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Wir waren dabei als das Spiel begann

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Ein Septembertag 1909! Im alten Redaktionshaus der „Reichspost“, noch in der Strozzigasse Nr. 41, war ausnahmsweise kurz nach Mitternacht eine kleine Pause in der hastenden Arbeit des täglichen Zeitungsbetriebes eingetreten. Chefredakteur Dr. Funder diskutierte mit seinem Stellvertreter, Freund Thaler, noch einmal die Meldungen der letzten Stunden, als ich in das kleine Arbeitszimmer eintrat. Um Mitternacht? Ja, denn bei Tag war es fast unmöglich, Doktor Funder zu einer längeren Aussprache zu erreichen, und er selbst bestellte mich daher für diese etwas ungewohnte Besuchsstunde; ich sollte ihm meinen Plan vortragen. Das war bald geschehen. Selbst aktiver Sportler, im Studium noch mit wenig Geld, war ich fest überzeugt, daß dem damals noch sehr bescheidenen Fußballsport einst eine breite Massenentwicklung und starke Publikumswirkung beschieden sein wird. Die „Reichspost“ hatte bis zu diesem Tage keine Sportrubrik, auch alle anderen Wiener Blätter, mit Ausnahme des „Neuen Wiener Abendblattes“ vom „Tagblatt“, nahrr ‘n j nur sehr spärlich von sportlichen Dingen Notiz. Ich mußte jedenfalls ein sehr beredter Anwalt meiner Idee, in der „Reichspost“ auch dem Sport ein kleines Platzerl zu sichern, gewesen sein, denn Dr. Funder sagt ja, ohne viel Wenn und Aber, wie es seine Art war, wenn er publizistisches Neuland erschloß. Nur eine Bedingung stellte er, er wollte sich selbst einmal die „Haxelschupferei“ anschauen.

Und so wanderten wir auch schon am nächsten Sonntag auf die alte „Hohe Warte“ zum Match Sportklub gegen Vienna, das vor 700 Zuschauern stattfand. Aber diese geringe Besucherzahl störte Dr. Funder nicht im mindesten, er ging mit dem Spiel mit, als wäre seine Passion von jeher der Kampf auf dem grünen Rasen und nicht der Kampf im Meinungsstreit der Presse gewesen. Nach Schluß des Spieles, bevor wir in die Redaktion zurückfuhren, lud Dr. Funder mich noch auf einen Schluck Nußberger ein, den wir ganz in der Nähe beim Hauer „Schöll am Bergl“ kosteten, und ich war überglücklich, als Dr. Funder mit mir auf gute Zusammenarbeit anstieß und sagte: „Ich bin überzeugt, aus diesem Fußball wird noch einmal eine große

Sache werden und wir mtucn dabei sein “

Das war wieder eine richtige Funder-Meinung, die, wie so oft, den Ereignissen weit, weit vorauseilte, um dann durch den Ablauf der Dinge in späteren Jahren ihre volle Bestätigung zu finden. 700 Zuschauer, darunter viele Gratisblitzer, waren bei diesem unseren „Sportdebüt" in Döbling. Etliche Jahre später — der Krieg lag dazwischen — gab es auf der Hohen Warte beim Länderspiel Oesterreich gegen Italien eine bisher unerreichte Besucherzahl von 7 0.000, und aus dem täglichen ,,Reichspost“-Sport von vierzig bis fünfzig Zeilen hatte sich ein Sportteil des Blattes entwickelt, der oft zwei bis drei Seiten umfaßte.

Zeit: 1911. Schauplatz: Die Olympia-Arena im Prater auf den Gründen des ehemaligen „Venedig in Wien“ und das Chefredaktionszimmer der „Reichspost“. Ich bemühte mich, bei einem der nur schwer funktionierenden Telephonautomaten Anschluß mit meiner Redaktion zu erhalten. Endlich, es ist so weit. „Hallo!“ — „Wer dort?“ — „Hier Howorka." — „Hier Doktor Funder. Ah, Sie, Herr Howorka, nun wie war es heute? Was, der Fristensky hat gesiegt in vierzehn Minuten durch Armfallgriff? Fast unglaublich! Und Hitzler, das ist der Münchner, nicht wahr, wurde disqualifiziert? Schade, ich hätte ihm Chancen gegeben. Also bitte, Herr Howorka, diktieren Sie mir.“

Und der Chefredakteur der „Reichspost’ nimmt wie seit sechs Wochen, täglich nachts zwischen 10 und 11 Uhr, den Bericht über die damals stark das öffentliche Interesse Wiens beherrschende internationale Ringkampfkonkurrenz entgegen. Er weiß über alle Konkurrenten Bescheid, und die aufreibende Nachtarbeit, politische Entscheidungen, die beruflichen Sorgen der nächsten Tage, sie bestehen für den Chefredakteur in diesem Augenblick nicht, wenn es gilt, für das Blatt, sein Blatt, interessanten Lesestoff zu erhalten.

Der Franzose Constant le Marin, der Wiener . Weltmeister Steinbach, der Tscheche Fristensky, der türkische Koloß Kara Achmed und wie alle geheißen haben mögen, sie interessierten damals ganz Wien. Der jeweilige „Turnierstand’ war in fast allen Blättern auf der ersten Seite noch vor dem Leitartikel zu finden, denn zu dieser Zeit galt eine solche Konkurrenz noch als eine seriöse Angelegenheit. Damit war aber auch schon für Dr. Funder die Situation gegeben. Und da bei dem damaligen bescheidenen Redaktionsstab niemand in der Nacht für die Redigierung und Aufnahme dieser „Ringkampfbulletins“ zur Verfügung stand, so machte sich, als wäre dies die selbstverständlichste Sache der Welt, eben Doktor Funder zwischen schwerwiegenden publizistischen Konferenzen und wichtigen Besprechungen mit den technischen Eigenheiten eines „Kopffallgriffes“ oder „Eindrücken der Brücke“ des griechisch-römischen Ringkampfes vertraut.

Als die „Reichspost’ in das neue Herold-Hane einzog, waren alle technischen Möglichkeiten gegeben, den Nachrichtendienst des Blattes auszubauen, und nach Beendigung des ersten Weltkrieges erfüllte sich in den kommenden Jahren die große internationale Bedeutung des sportjournalistischen Geschehens. In der bösen, bitteren Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1918, als eine hemmungslose Zeitungsflut alles niederzureißen drohte, war es wieder Dr. Funder, der dafür eintrat, daß schon Montag früh ein in erster Linie dem breiten Sportinteresse dienendes Blatt auch politischen und weltanschaulichen Einfluß in der Meinungsbildung der Oeffentlichkeit geltend machen soll. Und so wurde, sozusagen über Nacht, als Montagfrühzeitung der „Reichspost" das „Wiener Montagblatt“ im Herold-Hause herausgebracht, das bald sehr gewichtige Resonanz hatte und sich auch der besonderen Beachtung des damaligen Bundeskanzlers Dr. Seipel erfreute. Bei den Olympischen Spielen in Paris, Amsterdam, Berlin, bei den Länderkämpfen in London, Brüssel, Zürich, Mailand und vielen, vielen anderen stand die journalistische Vertretung der „Reichspost“ und des „Wiener Montagblattes“ in erster Reihe, und in diesen Tagen wurden bei großen internationalen Konkurrenzen oft zur gleichen Zeit vier bis fünf interurbane Telephongespräche im Herold-Hause mit den führenden Redaktionen der europäischen Zeitungszentren abgewiekelt.

Als ich in einer Sonntagnacht 1932 die druckfeuchte hunderttausendste Nummer der Blattauflage des „Wiener Montagblattes“, dessen Verlagsleitung mir mittlerweile auch übertragen worden war, im Chefzimmer der „Reichspost’ überreichen konnte, sagte mir Dr. Funder, nachdem er aufmerksam, besinnlich die fünf Seiten Sport durchgeblättert hatte: „Nun, lieber Otto, ich glaube, es war doch kein ,Foul’, als wir un vor x Jahren entschlossen hatten, das Spiel beginnen zu lassen "

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