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Wiener Begegnungen und Abschiede

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Nicht von Reinhold Schneiders christlicher Geschichtsphilosophie soll hier die Rede sein, sondern von seinem Tagebuch „Winter in Wien", das wenige Monate vor seinem Tod 1958 entstanden ist.

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Nicht von Reinhold Schneiders christlicher Geschichtsphilosophie soll hier die Rede sein, sondern von seinem Tagebuch „Winter in Wien", das wenige Monate vor seinem Tod 1958 entstanden ist.

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Reinhold Schneider kommt am 5. November 1957 nach Wien und bleibt bis 6. März 1958. In dieser Zeit geht er auf den Spuren österreichischen Lebensgefühls. Hier soll nur ein Aspekt herausgehoben werden, der sich auf Dichtung und Kunst bezieht und im Gegenwärtigen Vergangenes auferstehen läßt.

Spectrum Austriae mit seiner Einheit von Menschüchkeit und Macht, Demut und Stärke erlebt er etwa im Seelendrama Grillparzers, vor allem in der Gestalt des „stiUen Kaisers" im „Bruderzwist in Habsburg". Es tut ihm femer wohl, daß Richard von Schaukai (der schon 1942 verstorben ist, mit dessen Tochter Lotte er aber in Verbindung ist) Ferdinand Raimund mit semem immer wieder wirkenden Bühnenstück „Der Alpenkönig imd der Menschenfeind" neSen Shakespeare stellt, abgesehen davon, deiß er Schaukais Werk, vor allem das lyrische, sehr hochschätzt. Nestroy, meinte er, körme man nur in Wien erleben, und das Josefistäd-ter Theater nermt er den schönsten Theaterraum Wiens.

Bei all den vielen Eindrücken läßt sich jedoch sein psychisch und physisch gequälter Zustand nicht verbergen. Verse aus Hofmannsthals „Terzinen über Ver-gänghchkeit" begleiten den lebensmüden Wanderer: „Wie kaim das sein, daß diese nahen Tage / Fort sind, für immer fort und ganz vergangen?" Aus solcher Seelenstimmung erfolgt seine „Flucht" in die Operette, die wenigstens vorübergehend seine Depressionen überspielen soll.

Auf den Spuren des Vergangenen weiß er sich auch der Verkannten und Vergessenen zu erinnern: etwa des aus Westfalen stammenden Wahlösterreichers Hans Leifhelm, dessen „Regenlied" er immer bewunderte, und dessen reife Lyrik „der böse Undank" der anderen vergessen hat. An der Außenwand der Kirche „Maria am Gestade" gedenkt er des Dichters Heinrich Suso Waldeck, dem er für seine reife Kunst nicht mehr danken kann. Er nermt ihn einen echt österreichischen Fall, einen Priesterdichter, den man „draußen" nicht hinreichend gewürdigt hat.

Ebenso bedauert er, daß er nur mehr der Witwe Josef Weinhebers sagen kann, was er „für den Dichter und Meister von ,Adel imd Untergang’ immer empfunden habe".

Es ist staunenswert, mit wievie-len schöpferischen Persönlichkeiten Schneider während dieses kurzen Wiener Aufenthaltes zusammengekommen ist Er sucht Max Meli in seinem Haus auf, er trifft sich mit Franz Theodor Csokor und Rudolf Henz im Pen-Qub in der „Linde", er kommt mit Felix Braun und dessen Schwester Käthe Braun-Prager zusammen und verbringt einen Abend bei Friedrich Heer, der „vom Ursprung kommt und getrunken hat vom Lebensquell der Stadt".

ÜTERARISCHE SPURENSUCHE

Es zieht ihn nach Rodaun, wo Hofmannsthal gelebt hat und gestorben ist, in dessen Haus nun Maria Grengg lebt, die Schriftstellerin und Maderin.,

Im Wemsteiner Schlößchen von Alfred Kubin wagt er nicht vorzusprechen, der ihm von Jugend an als Gestalter der Schrecknisse der Seele unvergeßlich ist. Unter denen, die ihm in Wien als Zeugen vergangener Zeit lebendig sind, sieht er Friedrich Funder, der, als es noch ein Reich gab, die „Reichspost" betreute, dann die FURCHE, die heute sein Erbe in neuer Form weiterträgt Beim Zusammentreffen mit Carl Zuckmayer ist Schneider erstaunt über die Hiimeigung, mit der er über die Kirche spricht. Er hält ihn finden einzigen Erben Gerhart Hauptmanns. In einem der Höfe des Allgemeinen Krankenhauses

AUgemeuien Krankenhauses besucht er Oskar Maurus Fontana, der einen schweren Herzanfall er-htten hat. Auch Alexander Ler-net-Holenia fehlt nicht in der Reihe der von ihm Besuchten, denn auch er gehört zu den trauernden Hinterbliebenen Altösterreichs. Bei all diesen Begegnungen bewahrheitet sich eine der Grundüberzeugungen Schneiders: „Verehren zu dürfen, ist für mich die schönste Gabe des Lebens".

Wiens nähere und weitere Umgebung gehören zur Physiognomie dieser Stadt. Da ist das Zisterzienserkloster Heihgenkreuz und in seiner unmittelbaren Nähe Mayerling. Hier empfmdet er den „Ursprung zum Ende, von Herrschaft zum Zerfall". Die Schüsse von Mayerling trafen ins Herz des einstigen Weltreiches. - Auf einer Fahrt mit Freunden zum Neusiedlersee fühlt er sich in der von dürrem Schilfdickicht umgebenen Steppenlandschaft „an der Grenze des Abendlandes" und versteht Lenaus Verschwdsterung mit dieser melancholischen Einsamkeit.

Das Leiden der Tiere läßt ihn die biologische Situation der Kreatur ebenso verzweifelt empfmden wie die kosmische. Und er prägt den Satz: „Der Zweifel emähxt den Glauben, der Glaube den Zweifel." Er fiihlt, daß die Menschen, die fier Trost bei ihm suchten, enttäuscht sein werden, wenn sie solches lesen. Das Problem der „Theodizee" taucht auf, die immer wieder aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung

Gottes im Hinbhck auf das Leid der Welt, im Menschen wie in jeghcher Kreatur. Immer vdeder hat dies vor allem die Denker in Philosophie und Religion beschäftigt, in jüngster Zeit besonders Theologen wie Fridolin Stier, Eugen Biser und Eugen Drewermann. Zwischen dem Himmel des Seins und dem Abgrund des Nichts befindet sich Reinhold Schneider am Ende seines Aufenthalts in der alten Donaustadt, wofür „Winter m Wien" ein erpreifendes Zeugnis ist. „Glaube leißt: Wie ein Ertrinkender um ihn kämpfen", sagt der Tübinger Alttestamentler Fridohn Stier (1902-1981) in semen Aufzeichnungen „Vielleicht ist irgendwo Tag (1981).

WIEN SEHEN - UND STERBEN

Bei Reinhold Schneider aber scheint es damals Nacht zu werden. Infolge ständiger Magen-und Darmleiden und zunehmender Fußschmerzen wird sein Gesundheitszustand immer schlechter. Im seelischen Bereich wirkt noch nach, daß er durch sein Auftreten gegen staathche Wiederbewaffnung manche Freunde verloren hat und auch in seinen eigenen Reihen, in Polemiken von Theologen, als „kryptokommuni-stisch" eingestuft worden war. Daran konnten auch Erhellungen in den letzten Jahren (Verleihung der Ehrendoktorate in Freiburg i. Br. und Münster, Zuerkeimung des „Friedenspreises des deutschen Buchhandels" zwei Jahre vor seinem Tod) nichts mehr ändem. Beim Verlassen Wiens weiß er, daß es ein endgültiger Abschied war: „… Scheiden endhch. Scheiden ist der Tod" heißt es in Goethes Versen „An Werther" m der „Trilogie der Leidenschaft".

Reinhold Sdmeider stirbt am 6. April 1958 in Freiburg im Breisgau. Über sein Leben und Wirken ist viel geschrieben und diskutiert worden, am treffendsten wohl von Eugen Biser, wenn er über Schneiders letztes Werk sagt: „Es ist das Dokument eines aus innerster Redhchkeit bezeugten Glaubensentzugs, der Fragmentierung eines Glaubens, der che Hoffnung verhert, ohne aufzuhören, Glaube

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