Katholizität in unserem Raume aus. Die tiefe innere Störung und Verwirrung aller menschlichen Verhältnisse, die heute noch lange nicht überwunden ist, wurde am Vorabend des ersten Weltkrieges vielleicht durch nichts deutlicher angezeigt als durch die erschreckende Tatsache, daß nunmehr immer mehr Gäste kamen, die nicht teilnehmen wollten an der großen Kommunikation, am allverbindlichen Wesen der Stadt, die alle einlädt, mit allen in Verbindung zu treten.

Wer heute durch Wien geht und dann etwa vom Kahlenberg hinüberblickt in die Lande, in denen jetzt Unfreiheit herrscht, kann sie nicht übersehen und vergessen; die bitteren Gäste, die hierherkamen und nicht teilnehmen wollten an der Gemeinschaft der Großen und Kleinen, der Völker und Nationen, der Sünder und Heiligen, der Kinder Und Kindsköpfe, der Genies und der Mittelmäßigen, der Lauten und Leisen, an diesem einzigartigen Kindergarten Europas, der Wien und Oesterreich waren. Da ging also, tief verwirrt und verstört durch die fremde Pracht, der junge Adolf Hitler durch das alte Wien — vielleicht hat keine Stadt Europas eine solche Haßehrung empfangen wie Wien durch Hitler. Da saßen, in einem Kaffeehaus in der Inneren Stadt, Lenin und Trotzki und, wenige Minuten vom Schloß Schönbrunn entfernt, arbeitete in seiner Stube I. W. Stalin seinen Traktat über das Nationalitätenproblem aus. Mussolini arbeitete beim Bau der Reichsbrücke und Tito trug die zwei Sterne eines Korporals der k. u. k. Armee. Diese Gäste gingen, unberührt oder verletzt durch das Wesen der Stadt und des Landes.

Andere Gäste kamen. In der Besatzungszeit der Jahre 193 8 bis 1955. Auch sie haben Spuren hinterlassen. Wien trägt heute Narben mancher Art. Langsam werden sie überwachsen durch die Gärten, überformt durch Neubauten, durchwachsen durch junges Leben.

Alles ist Strahlung. Alles Leben ist Strahlung, ist ein Prozeß des Gebens und Empfangens.

Des Hörens, des Mithörenkönnens. Des Sehens: Sehen ist Mitsehen, Mitleiden. Denken ist Mitdenken, ist Zustimmen. Ist Danken. Menschsein heißt: Mitmenschsein. Weil dieses kleine Vademekum österreichischer Humanität und österreichischen Weltverständnisses noch nicht ganz unaktuell ist, hat Wien heute seine alte Bedeutung als Kongreßstadt neu gewonnen. Wien ist zum Zentrum der Atombehörde der UNO ausersehen. Tödliche Strahlung kann nur durch Strahlungen des Lebens überwunden werden. Leben aber heißt: Mitleben, jedes andere Leben gelten lassen.

Bedarf es noch eines Hinweises darauf, wie immanent hier Katholizität zugegen ist, auf diesem Boden, in diesen Gärten?

Der Katholik wird der Welt wieder etwas zu sagen haben, wenn er sich als wahrer, uneigennütziger Freund des Menschen und nicht zuletzt aller Weltkinder erweist. An unserer Freundlichkeit wird man uns erkennen. Sie ist der schamhafteste und verschwiegenste Ausdruck der Liebe.

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