"Wir drängen sie an die Ränder hinaus"

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Um 7 Uhr früh geht die Pensionistin außer Haus, nachts um halb 1 Uhr kehrt sie zurück. Dazwischen tut Frau Ute Bock das, wovor sich der Staat im letzten Jahr am meisten gedrückt hat: Sie hilft Flüchtlingen.

Die Furche: Nach ewigem Hin und Her konnten sich Bund und Länder auf eine Grundversorgung für Flüchtlingen verständigen. Hoffen Sie auf weniger Arbeit im nächsten Jahr?

Ute Bock: Die Bund-Länder-Vereinbarung tritt erst am 1. Mai in Kraft. Und ich bin in dieser Sache schon so oft enttäuscht worden. Ich glaube erst, dass es besser wird, wenn es wirklich besser wird. Meine Hoffnung ist, dass der Druck mittlerweile so groß ist, dass etwas geschehen muss. Sie sehen ja, wie es da zugeht! (Das Gespräch findet im überfüllten SOS Mitmensch-Büro in Wien statt) Dabei ist heute nicht der stärkste Tag. Es gibt so viele, die auf der Straße sind, die nichts zu essen haben, die nicht medizinisch versorgt sind... Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da auf Dauer zuschauen kann.

Die Furche: Viele scheinen kein Problem damit zu haben, diesem Elend zuzuschauen.

Ute Bock: Das kann schon sein, aber ich will ein normales Leben führen, und ich will, dass der neben mir auch ein normales Leben führen kann - und ich nicht dauernd, wenn ich den anschaue, ein schlechtes Gewissen haben muss.

Die Furche: Sie organisieren jetzt schon seit Jahren Wohnprojekte für Flüchtlinge. Was sind Ihre Erfahrungen damit?

Bock: Ich habe 18 Wohnungen voll mit Flüchtlingen - das funktioniert fast von selber. Ich komme hin und wieder auf Besuch. Und wenn sie ein Problem haben, wenn beispielsweise Briefe kommen, bei denen sie sich nicht auskennen, dann kommen sie zu mir. Außerdem, von zwei, drei habe ich die Telefonnummer: Wenn ich was brauche oder von einer Arbeitsmöglichkeit erfahre oder eine wichtige Nachricht für einen habe, dann rufe ich die an, und sie vermitteln das zuverlässig weiter. Und es geht.

Die Furche: Bei Ihnen klingt Flüchtlingsbetreuung so einfach - die österreichische Bürokratie tut sich da um einiges schwerer...

Bock: Vielleicht weil ich realistisch bin. Ich sitz nicht an einem Schreibtisch und delegiere, sondern ich muss das den Betroffenen immer selber sagen. Ich habe selber mit jedem und jeder zu tun und bin nicht fernab jeder Wirklichkeit. Ich habe in meinen Wohnungen schon welche gehabt, die sind übergeschnappt. Andere sind gekommen und haben mir gesagt: "Mama, der hat was!" Dann bin ich hingegangen und habe mit dem geredet und wir haben die Schwierigkeiten gemeinsam gelöst.

Die Furche: Warum tut sich unser Staat mit Flüchtlingen so schwer: Unfähigkeit oder schlechter Wille?

Bock: Ich glaube, dass ist bewusster schlechter Wille. Das sind doch alles gescheite Leute. Aber das, was jetzt geschieht, wenn man die auf die Straße treibt, das fällt uns allen auf den Kopf. Jetzt haben die Flüchtlinge noch Hoffnung, aber wenn die einmal draufkommen, dass sie sowieso keine Chance haben - dann werden sie sich das nehmen, was sie wollen. Schauen Sie sich unsere Flüchtlinge aus dem Kaukasus an: Die verhungern dort. Da gibt es ganze Landstriche ohne Arbeit, ohne Irgendetwas. Ein Russe hat mir wortwörtlich gesagt: "Die fressen sich auf der Straße auf." Das muss man sich vorstellen.

Die Furche: Wie gehen Sie persönlich mit diesen Schicksalen um?

Bock: Na ja, was soll ich sagen, es ist furchtbar. Wissen'S wie das ist, ich hab' heute mit mindestens 500 Leuten schon geredet - da wird man verrückt. Immer so was, immer so was...

Eine Mitarbeiterin tritt an den Tisch: "Entschuldigung Frau Bock, oben wartet ein Herr ..." Ute Bock: "Lassen'S den Zettel da, ich schreibe ihm ein ..." - " Natürlich können wir das machen ..."

Bock: Wo sind wir stehen geblieben? Ja, was ich noch sagen wollte: Diese Menschen leben seit Generationen im Krieg. Die haben gelernt mit dem umzugehen. Glauben Sie, wenn die herkommen, dass die an der Grenze alles abstreifen und mit einem Mal andere Menschen werden? Sicher nicht. Und wenn sie bei uns so behandelt werden, wie sie dort behandelt wurden, dann werden sie hier auch so handeln, wie sie es dort gelernt haben, zu handeln.

Die Furche: Werden Sie für Ihre Flüchtlingsarbeit angefeindet?

Bock: Nein, mich wundert es selber. Ich habe vielleicht zwei, drei Briefe bekommen, in denen mich die Leute sonst was schimpfen. Aber, mit dem kann ich leben.

Die Furche: Und wie geht es Ihnen mit dem Zuspruch? Zig Veranstaltungen haben schon zu Gunsten Ihrer Projekte stattgefunden.

Bock: Das hätte ich nie geglaubt. Es gibt Leute, die kenne ich nicht einmal mit Namen, die mithelfen. Inzwischen glaube ich, dass es einfach sehr viele gibt, die mit dieser Flüchtlingspolitik nicht zufrieden sind. Ich habe immer gefürchtet, die Österreicher wissen gar nicht, was da los ist. Doch viele wissen sehr wohl, was los ist, und wollen das nicht mehr hinnehmen.

Die Furche: Mit "Bock auf Bier" - "Bock auf Kultur" - "Bock auf Punsch" ... wird für Ihre Benefizaktionen geworben. Sie haben einen tollen Namen.

Bock: Ja, er hat sich ins Positive gewendet. Als Kind war der Name ein Fluch. Und Bock nicht genug, habe ich auch noch einen deutschen Vornamen und meine Mutter war Deutsche. Ich bin am Land aufgewachsen, da waren wir die bösen Ausländer. Und jetzt taugt der Name auf einmal für etwas.

Die Furche: Wie ist es überhaupt zu Ihrem Engagement gekommen?

Bock: Ich war Heimleiterin, und in dem Heim habe ich ja auch so etwas ähnliches wie heute gemacht - für Österreicher halt. Ich habe immer Leute von den so genannten Randschichten gehabt. Unser Ziel war, die von den Rändern hereinzuholen. Wir haben mit ihnen einen Lehrplatz, eine Wohnung etc. gesucht. Wir haben sie angespornt, dass sie eine Ausbildung machen, dass sie nicht ihr Leben lang für die höhere Gesellschaft Papierln klauben. Und heute, wenn ich meine Ehemaligen treffe, von denen alle gesagt haben: "Aus denen wird nichts." Schnecken, super stehen sie da. Es sind nur wenige, die abgeglitten sind. Ich habe diesen Weg immer für den richtigen gehalten. Und was machen wir jetzt: Wir drängen sie an die Ränder hinaus.

Die Furche: Wollten Sie das, was Sie geworden sind, immer schon werden?

Bock: Nein, ich hatte überhaupt keine, wie man so schön sagt, Berufung. Ich bin halt so erzogen worden: Wenn man was angeht, dann macht man es ganz oder gar nicht. Und ich habe mich für ganz entschieden und dabei bleib ich.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Am vierten Adventsonntag, 21. Dezember, liest Leon Askin im Rahmen der Reihe "Schöne Bescherung für Ute Bock" Weihnachtsmärchen von Charles Dickens.

Schaupielhaus, Porzellangasse, 1090 Wien, 11 Uhr

Eintritt: e 14,- / ermäßigt e 7,-

Mehr Info unter www.fraubock.at

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