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Wir setzen auf den Fortschritt“

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„Ende Juli vorigen Jahres erschien in der Wiener .Furche' ein Artikel von Dr. Prantner — .Wächter, wie weit ist die Nacht?' (Nr. 30 vom 27. Juli 1968). Hier wird Alarm geläutet, mit den größten Glocken. Der Autor ist zutiefst über die heutige kirchliche Avantgarde empört, die die Kirche, statt sie in die Welt zu führen, in ein Getto, fast in Katakomben vertreibt. Die Verachtung der Massen-, d. h. der Volkskirche, schreibt der Verfasser, bedeutet die Emigration in die Privathäuser oder gar den Abstieg in die Untergrundbewegung. Wir lesen von einer liturgischen Krise, von der barbarischen Zerstörung der kirchlichen Kunst, von der Anzweiflung des Sakraments der Buße, der ; Geringschätzung des Primats der Päpste, den Irrwegen der biblischen Wissenschaften, die angeblich nur den Tod Christi, nicht aber Seine Auferstehung anerkennen, von einer Theologie ohne Gott, von der Ausschaltung der Ehrung der Muttergottes usw., usw. Irrwege, Relativismus, Skeptizismus, Modernismus — das sind die Epitheta, die der Autor einigen Phänomenen Im Leben der Kirche im Westen zuschreibt. Statt des Glanzes der Erneuerung droht der Kirche, daß sie in die tiefe Nacht hinabsinkt. Das Reformieren wird zum Sturz“, ja zur Dekadenz des religiösen Lebens. Vor fast zwanzig Jahren habe ich einen Artikel .Maßhaltung in der Kirche' veröffentlicht. Ich habe mich darin bemüht, die Kirche In Polen vor einigen damaligen Gelüsten der Superspirdtualisten und Pseudomystiker zu verteidigen. Kürzlich habe ich den Artikel im Zusammenhang mit den letztens zahlreichen päpstlichen Warnungen — im Zusammenhang mit seinem Credo zum Abschluß des Glaubensjahres und im Zusammenhang mit der Enzyklika ,Huimanae vitae' — noch einmal gelesen. Mir scheint, wenn die Richtung der Kirche die Zukunft bleiben soll, und zwar nicht nur jene eschatologische Zukunft,sondern auch die allernächsten Monate und Jahre, die ebenfalls ein Teil des endgültigen Finales der Kirche und der Geschichte sind, dann dürfen wir nicht am Rande bleiben. Wir können nicht extreme Wege gehen, denn die Extreme berühren einander und können durch eine verblüffende Rückkoppelung, statt vorwärts zu treiben, auch zurückwerfen.

Maßhalten bedeutet nicht Stagnation. Wir setzen auf den Fortschritt, wir setzen auf die Entwicklung, aber diese muß vollständig, integral sein. Ihre Möglichkeiten hat Papst Paul VI. ausgezeichnet in der Enzyklika ,Populorum progressio' skizziert. Diesen Direktiven folgend, dürfen wir unsere eigenen Entwicklungsansätze und -fähigkeiten nicht ablehnen. Die Kirche in Polen besitzt — wie übrigens in jedem Land — ihr eigenes Potential. „Konziliar denken“ bedeutet, nach einer möglichst vollkommenen Inkarnation des Evangeliums unter den Bedingungen des eigenen Landes und Volkes streben. Daher dürfen wir nicht willkürlich, ohne Rechnung, ohne Besonnenheit, ohne Normen vorgehen.

Johannes XXIII. hat die Fernster des Vatikans breit geöffnet, hat frischen Wind durch alle Öffnungen eingelassen, aber er stürzte sich nicht spektakulär auf die Menge, die auf dem Petersplatz Vivat rief. Da er die epochalen Ausmaße des eingeleiteten Konzils vorausfühlte, behielt Johannes XXIII. Heiterkeit und Stihe bei. Er gebot den Pilgern, ihre Familien und Kinder zu grüßen, für die er eine ,neue' Morgenröte hinter der Schwelle der alten Zeit aufziehen sah.

Die kühnen Maßnahmen Johannes XXIII. erforderten eine Energie, die die Mühe seines frommen Lebens vorbereitet hatte. Vorbereitet hatten sie auch die wachsenden Bedürfnisse der ganzen Kirche. Aber auch die Durchführung der Absichten verlangt Anstrengung. Sie verlangt Mut, systematische Arbeit, Konsequenz, aber auch Maß. Sie verlangt vor allem die Annahme des ganzen Konzils, aller seiner Grundgedanken, des ganzen Geistes der Erneuerung. Das weiß Paul VI. ausgezeichnet. Daher verzichtet er auf gar nichts, was das Konzil abgesteckt hat. Mehr noch, er- ist der Meinung, daß die Konzilsbeschlüsse die bindende Norm der Erneuerung, deren Grerizen darstellen sollten, daß sie zugleich jedoch auf die Richtung der Vertiefung des Aufblühens hinweisen müssen. Die Kirche wird dann ihre Mission gegenüber der Welt erfüllen, die Kirche wird dann an jeder Stelle des Erdballs — auch bei uns — ihren übernatürlichen Auf gaben gerecht werden.“

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