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Winter im sonnigen Süden

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Über die Flucht in die Wärme - und warum sie auch keine Lösung ist. Eine Erzählung.

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Über die Flucht in die Wärme - und warum sie auch keine Lösung ist. Eine Erzählung.

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Wenn ich einen Feind hätte, dann würde ich ihm einen Winter in Spanien wünschen. Aber ich selbst bin wohl mein ärgster Feind, denn mich trifft dieser Schicksalsschlag alle Jahre.

Das geht so: An einem linden Oktoberabend sitzt man in Hemdärmeln und bei offenem Fenster vor der Schreibmaschine und arbeitet. Plötzlich weht ein eisiger Lufthauch ins Zimmer, so frisch und feucht und klamm, wie er eben von den Wassern der Biskaya an Land gesprungen ist. Man erschauert, tritt ans Fenster, spürt, wie die Kaltluftmassen draußen nur so vorbeirieseln, ins Land hinein und zu den Bergen hinauf, und weiß, der Winter ist da.

Damit sind die Nächte, da man bei geöffnetem Fenster schreiben kann, für sechs Monate vorbei, man zieht sich Pullover und Jackett an, legt sich den dicken Wollschal um, jenes unentbehrliche Requisit jedes Kontinentalklima-Binnenländers, den das Leben an einen Meeresstrand verschlagen hat, und versucht, sein Pensum zu beenden.

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Das Märchen vom ewig sonnigen Süden haben phantasielose Ausländer, die das Land nur in den Sommermonaten besuchen und nun glauben, so wie sie es da erlebten, müsse es das ganze Jahr über sein, mit solch hartnäckiger Gehässigkeit besungen, daß selbst die Spanier sich angewöhnt haben, daran zu glauben. Weshalb sie ihre Häuser so luftig bauen, als ginge der Aequator durch Burgos.

Die meisten Mietshäuser bei uns haben weder Kachelöfen noch andere Heizanlagen, außer dem Küchenofen. Der Schornstein geht an der äußersten Hauswand hoch, so daß man auch nachträglich kaum einen Ofen in die Wohnzimmer bauen kann, es sei denn, man wolle sich die Decken durch ein kompliziertes Rohrsystem verschandeln, was außerdem sehr problematisch ist. Erstens werden die Räume heutzutage viel niedriger gebaut als zum Beispiel vor vierzig Jahren, zweitens sind die Trennwände, Decken und Fußböden aus so dünnem, nicht feuerbeständigem Material, daß ein eiserner Ofen und seine Rohre es eines Tages zum Brennen bringen könnten, vor allem, wenn man mit Koks heizen muß wie ich, der ich ihn als Deputat erhalte. Liegt die Küche auf der Windseite, dann ist alles gut, die Wärme des Küchenofens wird vom Luftzug leicht durch die ganze Wohnung verteilt. Unsere Küche aber liegt auf der Südseite. Vom Norden, vom Meer her, peitschen die Winde der Biskaya gegen die Hauswand, dringen durch alle Fugen und pressen die Warmluft des Küchenofens in der Küche zusammen. Vier Zimmer bleiben in Eiskeller verwandelt, denn das Märchen vom ewig sonnigen Süden hat es auch zuwege gebracht, die Spanier davon zu überzeugen, daß Doppelfenster in ihrem Land überflüssig sind.

Nur in Häusern mit unerschwinglich hoher Miete gibt es Zentralheizung, aber ich bin nicht neidisch auf ihre Bewohner. Wenn die Zentralheizung überhaupt funktioniert, tut sie das nur zeitweise und erwärmt nur theoretisch die Hand, die man auf den Heizkörper legt und genügend lange draufhält. Wirklich winterfeste Wohnungen haben hier nur sehr wohlhabende Bewohner, die sich, mit womöglich samt einem Baumeister aus dem Ausland besorgten Bauplänen und Material, ein Haus nach eigenen Ideen hinbauen können.

Nie hab ich mich mit der althergebrachten spanischen Heizvorrichtung, der „braseros“, befreunden können. Es sind Kupferbecken, die, mit einem nicht qualmenden Brennmaterial gefüllt, unter einen runden Tisch gestellt werden, der besonders dafür konstruiert ist, den „braseros“ Halt zu geben. Damit die Wärme nicht verlorengehe, reicht das ebenfalls besonders zugeschnittene Tischtuch bis auf den Boden. Durch die Schlitze steckt man die Beine auf den Holz-, bord unterm Tisch — und ist so bis in die Gesäßgegend warm, während einem das Rheuma in den kalten Schultern rumort. Wo aber wird eine fünfköpfige Familie jeden Abend steif u;n einen runden Tisch sitzen wollen, der jede Bewegungsfreiheit hindert?

So wird die Küche für Frau und Kinder zum winterlichen Daueraufenthalt, und 'nur zum Schlafen suchen sie das feuchtigkeitsklamme, frostige Schlafzimmer auf, in dem die Gardinen sich blähen, denn draußen rast wieder einmal ein Sturm mit Windstärke 12. In einem Haus in so unmittelbarer Nähe des Meeres kommt man sich manchmal wie auf einem Schiff vor, das, eingehüllt in Regenböen und tiefhängende graubraune Wolken, dem Sturm trotzt. Jahrelang hielt ich es nun so, den Winter über nur nachts zu arbeiten, wenn Frau und Kinder schliefen.

Dann schaffte ich Schreibmaschine und Papierkram in die Küche, brachte den Ofen auf Hochtouren, daß die Platte glühte, stellte den heißen Tee in Reichweite und hieb in die Tasten.

Das war aber auch nicht das Richtige. Jedesmal, wenn ich etwas im Lexikon nachschlagen oder aus Stößen alter Zeitungen, Zettelsammlungen und Nachrichtendiensten heraussuchen wollte oder wenn das Telephon klingelte, mußte ich heraus aus der Küche, den Flur hindurch, um die Ecke ins Arbeitszimmer, wobei ich mir im Vorbeigehen wieder den Wollschal vom Garderobeständer griff, denn schon der bloße Anblick der feuchtigkeitsdurchtränkten Außenwand meines Zimmers machte mich niesen. Oft war es unerläßlich, daß ich inmitten meiner Bücher und Zeitungsberge blieb. Der Atem löste sich mir sichtbar vom Munde, die Finger wurden steif — mit Handschuhen Schreibmaschine zu schreiben, habe ich noch nicht gelernt. Manchmal mußte ich lachen: ich stellte mir meine Leser vor, die in Wien, Zürich, München, Amsterdam, zuweilen auch in New York, sich meine Artikel zu Gemüte führen; womöglich haben sie grad einen erfolgreichen Tag beendet, ein vielversprechendes Geschäft zu gutem Abschluß gebracht; sie haben im wohlgeheizten Eßzimmer zu Abend gespeist, entzünden nun eine gute Havanna und machen es sich im Klubsessel am Kamin bequem, um in ihrem Leib- und Magenblatt unter anderem auch den Artikel des Spanienkorrespondenten zu lesen. Ob sie sich wohl vorstellen können, unter welchen Umständen der Verfasser, frierend und niesend, verfälschten, wenn auch teuren Tee schlürfend, mit Todesverachtung den spanischen Tabak (Marke Lungenspalter) qualmend, seine mehr oder weniger tiefschürfenden Manuskripte schrieb?

Erst vor kurzem habe ich mir einen elektrischen Radiator angeschafft. Das hätte ich schon lange tun können, schließlich stehen die Dinger überall in den spanischen Wohnungen. Komm aber einer gegen das Trägheitsgesetz an! Wenn man aus der Jugendzeit, vom Elternhaus her, den soliden Kachelofen gewöhnt war, aus dem die Wärme nicht nur strahlte, sondern aus dem man sie auch hörte, im Knistern der Holzscheite, im Lodern der Flammen aus guter mährischer Kohle, dann'zieht man es eher vor, zu frieren, als sich solch einen neumodischen elektrischen Apparat anzuschaffen, der manchmal so ekelhaft summt, daß man sich in einer Montagewerkstatt wähnt und natürlich keinen vernünftigen Gedanken fassen kann. Diesmal aber hatte mich eine üble Nierengeschichte für drei Wochen aufs Krankenlager gewirbelt, und damit sich das nicht wiederholte, kaufte ich den Radiator.

Erst brannte der Heizapparat sämtliche Widerstände durch, aber seit ein Elektriker die Sache in Ordnung brachte, funktioniert er — vorläufig — und steht neben mir, seitlich zwischen Stuhl und Fenster, wo wie ein Dolch die scharfe Biskayaluft durch die schlechtschließenden Fugen hereinsprüht. Die Wärmeströme des Radiators lenken die Kaltluft ab, aber sie erwärmen nur die direkt bestrahlte Seite meines Körpers. Das Rheuma verkriecht sich diskret in eine unbestrahlte Knochenpartie.

Es ist unglaublich, welche Kälte die Spanier, an den Nordküsten zumindest, jeden Winter vertragen. Bei 5 bis 10 Grad in der Wohnung denkt überhaupt niemand daran, ejne Heizung anzuschalten. Wer einen Wollschal auf der Straße trägt, dokumentiert sich damit zweifelsfrei als Ausländer aus nördlicher liegenden Ländern. Bei null Grad und weniger laufen die Kinder mit heruntergerollten Wadenstrümpferln im Freien einher, und in verschneiten Gebirgs-ortschaften kann man zuweilen barfüßige sehen — da allerdings aus Not.

Wenn ich oft kälteklappernd aus meinem, durch den Radiator nur notdürftig erwärmten Arbeitszimmer in die Küche komme, mich zu wärmen, schwärme ich sehnsüchtig von jenen russischen Bauernhäusern, die uns während des Krieges mit ihren soliden, die halbe Wohnküche füllenden Oefen eine so warme und anheimelnde Bleibe boten, daß wir mit Trainingsanzügen schon zu warm gekleidet waren. Es ist schon so, nirgendwo friert man in Europa im Winter so erbärmlich wie in Spanien und Italien.

Im Sommer aber kommen Freunde, Neffen und Nichten aus Oesterreich zu Besuch, ahlen sich am Strand in der Sonne und schreiben lyrische Gedichte oder wonnetrunkene Briefe über den herrlichen Süden mit seiner strahlenden Sonne am „ewig blauen“ Himmel.

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