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Wir haben gelitten — es hat nichts genutzt

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Die Urlaubszeit bietet mancherlei Anlaß zur Reflexion. Vor allem, wer verreist, genießt den distanzvollen Blick aufs eigene Land und die Tatsache, daß von draußen gesehen in Osterreich eigentlich alles nicht so schlimm ist. Umweltmäßig zum Beispiel muß man feststellen, daß wir im Vergleich zu den klassischen Urlaubsländern wirklich eine Insel der Seligen zu bewohnen scheinen. Schon mal in Madrid, Lissabon oder gar Mexico City tief Luft geholt? Ab zum Doktor!

Wer in Griechenland nach stundenlanger Suche eines Mistkübels seine Abfälle ordnungsgemäß entsorgt hat, konnte Momente später entsetzt beobachten, wie die Müllabfuhr das Ganze ohne Wimperzucken ins nächste ausgetrocknete Bachbett kippte, von wo es im darauffolgenden Winter ins Meer geschwemmt wird.

An andalusischen Traumstränden besorgt jeder Bauer, jeder Kleinbetrieb die thermische Verwertung gleich selbst. Frankreichs Gassen stinken nach Pisse, der wohlriechende Tabak der „Gauloises" ist gentechnisch manipuliert und die Energiepolitik mit einem Wort radioaktiv.

Wer hierzulande bewußt konsumiert und auf VerpackungsVermeidung achtet, ist im Ferienparadies auf Coladosen angewiesen. Leitungswasser ist sowieso meist tabu, will man nicht Brechdurchfälle und häßliche Ekzeme riskieren. Und in Italien ist das Meer algen- und fäkalienver-seucht. Bei uns, das sei einmal gesagt, passiert all das nicht!

Und trotzdem: Wieder heimgekehrt erinnern einen nicht nur Peter Michael Lingens' Gefühlsausbrüche an die vortreffliche Charakterstudie Hermes Phettbergs: Das Schlimmste für uns Österreicher sei es, wenn wir unsere Befindlichkeit mit „Ich kann nicht klagen!" angeben müssen. Und so wird denn auch das Klagen zur Maxime erhoben: Nur was wehtut, kann wirklich gut sein. Je hehrer das Ziel, desto dorniger muß der Weg sein.

Der Schutz der Umwelt, und darin sind sich ausnahmsweise einmal alle Gesellschaftsgruppen einig, ist ein besonders hehres Ziel. Keine Tätigkeit wird beispielsweise so eng mit „Umweltschutz" assoziiert wie das Mülltrennen. Klarer Fall: Hier muß auf Bequemlichkeit verzichtet werden, hier wird für die gute Sache geopfert.

Jenen, die am achtlosen Umgang mit den Bessourcen verdienen, kann diese Haltung nur recht sein: Zum einen hat auch die Bereitschaft zu verzichten ihre Grenzen. Früher oder später wird man sich zurücklehnen und sagen: nützt eh alles nix. (Was im Falle des Mülltrennens auch aus Sicht der Ökologen weitgehend zutrifft, lautet doch hier die resignierte Feststellung: Wird eh alles verbrannt.) Zweitens lenkt diese Mentalität von den eigentlichen Erfordernissen ab: Mülltrennen als Ersatzhandlung zur Abfallvermeidung.

Oder beispielsweise Ernergiesparen als Opferhandlung, das sinnvolle Energiedienstleistungskonzepte wie Least-Cost-Planning scheinbar überflüssig macht: Nicht Politik oder Wirtschaft werden zur Verantwortung gezogen, sondern Herr und Frau Konsument sollen für die gute Sache opfern. Solange aber Ökologie unmittelbar mit Komfortverzicht und Opfermentalität verbunden wird, bleibt's beim halbherzigen Bemühen oder wirkt sogar kontraproduktiv, wenn unter dem Deckmantel der Ökologie wiederum lukrative Geschäfte gemacht werden: Mit Filteranlagen „Bio-öko-light-recycling-Artikeln" oder am Wählerstimmenmarkt. So bewahrheitet sich Bert Brechts Ausspruch: Das Gegenteil von „gut" ist „gut gemeint".

Das Gegenteil von „gut gemeint" (und damit noch nicht zwingend gut) ist jene Nonchalance, die zm Beispiel den ökologischen Bösewichten der „Grande Nation" nachgesagt wird. Einer ihrer „Citoyenne", die im südlichen Teil unseres Landes geurlaubt hat, ist als erstes die Sauberkeit ihres Ferienortes in Erinnerung.

Das Kompliment hinterließ auch einen Nachklang des Wortes „propre" ähnlich der deutschen Qualifikation „nett!" (Nasenflügel leicht nach oben gezogen): Sauberkeit heißt auch penibel sein, das Gegenteil von nonchalant.

Denn mit der gleichen peniblen Einstellung, mit der bei uns mit Fremdem, mit Neuem, mit Kultur, mit sozialen Bandgruppen (die in Summe mit Sicherheit zahlenmäßig stärker sind als der präsumptive Kern unserer Gesellschaft) und vor allem mit Genuß umgegangen wird, mit der gleichen kleinlichen Genauigkeit gehen wir an den Schutz unserer Umwelt heran: auf Teufel komm raus und mit verbissener Miene wird da gesammelt, getrennt, gespart, reduziert und letztlich gegen die da draußen gejammert, die ja eigentlich den Großteil des ganzen Drecks in unser Land diffundieren. Wirtschaft, Politik und Bürger versammeln sich zum großen „Cry-in": Wir haben gelitten, und es hat nichts genützt.

Die Bösewichte sind dabei nicht die Deponienbetreiber oder Kraftwerksbauer: Sie haben ihre Filteranlagen eingebaut und ihre Bäumchen gepflanzt. Und auch nicht die Regierung, die Milliarden für den Autobahnbau lockermacht: Die wird, wenn's drum geht, das Betreiben von Rasenmähern schon verbieten. Böse ist (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), wer seine Tschick auf den Boden wirft oder sich erdreistet, nach 22 Uhr noch laut zu sein, auch wenn er das in einem Gastgarten am Rande einer stark befahrenen Straße tut. Kurzum, wer Spaß hat und sich dabei um nichts kümmert. Der Umweltschutz ist eine ernsthafte Sache. Wer soll uns sonst vor der Umwelt schützen?

Daß nachhaltige Wirtschaft in weiten Teilen ohne wesentlichen Komfortverzicht möglich ist, daß ein Umdenken und entsprechende Maßnahmen sogar eine Steigerung der Lebensqualität bedeuten können, daß Mobilität, Wärme, Sicherheit, Nahrung und letztlich auch Spaß (und nebenbei auch mehr soziale Gerechtigkeit) und eine ökologischere Politik sich nicht ausschließen, ist wahrscheinlich.

Dem stehen Interessensgruppen entgegen, die am Raubbau an den Ressourcen oder auch an sozialen Ungerechtigkeiten verdienen. Dem stehen Dummheit, Unbeweglichkeit und Angst vor Veränderungen gegenüber. In erster Linie aber hapert's daran, daß in diesem Land eines problematisch wäre: Sagen zu müssen: „Ich kann nicht klagen."

Der Autor ist

Pressespreclier des Osterreichischen Ökologie-Instituts und freier Journalist.

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