Martin Walser - © FOTO: APA/DPA/FELIX KÄSTLE

"Angstblüte" von Martin Walser: "Wir genießen, als genössen wir"

19451960198020002020

Hans Christian Kosler las das neueste Sommerbuch von Martin Walser, "Angstblüte". Den Gesellschaftskritiker fand er auch in Walsers Tagebüchern 1951-1962.

19451960198020002020

Hans Christian Kosler las das neueste Sommerbuch von Martin Walser, "Angstblüte". Den Gesellschaftskritiker fand er auch in Walsers Tagebüchern 1951-1962.

Werbung
Werbung
Werbung

Das gelang bisher nur Simmel: Uns Jahr für Jahr pünktlich zu Ferienbeginn mit dem Romanstoff zu beliefern, aus dem die Träume sind. Immerhin: Walser schafft annähernd den Zweijahres-Turnus. Nun also, nach "Der Lebenslauf der Liebe" und "Der Augenblick der Liebe" abermals ein Sommerbuch: Unterhaltsam, grell, aufreizend und - wenn Walser allzu weit ausschweift - ärgerlich wie ein Sonnenbrand. Und in die Welt der, wenn auch nicht immer Schönen, so doch Reichen entführt uns der in bester Schreiblaune Befindliche auch noch. Sein Held, Karl von Kahn, Generation 70 plus, Pomeroltrinker und Tennisspieler, ist Anlageberater in München. Und zwar einer der Feinsten: In seiner Kunden-Post mit einem Zitat der Woche vermeidet er die Kunststoffwörter der Branche und empfiehlt die Vermehrung des Geldes lieber mit dem Matthäus-Evangelium. Der Markt als Naturgeschehen - seine Kunden mögen das und honorieren es ihm mit ewiger Treue. Frau Varnbühler-Bülow-Wachtel, dreifache Witwe, und Leonie von Beulwitzen, dreifach geschieden, haben ihm so zum Überleben verholfen.

Die Reichen und die Promis

Weil sich Erfolg und Erfolg gern gesellen, werden die Reichen flankiert von schillernden Medien-Promis: Gundi, die perfekte Psycho-Talkerin, schön, gescheit und Frau des Harlachinger Antiquitätenhändlers Diego, dem "Herrn der schönen Dinge aller Jahrhunderte"; Amadeus Stengl, der Gundi an Medienpräsenz in nichts nachsteht, und der windige Filmregisseur Theodor Strabanzer. Namen wie bei Nestroy, und so bodenlos und aberwitzig wie in einer Nestroy'schen Posse geht's denn auch zu. Von der ersten Seite an merkt man, dass Walser, der nie ein Satiriker sein will, mit viel Lust am Untergang eine Gesellschaftssatire geschrieben hat. Eine Satire allerdings, der die richtende und strafende Instanz fehlt. Walser geht es wieder einmal wie seinem Helden:

"Karl war alles andere als unverblümt. Er war verblümt. Verblümt bis ins Innerste und Äußerste. Aber er wollte sich nichts mehr vorwerfen. Weder das, was er tat, noch das, was er nicht tat. Er wollte endlich sein, wie er war, und nicht, wie er sein sollte. Im Alter nimmt Verschiedenes ab. Auch die Kraft, moralisch zu sein."

Vitalitäts-Virtuosen

Wenn sich die lebenshemmende Moral nur so leicht abschütteln ließe! Unter all den Vitalitäts-Virtuosen, die nichts so perfekt beherrschen wie die Selbstinszenierung, die aus ihrer Leidens-mühelos eine Erfolgsgeschichte machen können, kommt sich Karl von Kahn eher wie ein Amateur vor. Ein Geschehenlasser unter Machern, eine Nebenfigur unter Hauptdarstellern. Bis Joni Jetter die Bühne betritt, bestes Pferd im Stall des Filmproduzenten Strabanzer, der von Kahn 2 Millionen für sein Filmprojekt haben will. Joni wird sich dafür von ihrer offenherzigsten Seite zeigen. Ein echt Walser'sches Prachtweib: Sinnlich, frech und gescheit - kurzum, ein Naturereignis. Als ein Naturereignis empfindet Karl auch, was mit ihm und Joni geschieht. Ganz im Gegensatz zu dem Naturereignis, nach dem Walser seinen Roman benannt hat: der "Angstblüte", der Blüte eines Baumes vor seinem Absterben. "Je bedrohlicher der Horizont sich näherte, um so heftiger blühte die Illusion, unbesiegbar zu sein. Und von dieser Illusion konnte man zehren. Von ihr lebte man. Sie ist die Kraftquelle schlechthin. Außer ihr ist nichts."

Angst vor der Niederlage

Mehr oder minder gilt das für die gesamte Altherrenrunde, die Walsers Roman bevölkert: Aus Angst vor der Niederlage, dem Ruin, dem Ende treiben sie noch einmal wunderliche Blüten. Im Falle Karls ist es die Angst vor dem Alter, die ihn in die leidenschaftliche Beziehung mit Joni stürzen lässt. Wer Walsers letzten Roman gelesen hat, ahnt, wie sie enden wird. Es gebe, heißt es da, keine Stelle, wo Jugend in Alter übergehe, "es gibt nur den Sturz".

Abermals ist dieser Sturz tief, erspart Walser seinem Helden keine Peinlichkeit: Seine Frau, pikanterweise Ehe-Therapeutin, verlässt das Haus. Karl, längst wieder solo, kommt sich als der "Schrat aller Schrate", als der "Idiot der Saison" vor. Er muss feststellen, dass seine Romanze mit Joni nun auch noch als Drehbuchvorlage für das von ihm finanzierte Projekt dienen soll. Gemäß der Maxime des Regisseurs: immer am Leben entlang.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung