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Wiener Theater

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Es hat in den letzten Wochen manche Erstaufführungen gegeben, aber wenige Theaterereignisse. Das Burgtheater brachte im Redoutensaal Goldonis „Diener zweier Herre n“, nach dem Regiebuch Max Reinhardts und mit Hermann Thimig als Truffaldino, heraus, ein Stück ursprüngliches Theater, das uns verstehen läßt, wieso Goldoni viele Jahrzehnte hindurch der Liebling des theresianischen und josephinischen Wien sein konnte. Der „Diener zweier Herren“ hat nicht die Bedeutung des „Lügners“ etwa, in dem vor einem Jahrzehnt Hermann Thimig in der Burg einen seiner größten und verdientesten Erfolge errang. Aber es gibt wenige Komödien, in denen man so von Herzen lachen kann, wie im „Diener zweier Herren“, der übrigens in manchen Nebenrollen doch Typen andeutet, die auch durch dieses harmlose Spiel den großen Komödiendichter Goldoni ahnen lassen. Die geschmackvoll inszenierte. Aufführung zeigte im übrigen das hohe Niveau der Ensemblekunst des Burgtheaters.

Was boten sonst die Wiener Bühnen? Des Wieners Hrastnik Szenenfolge um van Gogh „D er Maler Vincent“ im Studio der Josefstadt kann zwar nicht ein Drama genannt werden, sie läßt aber die verzehrende Glut eines Künstlerdaseins spürbar werden; ein Leben, das sich selbst verzehrte und in dem Güte und egoistische Maßlosigkeit die Pole einer Existenz von gewaltiger Tiefe waren, hat Hrastnik in seinem van Gogh-Stück, zumindest in einigen Szenen, mit unleugbarer Begabung zu skizzieren verstanden. — Im Volkstheater lernten die Wiener des jungen, 36jährigen Franzosen Jean Anouilh „Das Mädchen Therese“ (La sauvage) kennen — ein durch die Idee fesselndes Thema, das aber durchaus nicht ausgeschöpft wird. Es werden zwar manche tiefe psychologische Probleme berührt, dennoch hinterläßt das Stück einen unbefriedigenden Eindruck. Es gibt kein Happy end, aber auch keine läuternde Tragik. Fehlt doch die • innere Notwendigkeit, und als Milieudrama ist das Stück geradezu quälend.

Eine große Enttäuschung darf Bert Brechts „Der gute Mensch vonSezuan“ genannt werden. Brecht ist wohl ein Dichter, einige Szenen verraten den großen Könner, aber als Ganzes ist diese Parabel vom guten Menschen mißlungen und fast so negativ zu beurteilen wie Weigels „Ba-/abbas“. Ein ungläubiger, mit seinem Skeptizismus kokettierender Intellektueller kann das Problem nicht meistern, daß die schrankenlose Güte stets Schiffbruch leiden muß und die Welt ohne das Eingreifen des harten Egoismus aus den Fugen geriete. Geschmacklos die Einführung der drei Götter in das Spiel, deren Erscheinen auf der Bühne vom Publikum auch mit ironischem Lächeln und Kopfschütteln begrüßt wird. Würde nicht Frau Paula Wessely ihre große schlichte Kunst in der Doppelrolle.der Dirne Shen Te und ihres Vetters zeigen und durch ihre Menschlichkeit erschüttern, wäre das Stück unmöglich.

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Aber ein aufrüttelndes Theatererlebnis hat es in den letzten Wochen doch gegeben: Werfeis letztes Werk „Jacobowsky und der Obers t“, von Hans Jungbauer in den Kammerspielen inszeniert, ein erschütterndes Dokument der Existenzkrise

des Abendlandes in unseren Tagen. Werfel ist einer jener im besten Sinne konservativen österreichischen Juden gewesen, die tief im deutschen Kulturkreis wurzelten und auch in der Emigration ihr österreichisches Vaterland nicht vergaßen. /Diese Komödie einer Tragödie, wie Werfel sein Kriegsstück, „Jacobowsky und der Oberst“, nennt, ist

getragen von jenem Geiste nobler Gerechtigkeit, der nötig ist, um das furchtbare Geschehen der letzten Jahre sinnvoll in die Lebenserfahrungen unserer Generation einzuordnen. Der in Deutschland aufgewachsene Jude Jacobowsky aus Polen, der immer wieder zu fliehen genötigt ist, der Mensch eines unbewußten Heroismus der Daseinsmeisterung, skeptisch allem Geschehen gegenüber, intellektuell und gütig zugleich —• und der polnische Oberst und Aristokrat Tadeusz Boleslav Stjerbinsky, jeder Zoll ein Feudalherr, stoßen aufeinander in den Pariser Schreckenstagen von 1940; Gegensätze, einer dem anderen fremd, der Offizier den Juden instinktiv ablehnend, bis die Tragikomödie ihrer gemeinsamen Flucht vor dem Nationalsozialismus sie zusammenführt in der Erkenntnis, daß die Geringschätzung des Lebens und des Todes sie beide eint. Die Atmosphäre des Beginnes des zweiten Weltkrieges wird unheimlich lebendig in ihrer atemberaubenden Dynamik. Karl S k r a u p als Jacobowsky und Hans Jungbauer als Oberst Stjerbinsky erweisen sich als ganz große Darsteller, wie sie wenige Bühnen aufzuweisen haben. Skraup hat diesmal gezeigt, daß er mehr als ein sehr guter Komiker ist,

es gab Augenblicke, da er in Stimme und Gestik an Moissi erinnerte.

Die Woche vor Ostern hat zwei Erstaufführungen von hohem literarischen Niveau gebracht: im Burgtheater nach langen Vorbereitungen und Überwindung mancher Schwierigkeiten des Klassikers der russischen Komödie Gribojedow „V e r-stand schafft Leide n“, ein unvergängliches Kleinod der dramatischen Weltliteratur, mit dessen Einfügung in seinen Spielplan das Burgtheater einen bedeutsamen Schritt in seiner Pflege der St.mmen d?i Völker im Drama getan hat; und in der

„Insel“ August Strindbergs Kammer.piel „Ostern“ (Regie Leon Eppi. Gribojedows Komödie ist eine großartige Vorwegnahme der schweren seelischen! Erschütterungen, die Rußland im 19. Jahrhundert durchmachen •mußte, darüber hinaus aber eine der erschütterndsten Tragikomödien seelischer Vereinsamung in der europäischen Literatur, ein Werk, in dem die Probleme des öffentlichen und die Geheimnisse des privaten Daseins den Menschen in seiner Qual aufschreien und dann verstummen lassen. In Strindbergs „Ostern“ aber leuchtet der Glaube auf, daß die Menschen trotz aller Gespenster und Dämonen zueinander zu finden vermögen in Liebe und Güte.

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