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Wiener Kaffeelehre

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Vor etwa dreißig Jahren brachte der „Manchester Guardian" einen liebenswürdigen Bericht über die Reize Wiens für einen reisenden Engländer. Darin hieß es unter anderem: Wenn England Wien wirklich kennen lernen will, so muß es eine eigene Kommission dorthin schicken, um den Kult des Kaffees zu studieren und die Mannigfaltigkeit seiner Zusammensetzung. Keinem Engländer fiele es ein, in einem Zigarrenladen einfach „Tabak" au verlangen. Ebenso bestelle ein Wiener nicht schlechthin „Kaffee": sein Auftrag ist immer differenziert, und man unterscheidet dabai aaZ das feinste.

Diese Entdeckung eines Fremden, der au dem Lande ohne Cafe, nämlich ohne Kaffeehaus, kam, weckte „in des Autors Seele jäh die Erinnerung auf" an eine Zeit, wo jene Unterscheidung noch viel mehr verfeinert war. Die Gedanken eines Wieners, der den Kaffee — natürlich den dunklen — als wichtigsten Arbeitsbehelf zu schätzen weiß, hatten längst ein System der Kaffeehaus-Bestellung registriert, das vielleicht vor der Aufnahme in ein offizielles Handbuch für Fremde nur mehr der Überprüfung durch Fachleute, Marköre sowohl als Mathematiker bedarf.

Welche Weiten spannten sich zwischen der Bestellung der Gedankenlosen, die der Kellner gerechtermaßen als „einen Lauf" (wie es läuft) in die Küche weitergab, und den höchst subjektiven Wünschen des Kenners und Liebhabers, der im Stammlokal, wie der Rindfleisch-Gourmet, persönlich ausgerufen wurde: „Den Kaffee für’n Herrn Löffler!"

Der Wiener unterschied, sobald er aus dem Haus war (denn die Köchin daheim kannte seinen Geschmack oder vernachlässigte ihn bewußt), im Cafe das edle Naß nach mehreren Kategorien:

1. das Gefäß Je nach Materfad, Form wrtd Größe;

t. die Mischung von Kaffee und Milch;

i. die Klarheit der Mischung;

4. den Zusatz von Zucker,

5. die Beigabe von Schlagobers;

6. den Wärmegrad.

Und nun vergegenwärtigen wir uns die Abarten dieser wienerischen Art oder Unart, ins Cafe Kaffee zu verlangen.

Gefäß: Eine Portion Kaffee, in allen deutschen Landen beliebt (wobei aber nach Norden hin die schwarze Kanne größer wird als die weiße). Ein Glas Kaffee, der eigentliche „Lauf", also die normale Art. Eine Teeschale Kaffee (die kein Gegenstück in einer Kaffeeschale Tee hat). Die Schale Schwarz und die Schale Gold, eine nicht nur farbige Unterscheidung innerhalb der letzten Kategorie. Der „Pikkolo", noch verkleinert „Pick" ge-

fitnnt. Und endlich die „Nuß Kaffee“, In n u c e dennoch alles umfassend.

Mischung: Der Schwarze, meist nur mit einem Stück Zucker garniert, in der dicken Kaffeeschale auch „Mokka" genannt (was mit der Bohnensorte nichts zu tun hat). Der „Kapuziner”, liebevoll „Kapo" gerufen, manchmal selbst „im Glas mit Schlag" begehrt. „Fiaker", ein Glas schwarzen Kaffees mit Schlagobers, der aber in kaltem Zustand „Einspänner" genannt wird. Der „Gold", mehr poetisch benannt, der „Braune" mehr vulgär. Die populäre „Melange" oder der „Weiße", stets mit zwei Stück Würfelzucker serviert (ausgenommen die kalte Melange), kann „mehr braun" oder „mehr weiß" verlangt werden; seltener hört man „sehr licht" oder „hell"; niemals „mehr licht", was nur in Alt-Weimar üblich gewesen zu sein scheint. Ein „Obers g’spritzt" ist das äußerste Ende der Kette, wo man in Deutschland „Kaffee verkehrt" zu sagen pflegte, was aber schon zu Schuberts Zeit in Wien gebräuchlich war. Ein „Schwarzer g’spritzt" (in der Vorstadt „Ultimo" genannt) gehört wieder in eine andere Reihe: hier ist nicht mehr fromme Denkungsart im Spiele, sondern eitler Rum. Daß man auch ein Glas Milch und ein Glas Obers bestellen kann, findet der echte Kaffee- hausgast deplaciert und verweist solche Gelüste in die „Meierei".

Klarheit: Mit Haut, ohne Haut, oder passiert (geseiht würde der Ausländsdeutsche sagen). Wem die Milchflocken von Bedeutung sind, der bestellt geradezu „eine Schale Haut". Aber das Häutchen, das eine abgestandene Mischung bedeckt, war „unbeliebt in den meisten Fällen".

Zucker: Ein oder zwei Würfel waren je nach Größe des Gefäßes üblich. Den dritten mußte man meist besonders verlangen: „noch einen Zucker"; erst recht „eine Portion Zucker" Staubzucker wird gewöhnlich zu kaltem Kaffee serviert, manchmal auch für den Schlagobersgupf (Häubchen), wenn er nicht schon in der Küche eigens „eingestaubt" worden ist. Anfänger drücken den Würfelzucker durch den Gupf gleich in den Kaffee, und reinigen nachher Tisch und Hose.

Schlagobers: Wem die Beimengung von Obersmilch (Rahm oder Sahne) nicht genügt, der verlangt: „mit Schlag" (Schlagsahne), was sich aber nach den mageren Kriegsjahren mit ihren Milchkarten bei jedem ..Lauf" von selbst versteht. Wer den Ueber- fluß dieser Leckerei abwehren will, sagt: „ohne Schlag". Damen begehren oft „Doppelschlag" (was nichts mit Klavierspiel zu tun hat), solche ohne Bedacht auf ihre Linie auch wohl „eine Portion Schlag" (siehe Meierei). Im Sommer wird der „Schlag" jetzt oft in eigenen Gläsern serviert, damit man ihn nach Bedarf aufschöpfen kann und nicht auf einmal vorweg essen muß.

Wärmegrad: Die normale Temperatur genügt nicht jedem. Mancher will den Kaffee „heiß" wie die Suppe. Ein anderer bevorzugt

„kalt oder doch „mit kalter Milch“. Schlemmer wünschen die Schale „ausgehitzt", das ist mit heißem Wasser gespült.

In der guten alten Zeit war die „Melange" gewöhnlich ein Glas, und nur auf besonderen Wunsch eine Teeschale. Der „Türkische", mit gekochtem Zucker, wurde in Wien nur selten verlangt. Er war zu zeitraubend und dickflüssig. Wenn er sich zwischen den beiden großen Kriegen, sogar „mit Schlag", mehr und mehr eingebürgert hat, so hängt das mit der Demoralisierung der Kaffeehausküche zusammen, die in Deutschland damals den „Mokka extra" oder „Doppelmokka" (auch „Mocca double") gezeitigt hat. Das war ungefähr die Güte eines echten, auch mit erlaubtem Zusatz (Feigenkaffee) gefärbten, gedickten Kaffees. „Doppelkaffee" nannte man um 1800 in Wien eine bessere Sorte. In neuerer Zeit sprach man im Handel leider schon von einer eigenen Kaffeehausmischung. Man versicherte uns um 1920, daß die besten Kaffeesorten längst nicht mehr nach Wien, sondern nach Leipzig gingen; in einen Himmelsstrich also, wo es einst „nicht die Bohne" gab, oder doch nur angenagelt an einem Brett, über das das Durstgetränk für die Familie und den Tag gegossen wurde, um in der Meißener Schale das Blümchen auf dem Grunde sichtbar werden zu lassen. Wo freilich noch „Familien Kaffe kochen dürfen", im alten Grünewald etwa, bediente man sich nach wie vor eines Kochtopfes, um die Bohnen unschädlich zu machen. Sonst aber boten die deutschen Gaststätten besserer Art schon unter obigen Bezeichnungen wirklichen Kaffee. Der Vorübergehende „Anschluß" Oesterreichs hat leider auch nicht bewirkt, daß in Deutschland der Kaffee richtiger geschätzt und betont wird; denn Mokka war dort natürlich nur ein Verlegenheitswort für einen guten Kaffee, der unaussprechlich blieb. (Auch das alte Lied „Kaffe, Kaffe, Kiffe, Kiffe — Kaffe ist mein Ideal" wzar ja nur „im Norden zu singen".)

Seitdem der „Espresso“, auf italienischen Maschinen zubereitet, so beliebt geworden ist, jener starke Extrakt, von dem es nur fünf Typen gibt (Mokka, Doppelmokka, schwarz und braun und der verdickte „Kurze"), ist es einfacher geworden, in Wien Kaffee Zu bestellen. Aber die Zubereitung und Verabreichung des gewöhnlichen Getränks ist in den größten Cafes beibehalten worden, meist neben dem „Espresso". Nur die Zahl der üblichen Spielarten hat sich verringert.

Der Elemente des Wiener Kaffees gab es mehr als in Schillers Punschrezept. Und sie ließen sich eigentlich unzählige Male variieren. Das heißt: man konnte das natürlich errechnen, wenn man es noch nicht verlernt hattte. Die sechs Elemente waren drei- bis sechsfach vorhanden, und das konnte unter Theoretikern mehr als fünftausend Fälle ergeben. Aber der Mathematiker sollte diese Rechnung nicht ohne den Markör machen, der in Zweifelsfällen ja doch in die Küche rief: „Einen Lauf!"

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