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Die Zeit ist ein sonderbar Ding in den Gedichten von Ulla Hahn und Kurt Marti.

Die Lyrik von Ulla Hahn und Kurt Marti nebeneinander zu stellen, mag auf den ersten Blick verwundern und verdankt sich eigentlich auch dem Zufall. Doch nach der Lektüre ihrer Gedichte ergeben sich überraschende Verbindungen, nicht nur im Hinblick auf die Lakonie mancher lyrischer (Natur)bilder, sondern vor allem durch die Thematik der Zeit, der Vergänglichkeit und des Alterns, die diese Gedichte mitunter einen elegischen bis melancholischen Ton anschlagen lässt.

Wenn Ulla Hahn die bekannten Worte der Marschallin "Die Zeit ist ein sonderbar Ding ..." aus dem "Rosenkavalier" als Motto für ihren neuen Gedichtband wählt, so gibt sie den Lesern gleichsam die existentielle Erfahrung der Zeitlichkeit auf den Weg der Lektüre mit. Doch kapituliert die Autorin keineswegs vor dieser Erfahrung, sondern macht sie poetisch produktiv, im Wissen, dass es keinen Weg zurück, sondern nur den nach vorne gibt, im Horizont der "gestundeten Zeit", wie bei Ingeborg Bachmann: "Pack alles zusammen was du tragen kannst: / Es ist wichtig / der sinkenden Sonne entgegenzugehen / sich abzuwenden von allen / mit kalten Augen." ("Schreiben I"). Wenn Ulla Hahn in den vier Zyklen dieses Bandes die vertrauten Themen ihrer Lyrik neu gestaltet - die Natur, die Liebe, die Kindheit und immer wieder die Poesie selbst -, so tut sie das einerseits mit einem ungebrochenen Vertrauen in den "Gebrauchswert" der Dichtung ("Mit Dichtung mußt du was an / fangen können") quasi als Lebenselexier, andererseits in "erdnahen Schuhen", der Abstürze des Rilkeschen Engels gewärtig, ja im Schlussgedicht sogar mit einer apokalyptischen Vision, wenn "Dichtung" im religiösen Sinne als "Seelenstimme des Menschengeschlechts" vernommen wird, in der "die Namen Gottes aufgehen / in Schall und Rauch ... und im Grunde - wie vor allem Anfang - sogar das Wort" ("Dichtung").

Notwendig und nutzlos

Aber es wäre nicht Ulla Hahn, wenn diesem Gedicht nicht ein anderes voranginge, das mit den Worten endet: "Das ganze Instrumentarium in einem Vogelschnabel / Keine Ziele verkündend / Nur Atem und Sehnsucht leicht /vertraut und ohne Bedeutung / Notwendig und nutzlos / wie eine große Idee" ("Art und Weise, eine Himmelslerche anzusehen"). Dazwischen liegt das unermüdliche, aber lebendig erhaltende Ringen um "das verborgene Wort" - so lautet auch der Titel des 2001 erschienenen autobiographischen Romans von Ulla Hahn - mit dem gekämpft werden muss, "bis es sich / sehn lassen kann / hören und singen." ("Das verborgene Wort").

Eine apokalyptische Vision anderer Art drängt sich Kurt Marti auf, wenn er auf die Frage "welch finsterer ingrimm treibt uns dazu / diesen lebensplaneten zu tode zu quälen?" den Verdacht hegt, dass "wir die lunte" sind, "die gott vielleicht selbst / an seine irdische schöpfung gelegt hat?" ("verdacht"). Kurt Marti hat sich zwar als Pfarrer zur Ruhe gesetzt, aber mit seinem letzten Gedichtband "zoé zebra", der mit dem Buchpreis der Stadt Bern ausgezeichnet wurde, stellt er seine ungebrochene poetische Schaffenskraft eindrucksvoll unter Beweis. Hier steht die Sprache immer noch auf dem Prüfstand, in ihren Möglichkeiten bildhafter Verdichtung ebenso wie in ihrer Fähigkeit zur Nachdenklichkeit und zur kritischen Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen.

Wie ratlos wir sind

Im ersten Teil, "lichtwechsel", werden Natur und Landschaft zum Reflexionsmedium des lyrischen Ichs über die Zeit, über Vergänglichkeit und Stillstand, Erstarrung und Bewegung als körperliche und geistige Prozesse. Im Hintergrund leuchtet die zwiespältige Gelassenheit des alttestamentlichen Predigers auf: "Alles hat seine Stunde und eine Zeit ist bestimmt für jedes Vorhaben unter dem Himmel" (Kohelet 3,1). Im mittleren Teil, "das ichtier", verschärft sich die Zeitproblematik im Zusammenhang mit den zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere der Liebe, die den Tod nicht akzeptieren kann - "aufflackert ein schmerz: / du darfst nicht sterben!" ("liebesgedicht"). Je stärker die Erfahrung der Gottesferne wird ("hilflos"), je mehr die Überzeugung "sterblich / ist auch das sterben" schwindet, umso wuchtiger trifft den Menschen die Feststellung der "ballade von der unwiederholbarkeit", dass es nämlich kein "da capo" des Lebens gibt. Im dritten Teil, "kuckuck für gott", bleibt sich Marti als engagierter Kritiker einer grenzenlosen Ausbeutung der Erde und der damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten treu. Auf der Folie eines christlichen Welt- und Menschenbildes ohne dogmatische Verkrustungen hält er die Frage nach dem Sinn der Schöpfung und der menschlichen Existenz und damit auch die Frage nach Gott in Bewegung: "schweigender gott! Siehst du denn nicht wie ratlos wir sind? / wie geängstet die völker? Wie verwundet die erde? / unbegreiflich deine geduld" ("rätsel geduld").

Was immer noch die Qualität von Gedichtbänden ausmacht, sind Gedichte, die beim Lesen einen emotionalen oder geistigen Ruck erzeugen und durch die Evidenz ihrer poetischen Bilder überzeugen, oder die, wie Ulla Hahn zu sagen pflegt, "glücklich" machen - und solche Gedichte sind hier zu finden.

So offen die Welt

(Neue) Gedichte von Ulla Hahn

Deutsche Verlagsanstalt, München 2004

99 Seiten, geb., e 15,40

zoé zebra

neue gedichte. Von Kurt Marti

Nagel&Kimche im Carl Hanser Verlag. München 2004

84 Seiten, geb., e 14,30

gelegentlich aber

wer im glück ist

fragt nicht

was glück ist

sein herz

wird zum kuckuck

für gott

und

tröstet diesen

vielleicht

siesta

leib im

licht-schatten-wurf

der lamellen

stillstehen

die hitze

die zeit

nur zoé zebras

schlafatem

geht

Kurt Marti

Mitten durch

Helle Abende noch gnädige Zünd

Schnüre schräge mitten durch Kronen von Laub

Licht verdickt sich in Sirup von Äpfeln und Birnen

Trächtige Schatten Blätter und Beeren süß und bunt

wie alte Heiligenbilder

Wir aber ohne Vertrauen glauben dem Unsichtbaren

Es ist der Wind der die Zeit bemißt

sein heuchelndes Fächeln

Oh Sanftmut der hohen Topinambur unterm

Wind der schon Winterkeit mitführt so

eine winzigfeine Winterkleinigkeit Jetzt sing

von den Tränen der Dinge

Ulla Hahn

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