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Wir müssen schließlidi audi leten!

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Ich saß im Restaurant Krasaviny. Plötzlich steuerte die Kellnerin auf meinen Tisch zu: „Sie werden am Telephon verlangt!“ — „Das muß ein Irrtum sein! Niemand kann wissen, daß ich hier bin.“ Aber meine Neugierde war trotzdem erwacht. Ich ging ins Foyer und nahm den Telephonhörer ab. „Hallo, wer ist dort?“ — „Ich bin’s, Tschebakow. Wir sind hier im Alhambra und erwarten dich.“ — „Wer zum Teufel hat dir gesagt, daß ich bei Krasaviny bin? Außerdem muß ich sofort heim, weil bei mir niemand zu Hause ist.“ — „Wie kannst du behaupten, bei dir zu Hause sei niemand, wenn man mir eben erklärt hat, du seiest im Krasaviny?“ — „Du kannst mich nicht auf den Arm nehmen. Ich habe die Wohnung abgeschlossen, und die Schlüssel klappern in meiner Tasche. Hm. Mit wem hast du eigentlich gesprochen?“ — „Es war eine männliche, mir unbekannte Stimme.“ — „Ich muß doch gleich einmal bei mir anrufen …“

Nervös verlangte ich meine Nummer. „Was gibt’s denn schon wieder?“ meldete sich ungeduldig eine männliche Stimme. — „Ist dort 25 6 64 ?“ — „Ja zum Teufel! Was wollen Sie denn?“ — „Wer sind Sie denn eigentlich?“ Sekundenlang blieb es still, dann sagte er unwirsch: „Der Hausherr ist nicht da.“ „Natürlich ist er nicht da“, schrie ich wütend, „der Hausherr bin ich! Wer sind Sie und was machen Sie in meiner Wohnung?“ — „Einen Augenblick, wir sind nämlich zu zweit. Grischa, komm mal ans Telephon!“ Jetzt hörte ich eine andere Stimme,: „Was gibt’s denn schon wieder? Einer nach dem anderen ruft hier an und stört uns beim Arbeiten. Was wollen Sie?“ — „Wissen, was Sie in meiner Wohnung verloren haben?“ — „Ah, Sie sind der Hausherr? Dann können Sie uns gleich mal sagen, wo Sie die Schlüssel für den Schreibtisch hingelegt haben. Wenn wir die Schlüssel nicht finden, müssen wir alle Schlösser aufbrechen.“

„Ihr Lumpen! Wenn ihr jetzt nicht schleunigst abhaut, werde ich das ganze Haus alarmieren.“ — „Du bist ein Einfaltspinsel“, fuhr die Stimme fort. „Es tut uns wirklich leid, so schöne Möbel ohne Grund ruinieren zu müssen. Wenn du glaubst, uns beschimpfen zu können, nehme ich mein Taschenmesser und zerkratze alles.“ — „Versetzen Sie sich mal in meine Lage“, versuchte ich einzulenken. „Zuerst plündern Sie meine Wohnung aus, und dann verlangen Sie noch, daß ich mit Ihnen Konversation machen soll wie mit alten adeligen Tanten.“

„Dir macht es doch nichts aus, wenn was fehlt. Und wir müssen schließlich auch lebenl“ — „Ich verstehe, nur — wozu braucht ihr die Schreibtischschlüssel?“ — „Für das Geld.“ — „Ich versichere euch, es ist nicht im Schreibtisch. Ich habe zwar Geld versteckt, aber nicht viel. Was für Gegenstände wollt ihr mitnehmen?“ — „Nicht viel“, sagte die Stimme ehrlich bedauernd. „Wir nehmen das silberne Besteck, den Überzieher, den Hut, den Wecker und den silbernen Briefbeschwerer.“ — „Der ist gar nicht aus Silber“, versicherte ich freundschaftlich. „Hört auf mich. Ich versetze mich jetzt ganz in eure Lage. Nehmen wir an, ihr könnt die Sachen unter den Augen des Portiers herausschmuggeln. Und was dann? Ich kenne diese Blutsauger. Auf euch warten Risiko, Verfolgungen und Gefängnis. Das ist das verfluchte kapitalistische Prinzip, von der Arbeit anderer zu leben. Begreift mich doch: stehlt ihr vielleicht? Nein! Ihr seid die Bestohlenen! Seid ihr etwa die Schädlinge? Nein, diese Blutsauger sind tausendmal schädlicher! Ich spreche aus vollem und ehrlichem Herzen zu euch, mir ist mein Eigentum ans Herz gewachsen, und wenn es sein muß, werde ich morgen früh auch ohne Wedcer auf- wachen. Und dann — was bekommt ihr schon dafür? So gut wie nichts. Nicht einmal fünfzig Rubel werden sie euch geben!“ — „Geb’s Gott, daß wir wenigstens fünfundzwanzig kriegen“, hörte ich es am anderen Ende der Leitung seufzen. „Wir kommen uns schon etwas näher. In meiner Wohnung sind hundertfünfzehn Rubel. Ein Vorschlag zur Güte: ich werde euch sagen, wo das Geld ist. Hundert Rubel sind für euch, und fünfzehn brauche ich, um morgen einzukaufen. Ich werde euch weder bei der Polizei anzeigen, noch euch nachspüren. Das Ganze bleibt eine Angelegenheit unter Freunden und geht niemand etwas an. Einverstanden?“ — „Das ist alles ein bißchen seltsam“, sagte der Dieb unentschlossen. „Bedenken Sie, wir haben das Silber schon zusammengepackt.“

„Laßt es ruhig so liegen, ich packe es schon wieder aus.“ — „Und wenn wir nun das Geld nehmen und die Sachen?“

— „Aber seid ihr denn wilde Tiere?“ — „Sehen Sie, wir führen ein Hundeleben …“ — „Dafür habe ich Verständnis. Ich bringe Ihnen volles Vertrauen entgegen. Wenn Sie mir das Ehrenwort geben, daß Sie meine Sachen nicht anrühren, sage ich Ihnen sofort, wo das Geld liegt. Nur müssen Sie mir die fünfzehn Rubel für morgen lassen.“

Der Dieb lachte verlegen und brummte dann: „Einverstanden, wir lassen fünfzehn Rubel hier.“ — „Und ihr nehmt auch sonst nichts mit?“ — „Wir lassen alles da, dann brauchen wir uns auch nicht so abschleppen.“ — „Vielen Dank! Also — auf dem Schreibtisch steht eine kleine blaue Schachtel. Obenauf liegen Briefe, und ganz unten ist das Geld. Ver- geßt nicht, das Licht auszumachen, wenn ihr geht. Seid ihr durch die Wohnungstür gekommen?“ — „Ja.“

„Also dann schließt nachher gut ab.“

— „Und wo sollen wir die Schlüssel hinlegen?“ — „In die linke Ecke unter der zweiten Treppenstufe. Habt ihr auch den Wecker nicht kaputtgemacht?“ — „Keine Angst, er geht noch.“ — „Gott sei Dank! Also dann — gute Nacht!“ Als ich nach Hause kam, lagen auf dem Tisch im Speisezimer die eingepackten Gegenstände, drei Fünf-Rubel-Scheine und ein Zettel: „Den Wecker haben wir ins

Schlafzimmer gestellt. Der Mantelkragen ist schon ganz von Motten zerfressen. Ihre Dienstboten sollten sich darum kümmern. Denken Sie an Ihr Versprechen, uns nicht anzuzeigen! Grischa und Sergei.“

Deutsch von Wilfried Schilling.

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