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Clemens Hellsberg, Vorstand der Wiener Philharmoniker, über alte und neue Dirigenten, das Spannungsfeld von Tradition und Innovation und das Konzertpublikum von morgen.

Es sind Sätze wie "Ich glaube an zeitlose Werte. Es geht nicht darum, ephemeren Erscheinungen nachzujagen …“ oder: "Globalisierung bedeutet Weltoffenheit“, die erkennen lassen, wovon sich Clemens Hellsberg in seiner musischen wie administrativen Tätigkeit leiten lässt.

Die Furche: Herr Professor Hellsberg, die Wiener Philharmoniker waren kürzlich auf Tournee in Skandinavien und - wie jedes Jahr - in der Carnegie Hall in New York. Wie war die Resonanz auf dieses Gastspiel?

Clemens Hellsberg: Die Tournee stand heuer unter einem speziellen Aspekt: Fünfzig Jahre Zusammenarbeit mit Lorin Maazel. Bedauerlicherweise musste er aus gesundheitlichen Gründen drei Konzerte absagen, er war in Amerika aber wieder voll dabei. Die Idee war, einen Überblick über diese fünfzig Jahre aus verschiedensten Gesichtspunkten zu geben. Mozarts g-Moll-Symphonie war das erste Werk, das er im ersten Konzert mit den Philharmonikern aufführte; seine Synthese aus dem "Ring“ sollte seine schöpferische Seite zeigen und die Aufführung von drei Sibelius-Symphonien in einem Konzert - erstmals in der Geschichte des Orchesters - an unsere gemeinsame Einspielung der Sibelius-Symphonien erinnern. Dazu kam ein Programm mit Werken von Richard Strauss und Johann Strauß - das hat immer einen eigenen Reiz. Der Publikumserfolg war enorm.

Die Furche: In Skandinavien ist Sakari Oramo für den erkrankten Lorin Maazel eingesprungen, er wird in der kommenden Saison auch ein Abonnementkonzert dirigieren. Zeichen für einen Generationenwechsel unter den philharmonischen Dirigenten?

Hellsberg: Heuer hatten wir im Abonnement Gustavo Dudamel, in früheren Saisonen Daniel Harding, Andrés Orozco-Estrada, Tugan Sokhiev, wir waren in Japan mit Andris Nelsons. Wir arbeiten permanent mit jüngeren Dirigenten. Es ist ein behutsames, aber ständiges Weitergeben durch die Jahrzehnte. 2011 feierten wir fünfzig Jahre Zusammenarbeit mit Mehta, heuer fünfzig Jahre mit Maazel. Wenn man zurückschaut: Im Jahr, in dem Maazel debütiert hat, ist Bruno Walter gestorben, Walter wiederum hat die Philharmoniker erstmals 1907 dirigiert. Das zeigt, dass ein Orchester, wenn es nur einigermaßen will, immer jung bleibt. Es waren immer mehrere Generationen an Dirigenten am Werk. Das ist auch das Schöne an unserem Gastdirigentensystem: dass wir mit nahezu allen führenden Dirigenten in regelmäßigem Kontakt sind.

Die Furche: Sie sind seit 1997 Vorstand des Orchesters, damit einer der am längsten amtierenden in der Geschichte der Wiener Philharmoniker. Was hat sich aus Ihrer Sicht in diesen Jahren in der Orchesterbranche wesentlich geändert?

Hellsberg: Seit dem Beginn meines Engagements in den 1970er Jahren bis hinein in die 1990er Jahre hatten wir bis zu siebzig Schallplattensitzungen pro Saison. Diese Studioaufnahmen gibt es fast nicht mehr. Stattdessen reisen wir mehr, das trifft auch für die übrigen großen Orchester zu und hat das ganze Orchesterleben, aber auch den Klassikmarkt verändert. Wir spielen mittlerweile um die fünfzig Konzerte pro Jahr im Ausland. Dazu haben wir die Jugendarbeit verstärkt, haben eine Sommerakademie, wo wir Kammermusik machen, aber auch Probespielseminare. Es geht uns dabei ebenso um den professionellen Nachwuchs wie das Publikum von morgen. Schließlich das Sommerkonzert im Schlosspark Schönbrunn, für uns ein wesentlicher kulturpolitischer Akzent.

Die Furche: Wer hat dieses Schönbrunn-Konzert initiiert - die Philharmoniker, der frühere Bundeskanzler Schüssel?

Hellsberg: Es war der damalige Direktor des Schönbrunner Tiergartens, Helmut Pechlaner. Er nahm mich nach Schloss Hof mit, als dort die Schlossgesellschaft gegründet wurde, und konfrontierte mich mit der Idee, hier anlässlich der EU-Erweiterung 2004 ein großes Open-air-Konzert zu machen. Ich habe dann Schüssel gefragt, ob das im Interesse der Regierung wäre. Er hat das bejaht, aber vorgeschlagen, dieses Konzert in Wien zu machen.

Die Furche: Im letzten Orchesterranking lagen die Wiener Philharmoniker nach dem Concertgebouw Orchester Amsterdam und den Kollegen aus Berlin an dritter Stelle, davor waren sie an erster. Wirkt sich so etwas aus, bleibt es ohne Auswirkung auf den Marktwert?

Hellsberg: Da "Evaluierung“ heute so gefragt ist, sei es auch gestattet, sie auf derartige Bewertungen anzuwenden. Es hat jemand, den primär das Emotionale interessiert, genauso Recht, wie ein anderer, der mehr Wert auf das Klangliche legt, oder ein dritter, dem die Perfektion am wichtigsten ist. Wonach wird also beurteilt? Man kann nicht wie im Sport nach hundertstel Sekunden messen. Sind wir an erster Stelle, breche ich nicht in Euphorie aus, und liegen wir an dritter, bricht für mich die Welt nicht zusammen. Es wäre nicht gut, wenn man in solchen Rankings nicht aufscheint, man soll sie aber auch nicht überbewerten. In unserem Beruf muss man bei jedem Auftritt aufs Neue die Emotionen wecken, das gelingt unterschiedlich. Es muss nicht immer am Orchester, am Dirigenten oder an den Solisten liegen, es kann gelegentlich auch am Publikum liegen - die Interaktion zwischen Ausführenden und Zuhörenden ist riesengroß.

Die Furche: Globalisierung, Spezialisierung, Selbstverwaltung: Ist das kompatibel?

Hellsberg: Ich glaube an zeitlose Werte. Es geht nicht darum, ephemeren Erscheinungen nachzujagen, sondern einen Kurs zu halten, der Modifikationen aufweist, sich aber immer an der 170 Jahre alten Maxime des Gründers der Wiener Philharmoniker, Otto Nicolai, orientiert: "Mit den besten Kräften das Beste auf die beste Weise.“ Sucht man nach den besten Kräften, kann das niemanden ausschließen. Globalisierung bedeutet Weltoffenheit. Für uns bedeutet sie eine schwierige, aber spannende Gratwanderung, junge Leute für unser Orchester zu interessieren, die unsere musikalische Sprache sprechen, egal, wo sie herkommen oder studiert haben. Die Selbstverwaltung, die selbstverständlich wie alles zwei Seiten hat, beruht ebenfalls auf zeitlosen Werten: der Unabhängigkeit, der Freiheit, der Selbstbestimmung.

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