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Wien und Berlin

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Den Anlaß zu dieser Studie gibt die 950-Jahr Feier des Namens „Österreich“. Da mag überhaupt die Frage angeschnitten werden, wie weit denn eigentlich die Kunde vom Sein und von der Bedeutung des wichtigsten Sammelplatzes österreichischer Kultur, Wiens, zurückreicht.

Diese Frage zu stellen, hat ja doch besondere Berechtigung. Die Unterdrückung österreichischen Wesens und kulturellen Wirkens in der jüngsten Vergangenheit und die Herabsetzung und Demütigung Wiens — eine Folgeerscheinung preußischer Geschichtsfälschung und Überheblichkeit — lassen es bei diesem 950 Jahre zurückgreifenden Gedenken an eine geschichtliche Tatsache aus Österreichs und Wiens weit zurückreichender Vergangenheit gerechtfertigt erscheinen, einmal einen Blick auf das Werden und Wesen der beiden Städte Wien und Berlin in bezug auf ihre Anfänge zu werfen und die Verhältnisse und Zustände in zeitlicher Schau zu betrachten die hier und dort geherrscht hatten, während eines Zeitraumes, dessen obere Begrenzung sich, wie wir sehen werden, aus dem Gegenstande selbst ergibt. Anders gesagt: ob die manchmal in der Abwehr ausgesprochene Formulierung richtig ist, daß Wien schon als Kulturmittelpunkt gegolten hat, in einer Zeit, „da Berlin noch ein Fischerdorf war“. Handelt es sich dabei um eine Wendung polemischer Rhetorik oder um eine geschichtliche Wahrheit? Es gibt viele, die hierin gerne Bescheid wissen möchten, und andere, die Wien vieles abzubitten haben.

Die Entstehung Berlins nahm von der Stelle ihren Ausgang wo durch das Herantreten einer Hochfläche von Norden und einer anderen von Süden das große eiszeitliche Urstromtal — als Überbleibsel fließt hier die Spree — auf nur fünf Kilometer Breite eingeengt wird. Der an den Saum der nördlichen Hochfläche gedrängte Fluß teilt sich in zwei Arme, zwischen denen eine kleine Tnsel liegt. Dieser Platz war für das Uberschreiten der Spree in der ganzen Gegend am günstigsten; denn flußabwärts boten dafür die Seen der Havel, flußaufwärts die Sümpfe der Dahme und der unzugängliche Snreewald unüberwindliche Schwierigkeiten Die Landschaft der enteren und weiteren Umgebung ist arm an Naturschönheiten und zeigt nur geringe Fruchtbarkeit: eine dürre Ebene mit viel Sand, bedeckt von Mooren und Nadelwäldern.

Berlin ist aus zwei ursprünglich slawischen Niederlassungen entstanden. Als im Verlaufe der Völkerwanderung die Germanen nach Westen und Süden abgezogen waren, hatten die slawisdien Wenden („Winden“) von dem verlassenen Land Besitz ergriffen. Auf dem südlichen Teil der Insel zwischen den beiden Armen der Spree entstand eine wendische Fischers!e'flung. Ihr Name mag sich entweder von dem slawischen Worte kalyna (Schlamm) oder von kollen, das wendisch einen aus Sumpf und Wasser emporragenden Hügel bedeutet, herleiten; später wurde daraus, wahrscheinlich im Anklang an die berühmte rheinische Stadt, von den germanisierten Einwohnern oder von den deutschen Ansiedlern der Name Kölln gebildet.

Die zweite Ortschaft, an einer Einbuchtung am Nordufer der Spree gelegen, war Berlin; der Name wird von bor (Fichtenwald) und rola, Eigenschaftswort: rolina (Acker), hergeleitet, was soviel als Fichtenland, Heideboden oder auch „Damm“ bedeutet. Es w!rd angenommen, daß diese Ansiedlung auch schon zur Wendenzeit eine Handelsniederlassung war, da sich hier der Wasserweg von der Elbe und der oberen Spree mit dem Landweg nach Norden (von Leipzig) zur unteren Oder kreuzt. Dieser Ort muß aber, selbst nach preußischen Angaben , von ziemlich geringer Bedeutung gewesen sein; erst durch die Deutschen sollte diese gehoben werden.

Szhon unter Karl dem Großen wurde versucht, das Land wieder zu erobern; doch ohne bleibenden Erfolg. Später traten die sächsischen Könige an diesen Versuch heran. Heinrich I. eroberte Brenabor (Brandenburg) im Bereich der heidnischen Preußen; Otto I. und Otto II. setzten den Kampf fort. In den Schwächezeiten des Deutschen Reiches ging das Gewonnene immer wieder verloren. Erst nach der Belehnung des Grafen Albrecht aus dem Haus Askanien mit der Mark Salzwedel im Jahre 1134 begann die endgültige Unterwerfung; er eroberte von der Elbe aus das ,Land zu beiden Seiten der Havel.

In diesem Gebiet wurden deutsche Ritter, Mönche und Bauern angesiedelt; Templer und Johanniter erhielten ebenso wie die durch ihre unermüdlichen Rodungen bekannten Zisterzienser Grundbesitz. Die namhafteste Erweiterung des deutschen Gebietes erfolgte unter den Brüdern Johann I. und Otto III., die seit ungefähr 1220 gemeinsam herrschten und vor allem das Land an der Spree gewannen. Sie erhoben Berlin und Kölln zu Städten. Dies muß um 1230 geschehen sein. Ihr besonderes Augenmerk wendeten sie Berlin zu. Die Anlage der Stadt beweist selbst, daß es sich nicht um einen allmählich zur Stadt gewordenen,: Ort, sondern um eine unvermittelte Neugründung handelte. Dann war allerdings ein schwerer Kampf gegen Sand und Wasser nötig, um eine Stadt zu schaffen, für die natürliche Gegebenheiten so ziemlich gefehlt hatten. t.

Von der keltischen Stadt Vindomina ist uns nur der Name erhalten. Das römische Vindobona war ein blühendes Kastell, das an der Militärstraße lag, die der Donau entlang führte; seine Ausdehnung ist deutlich erkennbar umgrenzt. Die Hauptstraßenzüge kreuzten sich in der Mitte und folgten dem Zuge der bis heute erhalten gebliebenen Verkehrswege: Wipplingerstraße—Hoher Markt

—Lichtensteg—Bäckerstraße und Tuchlauben—Mark-Aurel-Straße. Letztere lief vom eigentlichen Standlager zum Donauufer. Durch die Römer wurden die Bewohner mit dem Christentum bekannt. In der Zeit der verfallenden Römerherrschaft kam der heilig'; Severin um das Jahr 455 nach Noricum und dürfte auch in Wien, der ostgotischen Grenzstadt, in der Gegend des heutigen Sievering längeren Aufenthalt genommen haben Er führte die römische Bevölkerung nach Italien zurück.

In der Folgezeit ist das Schicksal Wiens in völliges Dunkel gehüllt. Sicher ist nur, daß Hunnen und Awaren auch hier gehaust hatten. Der heilige Rupert (wahrscheinlich 718 gestorben), kam auf seinen Missionsreisen auch donauabwärts bis in das Gebiet der Awaren; er gründete zahlreiche Gotteshäuser, darunter auch die älteste Kirche Wiens (als Schutzherr der Salzhändler), das Ruprechtskirchlein; an dessen Stelle wurde

Vgl. „Berlin in Geschichte und Gegenwart“ von Dr Paul Goldschmidt, Verlag Julius Springer, Berlin 1910, S. 5. dann die Kirche zum hl. Ruprecht gebaut (783 vom Bischof Emmeran von Salzburg eingeweiht). Sie lag so wie die Peterskirche (Patronatskirche der Fischer und Handwerker) und „Maria am Gestade“ (Schifferkirche) auf dem Rande der alten Stromterrasse der Donau, die damals ein Beträchtliches weiter südwärts floß. Wie in einem an der Außenseite der Peterskirche angebrachten Relief dargestellt ist, wird deren Gründung Karl dem Großen zugeschrieben, als er im Jahre 792 nach dem Feldzuge gegen die Awaren in Wien weilte; wahrscheinlich aber handelte es sich um die Erneuerung einer von den Awaren zerstörten

älteren Kirche. Jedenfalls geht aus den feststellbaren Tatsachen hervor, daß in Wien schon bald, nachdem sich die Wogen der Völkerwanderung geglättet hatten, wieder reges Leben und Treiben geherrscht hat und dem Ort ziemliche Bedeutung zugekommen sein muß.

Nach der Niederlage der Magyaren auf dem Lechfelde (955) erfolgte durch Kaiser Otto I. die Wiedergründung der östlichen Mark. Die Babenberger schoben die Grenze in zähem Kampf immer weiter nach Osten vor bis zur Leitha und March (1043); das hatte auch ein fallweises Verlegen des Sitzes der Markgrafen zur Folge: Ennsburg, Pöch-larn, Melk, Tulln, Kahlenberg, Wien. Urkundlich wird Wien zum erstenmal im Jahre 1030 als befestigter Ort genannt. Sicherlich wurde der Name auch schon vorher gebraucht. Er erscheint auch im Nibelungenlied (1177) festgehalten, wo es heißt, daß man „ze Wiene“ die Kleider für die prunkvolle Hochzeit Etzels mit Kriemhilde fertigte und als würdigsten Ort für diese Feierlichkeiten hatte man Wien erwählt.

Zu hoher Bedeutung gelangte Wien unter den Babenbergern, ganz besonders als Heinrich II. Jasomirgott den Hof nach Wien verlegte, der in der folgenden Zeit von den Minnesängern rühmlich hervorgehoben und mit Vorliebe aufgesucht wird.

Aber nicht erst seit der Verlegung der Resident nach Wien begann der Aufstieg der Stadt, die Wien schon längst war, wenn ihr auch formell erst 1221 das neue Stadtrecht verliehen und damit die besondere Aufsicht über den Donauhandel übertragen wurde. Es hatten doch schon die Kreuzheere (seit 1095), die auf, beziehungsweise an der Donau herabkamen, in Wien stets haltgemacht, wo sie sich für den weiteren Zug mit Wein, Getreide und sonstigen Lebensmitteln versorgen konnten. Kaiser Friedrich Barbarossa, der schon vorher einmal Wien besucht hatte, war im Sommer 1189 anläßlich seines Kreuzzuges, von Regensburg kommend, Gast am Wiener Hof. Herzog Leopold V. von Österreich machte gleichfalls diesen Kreuzzug mit. Den Anteil am Lösegeld für König Richard Löwenherz verwendete er zur Verschönerung und Befestigung Wiens, das über seine ersten Mauern schon lange hinausgewachsen war; so lagen Stephanskirche und Schottenkloster schon außerhalb der eigentlichen befestigten Stadt. Ein besonders warmer Freund Wiens war Leopold VI. „der Glorreiche“ (1198 bis 1230), den die Wiener, wie der Chronist Enenkel erzählt, wie einen Vater liebten. Seine Fürsorge für die Stadt wird in der Überlieferung gerühmt. Mit dem Tode dieses Fürsten endete Wiens erste große Glazzeit.

Wir schließen unseren Vergleich zwischen Wiens und Berlins Anfängen mit der Feststellung: Die Berlin den Namen gebende ursprüngliche Siedlung war“ eine kleine slawische Handelsniederlassung; ein Fischerdorf dieses Namens gab es allerdings nicht, denn dieses hieß Kölln und wurde erst später dem Gebiet der Stadt Berlin einverleibt. Berlins Errichtung und Einrichtung erfolgt planmäßig über Herrscherbefehl, gleichsam ohne Vergangenheit und ohne natürliche Voraussetzungen, zu einer Zeit, als Wien auf Grund seiner Lage und natürlichen Gegebenheiten in ständigem, wenn auch öfter unterbrochenem Wachstum nach jahrhundertelangem kulturellem Wirken seine erste glanzvolle Blütezeit bereits vorüber hatte.

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