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Wiener Geschmack, Wiener Form

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Steuerte Beziehung nur zu handgefertigten Gegenständen herzustellen ist — aber bei diesen ist es eben leichter. Es gibt aber auch Grenzgebiete aus der Serienproduktion — wie die wunderbaren Kristallgläser, die besonders bei uns zu Hause sind —, wo das edle Material und die sorgfältige Verarbeitung dieselbe Wirkung erzielen, und sie läßt sich auch feststellen, wo es sich um ausgesprochene Serienprodukte, diese aber von hoher Qualität, handelt.

So wie die kleinen Dinge eigentlich die Kultur des Wohnens ausmachen, sind es die kleinen Dinge im modischen Bereich — die „Acessoires“ —. die dort Kultur im äußeren Erscheinungsbild kennzeichnen.

Es muß nicht gerade der Maßanzug sein und auch nicht das Schneiderkostüm, obwohl beides sicherlich besonders dazu geeignet ist, sondern Handtasche, Handschuhe, ein besonders schön gearbeitetes Schmuckstück oder auch geschmackvoller Modeschmuck und unzählige Kleinigkeiten mehr, wie sie die Frauen seit urdenklichen Zeiten benützen, um ihre Persönlichkeit wirkungsvoll zu unterstreichen.

Der „Wiener Geschmack“ hat auf diesem Gebiet einen traditionellen Ruf zu verteidigen, und es ist in den letzten Jahren viel darüber debattiert worden, ob dieser gute Ruf noch zu Recht besteht. Wie überall, sind die Wiener hier vielleicht siCh selbst gegenüber kritischer als andere. Daß der Fremdenverkehr und die Fremdenverkehrsindustrie vor allem auf dem Gebiet des Souvenirs Auswüchse und Entgleisungen mit siCh gebracht haben, ist eine natürliche Erscheinung, von der keine Stadt der Welt verschont bleibt. Wer aber mit offenen Augen durch unsere Straßen geht, kann sehr viel wirklich schöne und gut gestaltete Dinge finden, besonders wenn er nicht gerade darauf besteht, den Aufdruck „Wien“ in Goldlettern zur Erinnerung mitzunehmen. Diese „Mitbringsel“ von Reisen sind wegen ihrer starken emotionellen Beziehung besonders anfällig für Kitsch und Gewinnspekulation. Aber letzten Endes entscheidet ja nicht nur das Angebot, das international gesehen eben einen breiten Spielraum zwischen gut und schlecht läßt, sondern der Geschmack dessen, der wählt. Vielleicht sollten wir auch nicht so sehr darauf aus sein, überall eine „Wiener Note“ bewußt suchen zu wollen. Es

zeigt siCh, immer wieder, daß Ausländer dies

spezifische Eigenart viel sicherer erkennen als wir selbst, und auch dort, wo gar keine Mühe darauf verwendet wurde, etwas typisch Wienerisches — sei es nun mit barockem Schwung oder mit einer gewissen mißverstandenen Verspieltheit — anzubringen, sondern wo einfach Qualität geboten wurde. Gerade im Handwerk zeigt es sich, daß bestimmte Methoden der Verarbeitung so charakteristisch sind, daß sie ganz von selbst das Herkunftsland bezeichnen. Und entscheidend sollte letztlich die Tatsache sein, daß man sich guten Gewissens sagen kann: Ich habe diese Vase oder diese Lederhandtasche oder diese Emailschale aus Wien mitgebracht, weil ich sie so schön gefunden habe, und deswegen erinnert sie mich immer an die glückliche Zeit, die ich dort verbrachte.

Die kleinen Dinge sind aber nicht nur besonders geeignet, um einem selbst Freude zu bereiten, sondern auch anderen, also zum Schenken. Dabei gilt es, die schwierige Aufgabe zu bewältigen, den eigenen Geschmack mit dem des zu Beschenkenden übereinzustimmen. Dafür macht es aber auch viel mehr Freude, etwas zu schenken, bei dem man zugleich beweisen kann, daß es nicht auf die ausgegebene Geldsumme ankommt, sondern auf die echte Freude des Schenkens. Und zugleich ist ein geschmackvolles und richtig ausgewähltes Geschenk auch ein Kompliment für den, der es erhalten soll. Freilich gehören dazu nicht nur Liebe und Einfühlungsvermögen, sondern auch ein bißchen Zeit — aber nicht umsonst wird immer wieder behauptet, daß der Mangel an Zeit der ärgste Feind der echten Lebenskultur ist

Je gehetzter, nüchterner und je mehr automatisiert unser Alltag wird, desto mehr werden die kleinen Dinge unseres persönlichen Gebrauches eine Zufluchtstätte für Schönheit, Geschmack und Besinnung auf das eigene Ich. Um so größer aber auch ist die Verantwortung jener, die an diesen Dingen arbeiten, die sie herstellen und die sie verkaufen. Die Erziehung zu gutem Geschmack — und eine Erziehung in dieser Richtung ist durchaus möglich — geschieht in erster Linie durch das gute Beispiel. Und dieses Beispiel verpflichtet, besonders dann, wenn es überdies die Visitenkarte österreichischen Könnens und österreichischer Kultur ist.

Ausstellungen zur Festwochenzeit sind nichts Ungewöhnliches — und solche, die nicht nur das Wiener Publikum ansprechen, sondern auch ausländische Besucher, erst recht nicht. Also nicht die Tatsache, daß vom Wirtschaftsförderungsinstitut der Wiener Kammer der Gewerblichen Wirtschaft in der neuadaptierten Halle E des Messepalastes (Winterreitschule) eine Ausstellung veranstaltet wurde, verdient besonders betont zu werden, sondern das Thema, das sich die Veranstalter gestellt haben. Wiener Geschmack und Wiener Form sind — leider — Schlagworte geworden, die fast so oft mißbraucht wie gebraucht werden. Und es ist

den Verantwortlichen nicht hoch genug anzurechnen, daß sie, allen vermeintlichen Geschäftsinteressen zum Trotz, auf einem so heiklen Gebiet so konsequent die Linie des bestmöglichen Niveaus gehalten haben.

Einerseits wurde diese Linie bereits durch die Gestaltung der Ausstellung durch die Architekten Josef Krawina und Walter Schneider angeschlagen: Die hauptsächlich auf Materialwirkung (Holz, Stein, Glas) abgestimmte Einrichtung entspricht zwar nicht dem herkömmlichen Begriff des Wienerischen (auch nicht in seiner besten Spielform), aber die Strenge und Einfachheit wirkt gewissermaßen auf die ausgestellten Objekte zurück

und bringt die handwerkliche Form zu gesteigerter Wirkung und dort, wo es sich um Modisches handelt, einen reizvollen Gegensatz. Anderseits aber ist die strenge Auswahl der Gegenstände eine Leistung, die jeder würdigen wird, der das Angebot auf dem Gebiet der sogenannten „Geschmacksindustrie“ kennt. Man hört von einer erbarmungslosen Jury; das Resultat ist jedenfalls durchaus positiv. Was gezeigt wird, ist nicht durchweg neu, sensationell oder überragend, aber es ist, von ganz wenigen geschickt kaschierten Ausnahmen abgesehen, gut. Wie sich denn überhaupt erweist, daß Wiener Geschmack und Wiener Form nicht mit Extravaganz gleichzusetzen ist, sondern sich viel eher in solider Werktreue und sauberer Arbeit manifestiert; Eigenschaften, deren wir uns gewiß nicht zu schämen brauchen. Verrücktheiten müssen und können wir eben Paris oder anderen Städten überlassen.

Die Sonderschau des österreichischen Werkbundes zeigt die gleichen Eigenschaften um einige Grade verfeinert, individueller abgewandelt, und bildet so eine eigene Gruppe, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Als Kristallisationspunkte für neue Ideen und Techniken zeichnen sich einerseits die Akademie für Angewandte Kunst — besonders die Meisterklasse für Mode und Textil und die für Metallarbeiten — und anderseits. die Modeschule der Stadt Wien (Hetzendorf) ab.

Die Exponate reichen von Einrichtungsgegenständen aus Holz, Glas, Metall, von Leuchten und Textilien über Bekleidung und Schuhwerk bis zu Hüten, Handtaschen, Modeaccessoires, zu Schmuck und Knöpfen. Besonders hervorzuheben ist die Keramik, wo Wien einige wirklich überdurchschnittliche Begabungen aufzuweisen hat, dann natürlich die traditionellen Glashüttenerzeugnisse und

Druck- und Webstoffe, die zu Unrecht bei uns immer übersehen werden. Auf dem Gebiet des Modischen schießen die Hüte den Vogel ab — allerdings gehen sie weit über das hinaus, was die Wienerin zu tragen wagt. Echter und unechter Schmuck wetteifern miteinander, durchaus nicht immer zum Schaden des letzteren; auch einige Glassteinarbeiten sind beachtenswert. Sicherlich gäbe es noch manche

Dinge, die hier nicht gezeigt werden — aber die Ausstellung soll ja jährlich wiederholt werden, und im nächsten Jahr wird vielleicht das Interesse der Aussteller selbst schon lebendiger sein.

Alles in allem: Hier wurde versucht, den vorwiegend musikalischen Attraktionen der Festwochen einen visuellen Akzent gegenüberzustellen und den Fremden zu zeigen, daß sie auf der Suche nach Souvenirs keineswegs auf Kitsch oder Mittelmaß angewiesen sind. Bleibt nur zu hoffen, daß sich die Besucher durch die zahlreichen Baugruben unserer Zweierlinie nicht abhalten lassen und tatsächlich dort ihre Anregungen holen.

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